# taz.de -- Studie zu Klimaschutzprojekten: Schrottzertifikate für das gute Ge… | |
> Um Emissionen auszugleichen, können Unternehmen Zertifikate von | |
> Klimaschutzprojekten kaufen. Eine Studie zeigt nun: Die meisten | |
> versprechen zu viel. | |
Bild: Das System der Emissionsgutschriften sollte grundlegend reformiert werden | |
Berlin taz | Zertifikate, die eine Minderung von Treibhausgasemissionen | |
beglaubigen, halten meistens nicht, was sie versprechen. [1][Das ist das | |
Ergebnis einer Studie, die im Wissenschaftsmagazin Journal Nature | |
Communications veröffentlicht wurde.] Demnach werden nur 16 Prozent der | |
versprochenen Einsparungen mithilfe sogenannter Kohlenstoffgutschriften | |
tatsächlich erreicht. Diese Gutschriften können Unternehmen oder Staaten | |
erwerben, um den eigenen Treibhausgas-Ausstoß auszugleichen. Der | |
Mechanismus dahinter: Von dem für den Kauf der Gutschriften gezahlten Geld | |
werden Klimaschutzprojekte unterstützt, die Emissionen einsparen – | |
vermeintlich. | |
Die Studienergebnisse seien nicht überraschend, sagt Carsten Warnecke vom | |
NewClimate Institute. Es sei schon lange bekannt, dass das | |
Gutschriften-System das Klima nicht wirklich schütze. Er fordert deshalb, | |
es komplett aufzulösen. | |
[2][Denn bei der Erstellung der Gutschriften wird der Studie zufolge häufig | |
getrickst.] So werde beispielsweise eine Minderung von Emissionen | |
zertifiziert, die auch ohne das durch den Kauf eingenommene Geld erreicht | |
worden wäre. Im Rahmen der Forschungsarbeit haben die | |
Wissenschaftler*innen 65 bereits veröffentlichte Studien ausgewertet, | |
in denen unterschiedliche Klimaschutzprojekte und Maßnahmen weltweit | |
untersucht wurden. Insgesamt bezieht sich die Untersuchung den | |
Autor*innen zufolge damit auf rund ein Fünftel des bisher ausgegebenen | |
Gutschriftenvolumens. | |
## Gutschriftenhandel als Geschäftsmodell | |
Die Irreführung bei den Emissionsgutschriften habe System, meint | |
Kohlenstoffmarktexperte Warnecke. „Die Zertifikate für die | |
Klimaschutzprojekte werden nach privaten oder nach UN-Standards vergeben. | |
Aber diese Standards bieten oft große Schlupflöcher.“ Dadurch entstünden | |
Interpretationsspielräume, die von privaten Akteur*innen und Unternehmen | |
entlang der Handelskette genutzt würden, um Gewinne zu optimieren. | |
Selbst manche Standardsetzer, also diejenigen, die die Regeln gestalten, | |
hätten Interesse an den Schlupflöchern. Denn für jedes Zertifikat bekämen | |
sie eine Provision. „Es ist also logisch, dass sie versuchen, möglichst | |
viele Projekte als emissionsmindernd zu zertifizieren, auch wenn sie es de | |
facto gar nicht sind“, so Warnecke. | |
Würden die Zertifikate anschließend an der Börse gehandelt, verdienten | |
mehrere Zwischenhändler daran, sagt Warnecke. [3][„Diejenigen, die hingegen | |
nicht daran verdienen, sind oft die Gemeinschaften, in denen die | |
vermeintlichen Klimaschutzprojekte stattfinden.“] Das seien meist Länder im | |
globalen Süden. Die Projekte würden dort in der Regel von Unternehmen aus | |
wirtschaftlich stärkeren Industriestaaten umgesetzt. | |
## Erschwerte Bedingungen für den globalen Süden | |
Daraus ergibt sich laut Warnecke das nächste Problem, denn in einem | |
marktbasierten Anreizsystem suchen sich die Unternehmen ihm zufolge | |
möglichst günstige Projekte, um eine Emissionsgutschrift dafür zu erhalten. | |
„Damit graben sie den Ländern im globalen Süden die finanziell attraktiven | |
Möglichkeiten ab, im eignen Land Emissionen zu mindern.“ | |
Für die Erfüllung der eigenen Einsparungsziele müssten die Länder dann | |
nämlich in teurere Projekte investieren, die noch nicht von ausländischen | |
Unternehmen beansprucht wurden. Dadurch würde es unwahrscheinlicher, dass | |
diese Länder ihren Beitrag zur globalen Emissionsminderung leisten können. | |
