# taz.de -- WM 2034 in Saudi-Arabien: Megaevents und autoritäre Peitsche | |
> Neue Industriezweige und gesellschaftliche Reformen: Saudi-Arabien | |
> erfindet sich gerade neu. Gleichzeitig regiert der Kronprinz Mohammed bin | |
> Salman weiter mit harter Hand. | |
Bild: Besuch aus Großbritanien: Kronprinz Mohammed Bin Salman und Großbritani… | |
Berlin taz | Dass Saudi-Arabien Megaevents [1][wie die WM 2034] an Land | |
zieht, ist Teil einer groß angelegten Strategie. Kronprinz Mohammed bin | |
Salman (MBS) will seine Herrschaft sichern und arbeitet deshalb am Ruf des | |
Königreichs. Das Land erlebt gerade einen grundlegenden wirtschaftlichen | |
und gesellschaftlichen Umbau. Ziel ist es, die Wirtschaft unabhängig vom Öl | |
zu bekommen. | |
Neue Industriezweige – Sport und Unterhaltung, aber auch erneuerbare | |
Energien oder künstliche Intelligenz – werden gefördert. Der | |
Tourismussektor wird ausgebaut. Um Gäste anzulocken, werden im ganzen Land | |
von oben herab Großprojekte mit unzähligen Hotelanlagen geplant. Finanziert | |
wird das durch einen milliardenschweren Staatsfonds, auf dessen | |
Startfinanzierung private Investoren folgen sollen. | |
Die Wirtschaftsstrategie wird begleitet von gesellschaftlichen Reformen: Um | |
Gelder und Gäste ins Land zu holen und die Kreativindustrie ausbauen zu | |
können, hat sich das Land von seiner erzkonservativen Vergangenheit gelöst. | |
Der streng sunnitische wahhabitische Islam, der seit den frühen achtziger | |
Jahren tonangebend war, wird immer weiter zurückgedrängt. | |
Dass Jennifer Lopez letzten Monat vor einem Bühnenaufbau auftrat, der | |
unverkennbar [2][an die Kaaba in Mekka], das höchste Heiligtum im Islam, | |
erinnerte, stieß zwar auf Kritik. Vor wenigen Jahren wäre das jedoch völlig | |
unvorstellbar gewesen. Überhaupt: Konzerte gab es kaum, auch keine Kinos. | |
Mittlerweile erregt ein Filmfestival in Jeddah internationale | |
Aufmerksamkeit, die Filmindustrie wird staatlich gefördert und eine Uni | |
bietet ein Film-Studium an. | |
Natürlich geht es dabei um mehr: Das Ganze dient auch der Sicherung der | |
autoritären Herrschaft und ist somit durchaus als Antwort auf den | |
Arabischen Frühling zu verstehen. Während sich das Land neu erfindet, | |
regiert MBS mit harter Hand. 2017 wurde er in einem Coup durch seinen Vater | |
zum Kronprinzen gemacht. Der Kronprinz, den MBS ersetzte, wurde unter | |
Hausarrest gestellt und ist seitdem verschwunden. Konkurrierende | |
Machtzentren in der Familie wurden ausgeschaltet. | |
Noch autoritärer, nicht demokratischer | |
Zwar würde MBS heute vermutlich alles tun, um einen spektakulären Mord wie | |
den am Journalisten Jamal Khashoggi 2018 zu verhindern. Dieser soll von | |
saudischen Agenten in Istanbul bei lebendigem Leibe zersägt worden sein. | |
Aber unter dem Radar bleiben Regimegegner*innen und Aktivist*innen | |
auch heute noch weggesperrt. Letztes Jahr wurde ein pensionierter Lehrer | |
etwa für kritische Social-Media-Posts zum Tode verurteilt. Saudi-Arabien | |
ist noch autoritärer geworden, nicht demokratischer. | |
Doch all die Entwicklungen im Land als Kosmetik abzutun und allein mit dem | |
Ziel der Herrschaftssicherung zu erklären, wird der Realität nicht gerecht. | |
Wirtschaft und Gesellschaft sind tatsächlich im Wandel. Und trotz | |
nicht-existenter politischer Freiheiten begrüßen breite | |
Bevölkerungsschichten dies. [3][Viele Neuerungen] – [4][autofahrende | |
Frauen], die Musik-, Comedy- und Kunstszene – sind genuine, ursprünglich | |
von unten angestoßenen Entwicklungen. Schon lange bevor MBS an die Macht | |
kam, drängten Frauen auf die Straßen sowie auf den Arbeitsmarkt, forderten | |
progressive Kulturschaffende mehr Freiheiten. | |
Schülerinnen und Schüler lernen mittlerweile übrigens Chinesisch, um die | |
geopolitische und wirtschaftliche Neuausrichtung zu flankieren. | |
Außenpolitisch verfolgt MBS eine Null-Probleme-Politik. Mit dem einstigen | |
Erzfeind Iran kommt man wieder aus, an Israel nähert man sich trotz | |
Gaza-Krieg an, man kann mit den USA, aber auch mit China und Russland. | |
Seinen Reichtum und die Vorteile, die der Führung durch ihre autoritäre | |
Herrschaft entstehen, nutzt das Land aus. Mit diesem Kurs wähnt es sich auf | |
der Überholspur – und ist es vielleicht auch. | |
Dass nicht alle der aktuell geplanten Riesenprojekte umgesetzt werden, mag | |
sein. Natürlich klingt es absurd, dass bald schon eine Schnellbahn in der | |
noch zu bauenden Rotmeer-Planstadt „The Line“ 170 Kilometer in 20 Minuten | |
zurücklegen soll. Aber die Saudis haben mit der sogenannten „Vision 2030“ | |
eine Entwicklungsstrategie – und die wird von vielen im Land unterstützt | |
und gefeiert. Dazu gehören auch all die Megaevents wie Live-Konzerte von | |
J.Lo oder eben die WM 2034. | |
11 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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