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# taz.de -- Politik und Freiheit der Wissenschaft: Wehrhafte Forschung und Lehre
> Als die Nazis 1930 in Thüringen in eine Regierung kamen, wollten sie
> Universitäten umbauen. Könnte auch eine AfD-Regierung Einfluss auf die
> Unis nehmen?
Bild: Universität, Planetarium, Zeiß-Hochhaus und Paradies: Postkartenmotive …
Am 15. November 1930 fand an der Universität Jena eine umstrittene
Lehrveranstaltung statt. Der nicht habilitierte Philologe Hans F. K.
Günther hatte soeben – entgegen vehementen Protesten vonseiten der
Universität – den neu geschaffenen Lehrstuhl für Sozialanthropologie
übernommen und hielt seine Antrittsvorlesung. Der Titel: „Über die Ursachen
des Rassenwandels der Bevölkerung Deutschlands seit der
Völkerwanderungszeit“. Mit im Publikum saßen Adolf Hitler, Hermann Göring
und Wilhelm Frick, der Mann, der den Rassenkundler an die Universität
berufen hatte.
Vier Jahre nach diesem Dammbruch war der Wandel der Universität Jena zu
einer [1][nationalsozialistischen Musteruniversität] vollzogen.
Symbolisch gekrönt wurde der Prozess am 10. November 1934, als die Uni von
den Nazis einen neuen Namen erhielt: Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Schiller galt seit 1933 als Patron der „nationalen Erhebung“. Den Namen
trägt die Universität bis heute, am Sonntag feiert er sein 90-jähriges
Jubiläum. Damals wie heute ist eine rechtsextreme Partei [2][stärkste Kraft
in Thüringen]. Noch ist die AfD an keiner Landesregierung in Deutschland
beteiligt. Aber wie lange noch? Ist die Wissenschaft in Deutschland vor
einer ideologischen Gleichschaltung ausreichend geschützt?
Als sich Anfang 1930 in Thüringen für die Nationalsozialisten erstmals die
Möglichkeit bot, an einer [3][Landesregierung beteiligt zu sein], hatte
Hitler eine genaue Vorstellung, welche Ministerien seine Leute beanspruchen
sollten: Inneres und „Volksbildung“. Für Hitler war klar: „Wer diese bei…
Ministerien besitzt und rücksichtslos und beharrlich seine Macht in ihnen
ausübt, kann Außerordentliches [be]wirken.“ Schnell war ein Mann für die
Stelle gefunden. Wilhelm Frick, Teilnehmer am Hitler-Putsch 1923, wurde
Thüringer Innen- und Bildungsminister und machte sich sofort an die Arbeit.
Unliebsame, republiktreue Beamte tauschte er gegen NS-Leute aus, in Schulen
verbot er Antikriegsbücher wie Erich Maria Remarques Roman „Im Westen
nichts Neues“, und in staatlichen Museen ließ er Werke von nicht
„nordisch-deutschen“ Künstler:innen wie Wassily Kandinsky abhängen.
Besonders offensiv setzte Frick die NS-Ideologie an Hochschulen durch, wie
etwa in Jena mit der Berufung des Rassentheoretikers Günther. Den konnte
Frick als Bildungsminister einfach an der Universität einsetzen, obwohl der
Rektor sich dagegen wehrte.
## Einflussnahme über Geld
Heute wäre so eine direkte Einflussnahme eines Wissenschaftsministeriums
unmöglich, erklärt Andreas Knie. Der 63-Jährige ist Professor für
Soziologie an der TU Berlin und leitete am Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung die Gruppe Wissenschaftspolitik. „Die Wissenschaft ist
eigenständig, hat eigene Qualitätskriterien und ist damit unabhängig“, sagt
Knie. Indirekt sei Einflussnahme aber durchaus möglich, erklärt er, denn:
„Wissenschaft braucht natürlich Geld.“ Genau dieses Geld erhalten
Hochschulen in Deutschland vor allem [4][aus staatlichen Quellen], 90
Prozent stammen aus öffentlicher Hand und davon etwa 75 Prozent von den
Ländern.
Sollte also eine Partei wie die AfD, die in ihrem Grundsatzprogramm
fordert, etwa „[5][Genderforschung“ nicht länger zu unterstützen], ein
Forschungsministerium übernehmen, könnten Förderprogramme gekürzt oder ganz
gestrichen werden. „Damit könnte man die Vielfalt einschränken“, sagt Knie
und fügt hinzu: „Wenn man ausreichend Zeit hat, kann man Wissenschaft
ausbluten lassen.“
Auch in Personalfragen sind viele Universitäten nicht gänzlich unabhängig.
