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# taz.de -- Erderwärmung und Donald Trump: Kipppunkt für unseren Klimaschutz
> Das Menschheitsprojekt Klimarettung scheint mit der Wiederwahl Donald
> Trumps immer aussichtsloser. Ist unser Geld in Armutsbekämpfung besser
> investiert?
Bild: Beim Klimaschutz ist es eigentlich schon fünf nach zwölf
Die [1][Wiederwahl von Donald Trump] birgt unbedachte Folgen. Europa
verfolgt bislang eine Klimapolitik, die auf zwei Säulen ruht. Erstens
Klimagerechtigkeit, also nicht mehr Emissionen zu verursachen, als im
globalen Vergleich gerechtfertigt. Das bemisst sich zum Beispiel an den
Emissionen pro Kopf. Zweitens und noch wichtiger, global die Pariser
Klimaziele einzuhalten, um Kipppunkte im Klimasystem zu vermeiden, die den
Klimawandel unaufhaltsam machen könnten. Denn letztlich nützt es wenig,
gerecht zu sein, wenn die anderen Staaten nicht mitziehen
Trotz Widerständen verfolgt Europa, besonders Deutschland, diese Ziele. Die
Klimapolitik zielt darauf ab, die eigenen Anteile zu reduzieren und noch
größere Emittenten zu beeinflussen, etwa durch die Energiewende. Politisch
soll die Vorreiterrolle Deutschlands in diesem Bereich andere Staaten
motivieren, sich anzuschließen.
Technologisch sollen ärmere Länder von Innovationen profitieren, um fossile
Entwicklungsstufen zu überspringen. Wie dereinst China von der deutschen
Entwicklung der Solarenergie profitierte, sollten andere Nationen ebenfalls
von deutscher Wasserstofftechnologie profitieren. Ein Problem bleibt das
carbon leakage: Europa senkt Emissionen, was die Weltmarktpreise fossiler
Energien drückt und andere Länder zum Kauf anregt. Europa begegnet dem mit
Zöllen auf fossil erzeugte Produkte.
Ein energischer Green New Deal schien bisher als Lösung, indem grüne
Technologien gefördert und günstiger als fossile Alternativen werden. Dies
könnte, so die Hoffnung, eine politische und wirtschaftliche
Aufbruchstimmung erzeugen. Um 2020 schien dies möglich, da Europa und
Amerika gemeinsam grüne Technologien ausbauten. Bidens Inflation Reduction
Act und europäische Maßnahmen zeigten, dass Klimaschutz als Investition in
die Zukunft verstanden wurde. Doch der Erfolg blieb fraglich, da der
Prozess zu spät begann.
Was bedeutet nun Trumps Wiederwahl für den fragilen Klimaschutz? Erst
einmal sind die Konsequenzen nicht an die Person Trump gebunden. Selbst
wenn der Präsident einen tödlichen Herzinfarkt erleiden würde, bleibt die
Republikanische Partei gewählt und wird die nächsten vier Jahre konsequent
dazu nutzen, Klimaschutz abzubauen und fossile Energien auszubauen.
Lediglich die Perspektive auf die Zeit danach ändert sich: Mit Trump
steuern wir auf eine Diktatur zu, die reguläre Wahlen zu verhindern strebt.
Wir können nur hoffen, dass der Spuk schnell wieder vorbeigeht.
## Kipppunkte sind eine Blackbox
Wie dem auch sei, schon jetzt wird der Austritt aus dem Pariser Abkommen
als Ziel ausgegeben, der Green New Deal soll abgewickelt werden. Ein neuer
Energieminister soll dies vorantreiben. Natürlich werden sich einzelne
Bundesstaaten dagegen wehren, es bleibt abzuwarten, wer hier den Sieg
davonträgt. Gleichzeitig ist ein massiver Ausbau des „fossilen Imperiums“
gewiss, wobei man nicht auf eine die CO2 auffangende [2][CCS-Technik]
warten wird (auch wenn die Republikaner diese – trotz Verleugnung des
Klimawandels – befürworten). Auch Europa driftet nach rechts und sortiert
seine Prioritäten neu, kann und wird nicht energisch dagegenhalten.
Die sowieso durch anhaltende Erwärmung unter Druck stehenden Kipppunkte
könnten überschritten werden. Das Ziel, die Klimaerwärmung bei 1,5 Grad
oder wenigstens bei 2 Grad aufzuhalten, wird vielleicht unerreichbar.
Eigentlich zeigt die Uhr schon fünf nach zwölf. Das Institut Carbon
Analytics schätzt Trumps Einfluss auf das Klima jedoch als gering ein:
[3][0,04 Grad Celsius zusätzliche Erwärmung]. Doch ich bin skeptisch. Die
Studie geht von einer normalen Amtszeit Trumps aus und ignoriert
internationale Nachahmer. Eine globale, reaktionäre Bewegung könnte stärker
wirken als erwartet. Man muss daher wenigstens in Erwägung ziehen, dass der
anstehende Rückschritt dem Klimaschutz – im Sinne der Vermeidung der
Kipppunkte – das Genick brechen wird.
