# taz.de -- US-Präsidentschaftswahlen: Warum wählen sie Trump? | |
> Der Vater unseres Autors war Maschinist in Pennsylvania, ist in den | |
> 1990ern unter Bill Clinton arbeitslos geworden. Wie denken er und | |
> Kollegen heute? | |
Bild: Präsidentschaftskandidat Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Pittsburgh… | |
Berlin taz | Als wir uns den Schlaf aus den Augen wischten, war er längst | |
weg. Unser Vater hatte uns in der Hütte im Wald zurückgelassen, um zurück | |
nach Scranton zu fahren und eine spontane Schicht in der Fabrik zu | |
arbeiten. Während wir den endlosen, ruhigen Sommertag beim Schwimmen in | |
einer stillen Bucht des Lake Wallenpaupack verbrachten und davon träumten, | |
ein eigenes Boot zu haben, bohrte er schwitzend Löcher durch Stahl. | |
Solche Tage gab es während meiner Jugend häufiger. Für meinen Vater wurde | |
es aber zunehmend schwieriger, und in der Fabrik wurden viele Arbeiter | |
entlassen. Das hieß mehr Zeit mit Papa, doch für ihn und seine | |
Maschinistenkollegen bedeutete es vor allem Arbeitslosigkeit und | |
Ungewissheit. Der Antrag auf Sozialhilfe wurde abgelehnt und mein Dad | |
missmutig. | |
Pennsylvania ist ein komplexer [1][Swing State], und mein Vater und seine | |
Kollegen in der gewerkschaftlich organisierten Maschinenfabrik von General | |
Dynamics gehören zu einer der wichtigsten Wählergruppen: weiße Wähler aus | |
der Arbeiter- und Mittelschicht. Ich habe mit einigen von ihnen gesprochen, | |
um zu verstehen, was sie vor der Präsidentschaftswahl umtreibt. | |
Alle sind sich einig, dass der Abstieg in den 1990ern begann. Schuld hatten | |
für meinen Vater das [2][NAFTA-Handelsabkommen] und die Demokraten. Das | |
Abkommen trat 1994 unter Präsident Bill Clinton in Kraft, um Mexiko auf | |
Augenhöhe mit den USA zu bringen, den Handel zu fördern und die | |
Einwanderung einzudämmen. Doch besonders die Arbeitsplätze im | |
verarbeitenden Gewerbe wurden zunehmend über die Grenze nach Süden | |
verlagert – wie die in den kleinen Maschinenwerkstätten der NEPA-Region | |
(Northeastern Pennsylvania). | |
## Über allem steht die Arbeitsmoral und die Idee von früher | |
Obwohl es sich bei NAFTA um einen Vertrag handelte, dem alle Parteien | |
zugestimmt hatten, schoben die Republikaner die negativen Folgen des | |
Abkommens erfolgreich den Demokraten zu. Einst treue Wähler aus der | |
Arbeiter- und Mittelschicht fühlten sich von den Demokraten im Stich | |
gelassen und getäuscht. | |
Doch wieso unterstützen sie einen Mann wie Trump, der politische Gegner | |
beleidigt, befreundete Staaten vor den Kopf stößt, das Wahlsystem in Frage | |
stellt und zudem eine arbeitnehmerfeindliche Politik vertritt? Auf dem | |
Papier ist das Programm der Demokraten für die Mittelschicht besser als das | |
der Republikaner. Wieso aber erhalten die Demokraten immer weniger | |
Unterstützung aus dieser Gruppe? | |
James Rabarcak arbeitet als Production Manager bei General Dynamics. Mit | |
seinen 61 Jahren hat er viele Veränderungen erlebt. Er wuchs mit vier | |
Geschwistern in einer katholischen Arbeiterfamilie auf. Sein Vater | |
schuftete in der Zeche, seine Mutter war Krankenschwester. Er selbst ging | |
zunächst zu den Marines, wurde Maschinist und schließlich Manager. Diese | |
Herkunft prägt seine Weltsicht nachhaltig: Er glaubt an die | |
Leistungsgesellschaft, an Eigenverantwortung und Fleiß. | |
Eine Firma schickte Rabarcak ins Ausland, nach Japan und Deutschland, um | |
