| # taz.de -- Die Wahrheit: Wohin des Weges, Wachstube? | |
| > Die einen sagen so, die anderen so. Und am Schluss landet die | |
| > Gehirnarchäologin wegen der zwiespältigen Wortbetonung in der | |
| > Wortspielhölle. | |
| Neulich tauchte in einer allgemein zugänglichen Schreibbude eine Frage auf. | |
| Ich hatte in eine überaus intelligente Supergeschichte, in der ich einfach | |
| nur erzählen wollte, wie ich mal beinahe verhaftet wurde, das Wort | |
| „Wachstube“ elegant einfließen lassen. Da entbrannte gleich ein Zwist | |
| zweier widerstreitender Strömungen. | |
| Die Vertreter der einen Seite rätselten darüber, ob man Wachs in Tuben | |
| füllen sollte, und wenn ja, warum? Die Verfechter der anderen Seite | |
| zerbrachen sich ihre Köpfe darüber, wie man denn das Wort „Wachstube“ | |
| anders interpretieren könne, als dass es mit Polizei zu tun hat – und wo | |
| niemand sein will. | |
| Jetzt geriet ich auch ins Schlingern beim erneuten Lesen des Wortes | |
| „Wachstube“. Warum war mir das Wort so seltsam vertraut? Wie ein Archäologe | |
| kramte ich in meinem Gehirn herum, aber das wurde mir bald zu langweilig, | |
| weil ich da nur blödes Kindergartensandkastenzeugs fand. | |
| Ich wurde das Wort einfach nicht mehr los. Es belagerte mich wie einst die | |
| Sarazenen die Hunnen oder umgekehrt. Ich musste also zu radikaleren Mitteln | |
| greifen und bemühte einen sagenumwobenen Gott aus einer anderen Dimension, | |
| der mehr oder weniger zuverlässig selbst die dämlichsten Fragen des | |
| Universums beantwortet. | |
| Was der ausspuckte, erschütterte mich in den Grundfesten meiner Seele! | |
| Dieses wunderschöne, mystische Wort wurde – erklärt! Mit dieser | |
| entsetzlichen Entzauberung hatte ich nicht gerechnet, ich wollte meine | |
| verletzliche „Wachstube“ heile wieder nach Hause bringen und nahm das arme | |
| Wort behutsam auf, legte es in ein Wattekörbchen, träufelte ihm Ambrosius | |
| ins Mäulchen und ließ es erst einmal schlafen. | |
| ## Kleines Paradies von Wortakrobaten | |
| Ich selbst hingegen fand fortan keinen Schlaf mehr. Daher schloss ich mich | |
| – wie so oft zuvor in Krisenzeiten – abermals einem usbekischen | |
| Wanderzirkus an. Die Artisten waren alle genauso blöd wie ich oder marginal | |
| klüger. Dort fühlte ich mich so glücklich wie nie zuvor. | |
| Bis zu dem Tag, an dem unser kleines Paradies von Wortakrobaten gekapert | |
| wurde, die mich packten, verschnürten, auf kürzestem Wege wieder in den | |
| Kerker der Worthölle warfen und mich mit eisernen Assoziationsketten | |
| kopfüber an die steinernen Wände schmiedeten. Ach, wenn es doch wenigstens | |
| eine Wortspielhölle gewesen wäre, aber nein. Ich bin bis zum Ende aller | |
| Zeiten dazu verurteilt, über das arme Wort „Wachstube“ nachzudenken, das | |
| irgendwo sitzt und selbst nicht weiß, ob es Fisch oder Fleisch ist. | |
| Neuerdings sind die grausamen Wärter, die mich nebenbei noch gern mit | |
| Schikanen quälen, auf eine neue Bosheit gekommen: Jetzt soll ich auch noch | |
| über das Wort „Schreibbude“ nachdenken. Und jeden Nachmittag um drei kommt | |
| irgendjemand vorbei, um mir semantische Vorträge oder so was zu halten. | |
| Verdammt, Zeus! Ich hatte es doch gar nicht böse gemeint! Wirklich nicht! | |
| 6 Nov 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Corinna Stegemann | |
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