Aber ist die genaue Verortung der Kipppunkte nicht ungewiss? Vielleicht
werden einige von ihnen durch reaktionäres Handeln doch nicht ausgelöst.
Auch ist unklar, was überhaupt geschieht, wenn diese Kipppunkte wirklich
ausgelöst werden. Es stimmt, Kipppunkte sind eine Blackbox, von der man
aber mit hoher Wahrscheinlichkeit weiß, dass sie existieren, wo sie sich in
etwa befinden und dass ein Auslösen teilweise zu unumkehrbaren
Dominoeffekten führt.
Die rechtsnationalistische Politik wird wahrscheinlich einige wesentliche
Kipppunkte auslösen. Ein Scheitern des Pariser Klimaabkommens ist ernsthaft
zu erwägen. Natürlich kann man dagegenhalten, dass eine vorzeitige Aufgabe
dieses Klimaschutzes fatale Folgen hat und deshalb zu vermeiden ist.
Allerdings wird die Wahrscheinlichkeit, dass man diesen Klimaschutz
wirklich zu früh aufgibt, immer geringer; die Wahrscheinlichkeit, dass
dieser Klimaschutz eine unsinnige Investition ist, hingegen immer größer.
## Alternative Armutsbekämpfung
Kann man es verantworten, diese Kosten-Nutzen-Abwägung zu ignorieren? Ist
es sinnvoll, auf möglicherweise geringe Wahrscheinlichkeiten einen
erheblichen Teil der volkswirtschaftlichen Ressourcen zu setzen? Zwar
könnten wir neben der notwendigen Anpassung an Klimaschäden noch bewirken,
dass der Klimawandel, nachdem entscheidende Kipppunkte gefallen sind, bei
vielleicht 4,5 statt bei 4,8 Grad Celsius gestoppt wird. Das wäre zwar auch
ein „Erfolg“. Dieser Erfolg wäre jedoch mit Klimaschutzpolitik, wie sie
derzeit in Europa praktiziert wird, zu teuer erkauft.
Die Bilanz in Form geretteter Leben könnte unter Beachtung der
Wahrscheinlichkeiten besser sein, wenn die für den Klimaschutz nötigen
Milliardeninvestitionen direkt in die auf den Klimaschutz ausgerichtete
Armutsbekämpfung fließen würden. Und das scheint eine sinnvolle Alternative
zu sein, sowohl was staatliches wie auch privates Engagement angeht. Privat
kann man, statt ein großes Auto zu erwerben, das Geld an entsprechende NGOs
spenden. Natürlich wäre eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse hilfreich.
Die müsste die für den Klimaschutz aufzuwendenden Kosten mit den
Wahrscheinlichkeiten vergleichen, den gewünschten Effekt zu erzielen.
Allerdings fürchte ich, eine solche Analyse wäre wegen der Komplexität der
Materie sowieso fehlerhaft.
Was wir derzeit sagen können, ist, dass wir einen erheblichen Anteil des
Bruttoinlandsprodukts für Klimaschutz im Sinne einer Orientierung an Paris
aufwenden müssten und wir dafür eventuell nur noch wenig Gewinn erwarten
könnten. Eventuell sind unsere Investitionen völlig umsonst und bewirken
nichts Gutes. Daher bietet sich eine Verschiebung der Mittel hin zur am
Klimaschutz orientierten Armutsbekämpfung an. Da erhalten wir fürs Geld
jedenfalls einen positiven Wohlfahrtseffekt. Allerdings bleibt zu bedenken,
dass dieses Ziel Armutsbekämpfung derzeit kaum jemand verfolgt und frei
werdendes Geld am ehesten in weitere Aufrüstung fließen würde.
Daher ist die zentrale Botschaft der neuen politischen Verhältnisse:
Deutsche und europäische Klimaschutzpolitik in den bekannten Varianten ist
auf den Prüfstand zu stellen! Sie kostet viel Geld, und ihre Ziele sind mit
immer größer werdender Wahrscheinlichkeit nicht mehr erreichbar. Das ist
die harte Einsicht, der wir uns nicht mehr verschließen können. Ob es
wirklich erforderlich ist, den Klimaschutz in Anlehnung an Paris
aufzugeben, wird uns die Empirie zeigen. Wenn wirklich entscheidende
Kipppunkte fallen, müssen wir die Konsequenz ziehen. In den derzeitig
unklaren Zeiten bleibt nur zu beobachten und auch radikale Konsequenzen als
Antwort auf die Phänomene zu erwägen.
22 Dec 2024
## LINKS
[1] /Trumps-Wiederwahl/!6049725
[2] /Risiken-der-Kohlenstoffspeicherung-CCS/!5995246
[3] https://www.watson.de/nachhaltigkeit/klima-umwelt/845531271-donald-trump-un…
## AUTOREN
Bernward Gesang
## TAGS
Erderwärmung
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