sicherzustellen, dass die Maschinen, die die Firma kaufen wollte, | |
funktionierten. Er sah, wie japanische Arbeiter einen Haufen Metall und | |
Teile nahmen und in 48 Stunden eine neue Maschine fertigstellten. „Das war | |
eine ganz andere Arbeitsmoral. 12 bis 14 Stunden am Tag. Das war vielleicht | |
ein bisschen viel, aber sie waren alle sehr engagiert. Im Vergleich mussten | |
wir ihnen wie ein fauler Haufen vorgekommen sein. Ich wünschte, wir hätten | |
diese Art von Arbeitsmoral in den USA.“ | |
## „Die Demokraten verschenken zu viel Geld“ | |
Er erinnert sich noch gut an den Kölner Dom, den Rhein – und die deutschen | |
Arbeiter. „Sie waren gelassener als ihre japanischen Kollegen und | |
glücklicher als die Amerikaner. Die Deutschen waren stolz auf ihre Arbeit | |
und überzeugt, dass sie das beste Produkt besaßen. Das sehe ich bei der | |
jüngeren Generation in den USA heute nicht mehr,“ sagt er. | |
„Früher wurde man für harte Arbeit belohnt. Ich war stolz auf unsere | |
Arbeitsmoral im Kohlebergbau. Jetzt strömen gering qualifizierte | |
Arbeitskräfte über die Grenze. Billige chinesische Produkte breiten sich | |
aus. Wir verlieren in der NEPA-Region die Basis an Fachkräften. Es wird | |
bald zu Ende gehen,“ fürchtet Rabarcak. | |
„Gerade der jüngeren Generation fällt es schwer zu glauben, dass sich harte | |
Arbeit noch lohnt, das System scheint gegen sie zu sein“, werfe ich ein, | |
„Sie können sich keine Häuser oder eine adäquate Gesundheitsversorgung | |
leisten, sie haben hohe Studienkredite und das Klima steht vor dem Kollaps. | |
Die Leute haben das Gefühl, dass sich der Aufwand nicht lohnt.“ | |
„Nein, so sehe ich das nicht“, entgegnet Rabarcak. Ich frage ihn was aus | |
seiner Sicht die Lösung sei. „Sie zahlen hier unglaubliche Löhne, aber | |
niemand nimmt das Angebot an! Ich denke, es ist ein Problem des | |
Wohlfahrtsstaates. Ich glaube, die Demokraten verschenken zu viel Geld, und | |
das macht die Leute faul.“ | |
## Andrew hat zu allem eine Meinung – und wählt Trump | |
Als ich Andrew Andrewsh, 35, am Telefon erreiche, schließt er gerade seine | |
Haustür auf, begrüßt seine halbkoreanische Frau, seine drei Töchter und | |
seine Schwiegermutter – und ruft Ihnen zu: „Sorry, ich habe Deutschland am | |
Apparat!“ Er ist naturverbunden und handwerklich begabt. Sein Stiefvater | |
weckte in ihm die Begeisterung für Mechanik. | |
Der 11. September 2001, die Anschläge auf New York und Washington, waren | |
für ihn ein Schlüsselerlebnis. Fast nostalgisch erinnert er sich an die | |
Zeit danach: „Die Welt stand still, aber wir standen zusammen. Es herrschte | |
Einigkeit, jenseits von Herkunft oder politischen Überzeugungen. Wir haben | |
alle zusammengehalten. Daran müssen wir wieder anknüpfen. Wir müssen die | |
Menschen und ihre Unterschiede respektieren.“ | |
Ich frage ihn, ob er Rassismus und Gewalt von Rechts heute als Problem | |
wahrnehme. Dem stimmt er zu, aber mit Trump habe das wenig zu tun: „Trumps | |
faschistische, rassistische Rhetorik ist nur Schall und Rauch. Er ist ein | |
Arsch und sagt Dinge, die er nicht sagen sollte, aber wir müssen uns eben | |
gegen diesen Unsinn wehren.“ „Gegen welchen Unsinn?“ „[3][BLM [Black Li… | |
Matter]], Transgender-Toiletten.“ Er kennt die Positionen der Black Lives | |
Matter nicht wirklich, nur vom Hörensagen, ist skeptisch gegenüber | |
Schlagworten wie „weißes Privileg“, aber zugleich sicher, dass rassistische | |
und vorurteilsbehaftete Systeme existieren. | |
