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# taz.de -- Musiklegende Fermin Muguruza im Gespräch: „Ich gehöre der Kultu…
> Fermin Muguruza lieferte einst den Soundtrack der rebellischen Basken.
> Musik machte er weiter. Ein Gespräch zum 40. Bühnenjubiläum.
Bild: Fermin Muguruza: Für sein angekündigtes Konzert in Bilbao wurden innerh…
Vor 40 Jahren, 1984, erschien das erste Demo der wichtigsten Band des „Rock
Radikal Vasco“ der 1980er Jahre – Kortatu. Fermin Muguruza (61) hatte die
Band zusammen mit seinem Bruder Iñigo einst im baskischen Irun gegründete.
Sie löste sich nach nur vier Jahre und zwei Tourneen durch Europa und
Lateinamerika auf und wurde dennoch zur Legende.
Fermin Muguruza rief andere Projekte ins Leben, wie Negu Gorriak,
Brigadistak und veröffentlichte zahlreiche Soloalben. Die Mischung aus Punk
und Ska, die Kortatu bestimmte, wurde ständig reicher an Einflüssen: Hard
Rock, HipHop, Rap, Elektronik, Rhythmen unterschiedlichster Herkunft,
Muguruza lässt nichts aus – auch nicht andere Kunstformen wie den Film.
Während ihn die Kulturteile der großen Zeitungen in Spanien als genialen
Künstler loben, gilt er vielen als schwarzes Schaf. Denn er machte nie
einen Hehl aus seinen politischen Ansichten und verteidigt die
Unabhängigkeit des Baskenlandes von Spanien und Frankreich.
Am 17. Dezember, dem 60. Geburtstag seines 2019 [1][verstorbenen Bruders
Iñigo,] geht er auf Tour, sie beginnt im französisch/baskischen Biarritz
und führt ihn mit einer 9-köpfigen Band durch ganz Spanien, dann durch
Europa und anschließend nach Lateinamerika und selbst nach Tokio. Muguruza
wird dabei große Hallen in Städten wie Bilbao oder Madrid füllen, ein
Fußballstadion in Donostia (San Sebastián), und er macht Halt in allerlei
alternativen Veranstaltungsorten. Am 16. Mai 2025 ist die Show in Berlin im
SO36 zu sehen.
taz: Fermin Muguruza, eine internationale Tour, um 40 Jahre Kortatu zu
feiern. Sind Sie plötzlich nostalgisch geworden?
Muguruza: Nein. Die Idee ist nicht, 40 Jahre Kortatu zu feiern, sondern 40
Jahre auf der Bühne. Ich habe all die Jahre immer wieder Angebote für ein
Kortatu-Revival abgelehnt. Ich will kein Revival für einen Teil meines
Lebens. Deshalb habe ich ein Lied von jeder Platte ausgewählt. Insgesamt
33. Ich werde mit neun Musikern und Musikerinnen auftreten. Mit
Blasinstrumenten, Perkussion, baskischem Akkordeon. Ich will den Liedern
neue Kraft geben.
taz: Was haben Sie beim Zusammenstellen des Repertoires gelernt?
Muguruza: Zuerst einmal, dass viele Leute, die uns begleitet haben, nicht
mehr bei uns sind. Und dass alles, was ich gemacht habe, immer im Kontext
seiner Zeit stand. Jede Platte ist eine Art Chronik dessen, was gerade
geschah und wie es auf mich gewirkt hat.
taz: Große soziale Bewegungen haben ihren Soundtrack. Der Kampf gegen den
Vietnamkrieg ist Woodstock. Rock against Racism ist The Clash, die
Hausbesetzungen in Deutschland Slime, und die rebellische Jugend im
Baskenland, die an die Unabhängigkeit mittels bewaffnetem Kampf gegen
Spanien glaubte, hatte Ihre Musik. Wie erklären Sie sich, dass der
Soundtrack eines so spezifisches Kampfes in einem kleinen Land wie Euskadi
so weite Kreise zog?
Muguruza: Als wir in Lateinamerika bekannt wurden, haben wir das zuerst
nicht verstanden. Es gab noch kein Internet. Bis wir merkten, dass über uns
in Fanzines geschrieben wurde und die Leute dort Raubkopien in Umlauf
brachten. Sicher spielte dabei auch eine Rolle, dass immer wieder Basken
nach Lateinamerika ausgewandert sind, getrieben von unterschiedlichen
wirtschaftlichen Krisen und aus politischen Gründen, wie nach dem
spanischen Bürgerkrieg oder später in der Franco-Diktatur und selbst danach
noch aus ETA und Umfeld.
taz: Und die Bekanntheit in Europa?