In einigen Bundesländern, darunter auch in Thüringen, können
Wissenschaftsminister:innen zwar nicht wie einst Wilhelm Frick
willkürlich Professuren erschaffen und besetzen. Sie können aber Berufungen
an Universitäten stoppen, wenn gegen die vorgeschlagenen Lehrpersonen
„Bedenken“ bestehen. Wie das ausgelegt wird, liegt beim Ministerium.
Angesichts der jüngsten Erfolge der AfD hat etwa die
Max-Planck-Gesellschaft bereits infrage gestellt, inwieweit sie ihre
Institute in Ostdeutschland weiterhin betreiben können wird. Knie sieht
darin eine Gefahr: „Es gibt ein hohes Sabotagepotenzial. Dann steht der
Unibetrieb still, denn die Lehrstühle werden nicht besetzt.“
Ein AfD-Ministerium dürfte dann zwar keine Gegenkandidat:innen
einsetzen, es dürfte sie aber vorschlagen. Dieser Vorschlag müsste dann
noch von der Hochschule angenommen werden. Genau hier sieht Knie den
entscheidenden Vorteil der heutigen Wissenschaft im Vergleich zu den
Verhältnissen vor 90 Jahren. Schon vor der Machtergreifung der Nazis waren
die Studierenden in der Weimarer Republik mehrheitlich rechts und auch
unter Lehrpersonen an Hochschulen sympathisierten viele mit dem
Nationalsozialismus. An der Universität Jena etwa war der
Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund Wegbereiter für die
Umwandlung zur NS-Musteruni.
Stand jetzt ist laut Knie eine solche Unterwanderung innerhalb der
Hochschulen unwahrscheinlich. „Quer durch alle Disziplinen, quer durch alle
Standorte ist in der Studierendenschaft eine tendenziell linke Haltung
vorherrschend“, sagt Knie. Auch im Lehrpersonal erkennt Knie keine Öffnung
hin zur AfD: „Ich wüsste im Moment von keinem Wissenschaftler von Relevanz,
der der AfD nahe ist.“
Viele Studierende an ostdeutschen Unis sprechen sich [6][offen gegen die
AfD] aus und äußern Sorge über die neuesten Wahlerfolge. An der Universität
Jena hat sich aus Studierenden das Bündnis [7][Uni gegen Rechts] gegründet.
Helen Würflein engagiert sich dort für eine klare Positionierung der
Universität gegen extrem rechte Politik und fordert die
Universitätsleistung auf, sich für die Möglichkeit einer AfD-Regierung zu
wappnen. Lange Zeit habe man sich nicht genug mit der politischen Lage
jenseits der Finanzierung der Universität beschäftigt. Da müsse ein anderes
Bewusstsein her, fordert die Mathematikstudentin und fügt hinzu: „Die
Hochschulleitung muss die demokratischen Parteien im Landtag auffordern,
die Freiheit der Wissenschaft, der Lehre und der Studierenden zu schützen.“
Progressive Dozierende, die durch parteitreue, ideologisch getriebene
Professor:innen ausgetauscht werden und rechtsextreme Inhalte, die an
Hochschulen unterrichtet werden, sind also unwahrscheinlich, auch im Fall
einer AfD-Landesregierung. Chaos, Sabotage und systematische
Unterfinanzierung sind aber durchaus denkbar. In europäischen Ländern mit
rechtspopulistischen Regierungen, [8][wie den Niederlande]n oder Italien,
ist dieser Effekt schon spürbar. Sozialwissenschaftler Knie schlägt deshalb
vor, eine Überarbeitung der Hochschulgesetze in Erwägung zu ziehen.
„Hochschulen sollten in die Lage versetzt werden, Führungspersonal
selbstständig und nach wissenschaftlichen Kriterien zu besetzen“, sagt
Knie. Ähnlich wie die oft diskutierte Sicherung des
Bundesverfassungsgerichts gegenüber politischer Einflussnahme, könnte so
auch die freie Wissenschaft geschützt werden.
9 Nov 2024
## LINKS
[1] /Nazis-an-der-Macht-in-Weimar/!6032325
[2] /Rechtsextremismus-in-Thueringen/!6029722
[3] /Nazis-an-der-Macht-in-Weimar/!6032325
[4] https://www.hrk.de/themen/hochschulsystem/hochschulfinanzierung/
[5] /Genderdebatten-in-Thueringen/!5893734
[6] /Rechtsruck-bei-Kommunalwahl-in-Thueringen/!6010295
[7] https://unigegenrechts.org/
[8] https://www.nature.com/articles/d41586-024-03506-y
## AUTOREN
Lorenzo Gavarini
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Rechte Szene
Faschismus
Wissenschaft
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