Der nachdenkliche, gesprächige Andrew hat zu allem eine Meinung, von den | |
Medien über die Wirtschaft und den Klimawandel bis hin zu [4][Taylor | |
Swift]. Einige seiner Ansichten sind sachlich, andere grenzen an | |
Verschwörungstheorien. „Ich traue niemandem, außer vielleicht meiner | |
Schwiegermutter. Sie war Klempnerin!“ Das viele Geld in der Politik sei | |
definitiv ein Problem – zu viele Leute wollen sich bereichern. Trump | |
allerdings sei schon so reich, dass er „das gar nicht nötig“ habe. | |
## Scranton, das Zentrum der Welt | |
Andrews Mangel an Vertrauen in das politische System ist kein Einzelfall. | |
Mehr als zwei Drittel der republikanischen Wähler glauben zum Beispiel an | |
die sogenannte „Big Lie“, also daran, dass Joe Biden in 2020 nur durch | |
Wahlbetrug an die Macht gekommen sei. Es ist schwer, sich in diesem | |
Wahlkampf auf Fakten zu einigen. Desinformationen verfangen leicht. | |
Mich interessiert darum, welche Nachrichten meine Gesprächspartner | |
konsumieren. Sowohl Andrew als auch James geben an, Medien von beiden | |
Seiten des politischen Spektrums zu beziehen. James´ favorisiert Fox News, | |
aber ab und an schaue er auch BBC, „um aus der Amerika-Blase | |
herauszukommen“, wie er sagt. | |
Im Werk von General Dynamics werden gepanzerte Fahrzeuge gefertigt, die | |
auch in der Ukraine zum Einsatz kommen. „Was hältst du davon, dass Trump | |
droht, die Hilfe an die Ukraine einzuschränken und der Nato die | |
Unterstützung zu entziehen“, frage ich Andrew. „Krieg ist dumm und | |
egoistisch“, antwortet er. „Russland braucht das nicht. Was nützt es, wenn | |
all diese Frauen und Kinder sterben? Wir müssen uns zusammensetzen und | |
einfach über alles reden.“ Andrew setzt auf Verhandlungen. | |
„Die anderen Nationen zahlen ihren gerechten Anteil nicht“, moniert James | |
die Mängel der Nato. „Magst du Trump?“, möchte ich von ihm wissen. „Wir | |
würden keine Freunde werden, aber ich glaube, dass seine Politik | |
funktionieren kann.“ | |
James, Andrew und mein Vater legen Wert auf harte Arbeit. Sie wollen, dass | |
Leute ihren eigenen Beitrag leisten. Das sei nur fair, sagen sie. Und wie | |
alle anderen machen sie sich Sorgen um die Zukunft. Wir leben schließlich | |
in unsicheren Zeiten: Pandemien, Kriege und i[5][mmer extremere | |
Wetterphänomene] fordern unsere Gesellschaften heraus. Ist unser | |
politisches System dem gewachsen? Haben unsere Regierungen die richtigen | |
Antworten? Ihre Fragen sind berechtigt, aber sind ihre Antworten auch | |
stimmig? | |
In Scranton scherzen wir, dass die Stadt das heimliche Zentrum des | |
Universums sei. Alle Wege führen hierher:die Anthrazitkohle, die die Welt | |
mit Energie versorgte, kommt ebenso hierher wie die Kohlestreiks, die diese | |
zum Stillstand brachten. Und dann ist da noch eine gewisse politische | |
Macht, weil Pennsylvania ein wahlentscheidender Swing State ist. | |
Ukraines Präsident Selenskjy war neulich dort und besichtigte die | |
Artillerie-Granatenfabrik Chamberlain. Meine Mutter beklagte sich im | |
Nachhinein über das Verkehrschaos – und gleich darauf über meinen Vater: Er | |
arbeite zu viel und habe keine Zeit, das Boot auf Lake Wallenpaupack | |
richtig zu genießen. | |
Der Autor ist US-Amerikaner, Mitarbeiter der taz Panter Stiftung und lebt | |
in Berlin. | |
5 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Robert Olechna | |
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