Muguruza: Das ist etwas anderes. Uns war von Anfang an klar, dass wir uns
in den unabhängigen Musikkreisen bewegen wollten. Der Schritt nach
Frankreich war einfach. Das ging über den französischen Teil des
Baskenlandes. Wir hatten dadurch schnell Kontakte zu alternativen
Musikszene in Frankreich. Das war noch vor Mano Negra, die 1988 entstand,
als wir uns schon wieder auflösten. Es erschien eine LP beim unabhängigen
Label Red Rhino in Großbritannien, mit Stücken der ersten beiden
Kortatu-LPs. Dieser Sampler wurde in ganz Europa vertrieben. Unsere
Bekanntheit stieg von Konzert zu Konzert. Wir spielten in besetzten
Häusern, in alternativen Projekten wie der Roten Fabrik in Zürich,
selbstverwalteten Jugendzentren in Deutschland, wie etwa in Mannheim, dem
SO36 in Berlin. Wir hatten schnell Kontakt mit den alternativen Bewegungen
und auch mit dem, was sich Antiimperialisten nannte. Wir sollten nicht
vergessen, dass es damals nicht nur im Baskenland bewaffnete Gruppen gab,
sondern in vielen Teilen Europas, auch wenn diese Epoche vielerorts zu Ende
ging, es gab die RAF, die Roten Brigaden, Action directe und natürlich die
IRA. Und wir bewegten uns in einem internationalistischen Milieu. So war
die letzte Tour von Kortatu in Deutschland von der Kampagne „Waffen für El
Salvador“ geprägt.
taz: In der Kampagne spielte [2][auch die taz eine Rolle.] Dann stürzte
aber der ganze revolutionäre Traum wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Nach dem Mauerfall ging alles ganz schnell: Nicaragua Sandinista, das
Kortatu besungen hatte, ging unter, viele Guerillas in Lateinamerika
erreichten ihr Ziel nicht. Wie wirkte sich dies auf Ihr künstlerisches
Schaffen aus?
Muguruza: Natürlich hat uns das beeinflusst. Aber wir müssen auch sehen,
dass sich Kortatu bereits aufgelöst hatte, als all dies geschah. Mit Negu
Gorriak waren wir ab 1990 in einem ganz neuem Projekt, mit ganz neuer
Energie. Wir sangen jetzt nur noch auf Baskisch, waren Teil einer starken
kulturellen Bewegung. Wir griffen alles auf, was wir auf unseren Reisen
gelernt hatten. Wir gründeten unser eigenes Label. Und es gab eine neue
musikalische Richtung, der HipHop in den USA, der uns ebenfalls
beeinflusste. All das gab uns eine ganz besondere Kraft.
taz: Wo verortete sich Negu Gorriak?
Muguruza: Anfang 1989 scheiterten die Friedensgespräche zwischen ETA und
dem spanischen Staat in Algier. Ende des Jahres wurde ein baskischer
Angeordneter, der für eine Wiederaufnahme der Verhandlung eintrat, in
Madrid erschossen. Es war Staatsterrorismus. Damals sagte ein baskischer
Schriftsteller: „Der letzte Baske, der mit friedlichen Absichten gekommen
ist, wurde ermordet. Ich komme deshalb mit kriegerischen Absichten.“ Wir
sahen das ähnlich. In Madrid hatten wir vor allem mit selbstverwalteten
Projekten, mit Hausbesetzern, Antifa und Autonomen Kontakt. Das erste
Konzert von Negu Gorriak fand im Dezember 1990 beim jährlichen
Solidaritätsmarsch mit den Gefangenen vor dem Hochsicherheitsgefängnis in
Herrera de la Mancha statt, wo ein Großteil der ETA-Gefangenen einsaß. Das
war ein klares Statement.
taz: Mit einiger Verzögerung geriet auch die baskische Linke über die Frage
des bewaffneten Kampfs in die Krise. Hat das auch Negu Gorriak beeinflusst?
