# taz.de -- Hilfslieferungen für den Gazastreifen: Kriminelle Geschäfte mit d… | |
> Laut Berichten aus dem Gazastreifen wird ein Großteil der | |
> Hilfslieferungen von Banden geplündert – teils unter den Augen der | |
> israelischen Armee. | |
Bild: Khan Younis, südlicher Gazastreifen, Anfang Dezember: Ein Palästinenser… | |
Kairo taz | Als ob die Versorgungslage im [1][Gazastreifen] nicht schon | |
verzweifelt genug ist, weil die israelische Armee zu wenige | |
Hilfslieferungen hineinlässt, ist in den letzten Wochen noch ein | |
zusätzliches Problem dazugekommen: Das Wenige, das ankommt, wird zunehmend | |
von bewaffneten palästinensischen Banden geplündert. | |
Phillipe Lazzarini, der Chef der [2][UNWRA], der UN-Organisation, die für | |
die palästinensischen Flüchtlinge im Gazastreifen zuständig ist, schlug | |
Mitte November Alarm, als an einem Tag von 109 durchgelassenen Lastwagen 97 | |
ausgeraubt wurden. Die Fahrer wurden von maskierten Männern mit gezogenen | |
Waffen angegriffen. Lazzarini sprach von einem totalen Zusammenbruch von | |
Recht und Ordnung, ohne über die Täter nähere Angaben zu machen. | |
Nachdem die von der [3][Hamas] kontrollierte Polizei im Gazastreifen immer | |
wieder das Ziel von israelischen Angriffen geworden waren, sind die | |
Polizisten abgetaucht. Noch vor vier bis fünf Monaten waren die | |
Hilfskonvois begleitet worden. Das sei aber vorbei, erklärte Lazzarini. | |
Derweil sind es ohnehin zu wenige Lkw, die für die Versorgung der | |
Bevölkerung von 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen über die Grenze | |
kommen. Anfang November waren es laut UN-Angaben im Schnitt weniger als 70 | |
Lkws am Tag mit Hilfslieferungen, benötigt würden mindestens 500. | |
## Viele haben Angst, über die Plünderer zu sprechen | |
Für die Fahrer der Lkw ist eine Fahrt in den Gazastreifen eine Fahrt ins | |
Ungewisse. „Natürlich haben die Fahrer der Hilfsgüter Angst. Sie riskieren | |
ihr Leben. Sie wissen nicht, ob sie von der Tour und den bewaffneten Banden | |
lebend zurückkehren“, erzählt Adel Amr von der palästinensischen | |
Speditionsgewerkschaft gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. | |
Währenddessen stehen Menschen in Khan Yunis verzweifelt stundenlang nach | |
Nahrungshilfslieferungen an, und der Frust ist groß. Sie haben Angst, über | |
die Banden zu sprechen. Stattdessen reden sie abstrakt von den Händlern, | |
denen die Plünderer ihre Waren verkaufen und die sie wiederum für viel Geld | |
auf den Märkten weiter feilbieten. „Wir haben kein Geld, irgendetwas zu | |
kaufen. Sie stehlen alles und verkaufen es auf dem Markt“, fasst Udai | |
Nabhan dieses System gegenüber einem vom Autoren für diese Recherche | |
beauftragten Kameramann zusammen. | |
„Wir sterben hier vor Hunger, wegen der korrupten Händler, die im Namen der | |
Palästinenser stehlen. Sie sollten sich schämen. Möge Gott sie zur | |
Verantwortung ziehen“, sagt Abdallah Saad. Und Salwa Al-Maghari fügt hinzu, | |
dass sie hier seit Langem stehe, aber noch nichts abbekommen habe. | |
„Stattdessen verkaufen sie die Güter an uns. Wenn ihr sie verkaufen wollt, | |
dann gebt uns ein Einkommen. So haben wir weder ein Einkommen noch | |
Hilfsgüter“, schildert sie voller Wut. | |
Internationale Hilfsorganisationen haben immer wieder von der israelischen | |
Armee gefordert, als Besatzungsmacht für die Sicherheit der Konvois zu | |
sorgen. Die Washington Post zitiert aus einem internen UN-Memo, das der | |
Zeitung vorliegt. Dort heißt es, dass die kriminellen Banden direkt oder | |
indirekt vom Wohlwollen der israelischen Armee profitierten und sogar von | |
ihr beschützt würden. Danach gebe es sogar eine Art militärisches Lager der | |
Banden, „in einem Gebiet mit eingeschränktem Zugang, kontrolliert und | |
patrouilliert von der israelischen Armee“. | |
## Wer genau hinter den Banden steckt, bleibt nebulös | |
Auch die Plünderungen selbst fänden in einem Gebiet statt, das von der | |
israelischen Armee direkt kontrolliert werde. Die Armee streitet das ab. | |
In einer Erklärung von ihr heißt es, die Truppen hätten „gezielte | |
Gegenmaßnahmen“ gegen die Plünderer unternommen, „mit der Betonung auf | |
Terroristen abzuzielen und Kollateralschäden bei den Hilfslieferungen und | |
Elementen der internationalen Gemeinschaft zu verhindern“. | |
Doch die Washington Post hat mit über 20 Zeugen von Mitgliedern | |
internationaler Hilfsorganisationen über palästinensische Geschäftsleute | |
und Spediteure bis hin zu Augenzeugen der Überfälle gesprochen, die eine | |
andere Geschichte erzählen. Jan Egeland, der Generalsekretär des Norwegian | |
Refugee Council schilderte der Zeitung, dass er bei einer Fahrt in den | |
Gazastreifen, weniger als einen Kilometer vom israelischen Grenzübergang | |
entfernt, Männer mit Knüppeln am Straßenrand gesehen hätte. Mehrere Lkws | |
seien kurz darauf an dieser Stelle angegriffen worden. | |
„In dieser Enklave ist es unmöglich, irgendetwas ohne israelisches Wissen | |
zu unternehmen“, erklärte Egeland gegenüber der Washington Post. Auch Adham | |
Shuhaibar und Qaher Hameed, beides palästinensische Spediteure, berichten | |
der Zeitung, dass ihre Lkws weniger als 500 Meter entfernt vom nächsten | |
israelischen Militärposten ausgeraubt worden seien. | |
## Tödliche Unordnung | |
Wer genau hinter den Banden steckt, ist nebulös. Es werden einige | |
beduinische Familien des Tarabin-Stammes genannt, die angeblich für ihre | |
kriminellen Aktivitäten bekannt seien und die zunächst ihr Auskommen mit | |
Zigarettenschmuggel gefunden hätten, bevor sie sich diesem neuen | |
Geschäftsmodell zugewandt hätten. | |
Am 18. November vermeldete die Hamas in einer Erklärung, dass sie eine | |
Operation begonnen habe, gegen die Plünderungen vorzugehen, „die der | |
Gesellschaft ernsthaften Schaden zufügen“ und zu Anzeichen von Hunger auch | |
im südlichen Gazastreifen geführt hätten. | |
Als ersten Erfolg verkündete die Hamas, in einer Nacht- und Nebelaktion 20 | |
der mutmaßlichen Plünderer exekutiert zu haben. Überprüfen lässt sich das | |
alles nicht. Aber die Unordnung im Gazastreifen scheint so tödlich wie der | |
brutale Versuch, die Ordnung wiederherzustellen. Die Leidtragenden sind die | |
Zivilbevölkerung. | |
3 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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