Stattdessen sollten private Akteure oder wirtschaftlich starke Länder | |
Projekte umsetzen, die außerhalb der finanziellen Möglichkeiten der | |
Gastländer liegen, meint Warnecke. Das seien teurere Projekte mit | |
Technologien, die in den Gastländern heute noch nicht verfügbar seien. | |
Hierdurch würde Klimaschutz umgesetzt und zusätzlich der Grundgedanke | |
dieses Gutschriften-Systems erfüllt. | |
Das hat seine Wurzeln im Kyoto-Protokoll. Dort wurde unter dem | |
„Clean-Development-Mechanism“ geregelt, dass Industriestaaten Projekte in | |
sogenannten Entwicklungsländern unterstützen und dafür | |
Einsparungs-Gutschriften erhalten können. [4][Das Umweltbundesamt erläutert | |
auf seiner Website, dass dies auch die Funktion haben solle, | |
Entwicklungsländer durch Technologietransfer beim Aufbau einer | |
klimafreundlichen Wirtschaft nachhaltig zu unterstützten.] Laut den | |
Studienergebnissen ist dieses Ziel nicht erreicht worden. | |
Die Autor*innen der Studie aus dem Journal Nature Communications fordern | |
vor dem Hintergrund ihrer Erkenntnisse, das System der | |
Emissionsgutschriften grundlegend zu reformieren. Carsten Warnecke sieht | |
darin hingegen keinen Sinn mehr. Er plädiert gleich für die Abschaffung des | |
gesamten Mechanismus. | |
## Markt setzt falsche Anreize | |
„Das Problem ist, dass das Gutschriften-System marktbasiert ist“, sagt | |
Warnecke. Die Ware auf diesem Markt sei das Recht, CO₂-Äquivalente zu | |
emittieren. Das setze falsche Anreize, da es den Druck von den Emittenten | |
nehme, Emissionen tatsächlich zu verringern. „Es liegt in der Natur des | |
Marktes, dass die Beteiligten Gewinnoptimierung betreiben. Sie versuchen | |
also, möglichst viele Produkte – also Treibhausgase – zu verkaufen.“ | |
In der Konsequenz führe das zu Investitionen in die billigsten und oft | |
unwirksame Klimaschutzprojekte auf der einen Seite und einem Anstieg an | |
Emissions-Gutschriften auf der anderen. „Das Gutschriften-System führt | |
letztendlich also zu einem Anstieg der Emissionen und trägt nicht dazu bei, | |
sie zu verringern.“ | |
Das System der Emissionsgutschriften wurde vom Kyoto-Protokoll in das | |
Pariser Klimaabkommen übertragen. Am ersten Tag der 29. UN-Klimakonferenz, | |
[5][die aktuell in Aserbaidschan stattfindet], haben sich die Teilnehmenden | |
auf die Schaffung neuer Standards für das System geeinigt. [6][In der | |
Pressemitteilung heißt es, diese Standards würden sicherstellen, dass der | |
internationale Kohlenstoffmarkt eine hohe Integrität aufweise „und dass | |
Emissionsreduktionen und -entnahmen real, zusätzlich, überprüft und messbar | |
sind.“] | |
„Dass dieses wichtige Thema schon vor der Konferenz ausformuliert und den | |
Teilnehmern in der ersten Sitzung zur Zustimmung vorgelegt wurde, anstatt | |
es wie üblich als Verhandlungsgrundlage in die Prozesse zu geben, zeigt, | |
wie hoch der Druck war, endlich überhaupt einen Kompromiss zu finden“, | |
meint Carsten Warnecke. | |
Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, in dem unter anderem | |
Emissionsgutschriften geregelt werden, könne das gesamte Abkommen | |
aushöhlen. „Ein unambitioniertes Regelwerk mit Unschärfen wird leider | |
wieder zu Projekten führen, die die internationalen Klimaschutzambitionen | |
untergraben. Zukünftige Studien werden uns dann leider wieder auf ähnlich | |
miserable Bilanzen hinweisen.“ | |
16 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nature.com/articles/s41467-024-53645-z | |
[2] /Wegen-Betrugs-in-China/!6035047 | |
[3] /Nachteile-fuer-afrikanische-Laender/!5975958 | |
[4] https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/internationale-marktmechanismen#… | |
[5] /Warnungen-und-Appelle/!6045641 | |
[6] https://cop29.az/en/media-hub/news/cop29-opens-in-baku-with-breakthrough-on… | |
## AUTOREN | |
Marie Gogoll | |
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