Muguruza: Ja, das letzte Studioalbum von Negu Gorriak 1995 – „Ideia
Zabaldu“ (Eine Idee verbreiten) – kam ganz anders daher. Wir hatten den
Friedensprozess in Nordirland kennengelernt, hatten nach den Verhandlungen
in El Salvador 1994 aktiv am Wahlkampf der FMLN teilgenommen, der Prozess
in Südafrika war in vollem Gange. Uns wurde klar: Der bewaffnete Kampf muss
beendet werden, auch im Baskenland. Es war Zeit, [3][für einen
Friedensprozess einzutreten.] Das führte zu Diskussionen mit denen, die der
Ansicht waren, weiterzumachen „bis zum endgültigen Sieg“. Debatten, wie sie
wohl überall stattfanden, wo es darum ging, einen Friedensprozess
einzuleiten.
taz: In einem Lied von Kortatu heißt es: „Die Gitarrensaiten geschärft
gegen die da oben.“ Warum haben Sie dennoch die Musik aufgegeben und sich
dem Film gewidmet?
Muguruza: Ich habe die Musik nie aufgegeben. Musik und Film sind Formen des
Kampfes. Auf meinen Alben erzähle ich Geschichten. Irgendwann habe ich
gemerkt, dass ich das auch mit filmischen Mitteln machen kann. Und dank
meiner Bekanntheit kann ich im Film Sachen erzählen, die nur schwierig zu
erzählen sind, so wie etwa mein erster Dokumentarfilm, der von der Musik in
Palästina handelt. Danach machte ich eine Serie für Al Jazeera über die
Musik in unterschiedlichen arabischen Ländern, dann einen Film über Frauen
in der Musik, darüber, wie sie praktisch unsichtbar sind, über die
Diskriminierung auch in der alternativen Szene. Und dann kam der
Zeichentrickfilm „Black is Beltza“, der mit dem spanischen Filmpreis Goya
ausgezeichnet wurde. All diese Filme haben mit Musik zu tun.
taz: Nach den 1980ern gab es einige große Protestbewegungen, wie die gegen
den Irakkrieg oder die der Empörten, die keinen Soundtrack haben. Wie
erklären Sie sich das?
Muguruza: Es gibt schon vereinzelt Lieder. In der Zeit des Irakkrieges zum
Beispiel Stücke von Rage against the Machine; als sie hier spielten, waren
sie alle in orangene Overalls gekleidet wie die Gefangenen in Guantanamo.
Zur Zeit der Empörten gab es in Frankreich die Gruppe Zebda in Toulouse,
die dieses Gefühl widerspiegelte. Aber ja, es gab keine musikalische
Bewegung als solche, auch wenn es viele sehr interessante Entwicklungen
gab.
taz: Das ist bis heute so. Oder sehen Sie Rebellion in der Musik?
Muguruza: Da braut sich etwas zusammen. Zum Beispiel in Frankreich. Die
ständigen Angriffe der extremen Rechten, die Beleidigungen gegen die
Stadtteile, in denen hauptsächlich Menschen mit Migrationshintergrund
leben, das wird explodieren. Es gibt da was, auch wenn sich das noch nicht
als Bewegung artikuliert. Wie das aussehen könnte, zeigt in Großbritannien
der Asian Unterground. Es entstand ein ganz neuer rebellischer,
kämpferischer Sound in den Stadtteilen der Einwanderer aus den ehemaligen
britischen Kolonien, Bangladesch, Pakistan. Gruppen wie Asian Dub
Foundation oder Fundamental sind eine Mischung aus traditioneller Musik,
die die Eltern mitgebracht hatten, und der Clubszene aus HipHop, Jungle,
Drum and Bass. Ich bin mir sicher, dass solche Bewegungen auch anderswo
entstehen werden.
taz: Auf dem Konzert werden Sie sicher „La Linea del Frente“ von Kortatu
spielen. Wo verläuft diese Front heute?
Muguruza: Die Frontlinie findet sich in den Kämpfen unterschiedlichster
Art. Zum Beispiel in den Protesten gegen die hohen Wohnungspreise, in der
Bewegung gegen das, was im Mittleren Osten zur Zeit geschieht, und einmal
mehr in Lateinamerika, wie etwa in Kolumbien, [4][wo erstmals die Linke
regiert,] dabei sah alles so aus, als ob das nie passieren würde. Jetzt ist
mit Petro ein Ex-Guerillero Präsident, dem es gelungen ist, all diejenigen
zu mobilisieren, die sonst nicht wählen gehen.
taz: In Europa, wo die extreme Rechte ständig wächst, erwarten uns hier
nicht erst einmal dunkle Jahre?
Muguruza: Kann sein. Ich gehöre der Kulturfront an. Wir müssen immer
versuchen, selbst in den größten Horror Licht zu bringen, indem wir gegen
eben diesen Horror ansingen.
21 Nov 2024
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## AUTOREN
Reiner Wandler
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