# taz.de -- Die Wahrheit: Der glückliche Mafioso | |
> Die Italo-Woche der Wahrheit: Aus dem Leben eines ehrenwerten | |
> Gesellschafters mit Ideen, der arge Probleme mit seiner neapolitanischen | |
> Famiglia hat. | |
Bild: Gejagter oder Jäger? Mafioso oder Gegenspieler? | |
Carmelino Baritono hatte Angst vor Hummern und Kalbsleber. Diese Angst | |
begleitete ihn schon seit seiner Kindheit in Sizilien. Daher mied er die | |
monatlichen Treffen bei Don Luca Ferrara wie der Teufel das Weihwasser – | |
wenn es ging. Aber meistens ging es nicht. Don Luca Ferrara war einfach zu | |
mächtig. Und immer servierte er Hummer und Kalbsleber. Carmelino Baritono | |
schüttelte sich vor Abscheu und bekreuzigte sich. Don Luca Ferrara fraß den | |
Hummer immer bei lebendigem Leibe und die Leber roh aus dem noch zappelnden | |
Kälberleib. Zumindest in Carmelino Baritonos schrecklichen Träumen, die er | |
Nacht für Nacht durchleben musste. | |
In Wirklichkeit war Carmelino Baritono Vegetarier, und er litt unter einer | |
Messerphobie. Er konnte nicht mal eine Pizza schneiden, ohne dabei in | |
Tränen auszubrechen. Seinen Mafia-Master an der Organisations-Universität | |
hatte sein Onkel ihm gekauft, weil Carmelino Baritono schon beim | |
Syndikats-Bachelor durchgefallen war. Und gekochte Nudeln nahm er aus dem | |
italienischen Ristorante immer mit zu sich nach Hause, um sie wieder | |
aufzupäppeln, die armen Dinger. | |
Genauso ging es ihm mit Ratten: Immer, wenn er eine Ratte halb | |
totgeschlagen und aus dem Fenster geschmissen hatte, rannte er danach | |
hinunter, um nachzusehen, ob die betreffende Ratte wohlauf war oder sich | |
vielleicht ein Bein gebrochen hatte. Und wenn sie sich dann erwartungsgemäß | |
als leidend entpuppte, brachte er sie in das beste Rattenheim des Landes | |
und zahlte ihr den luxuriösen Aufenthalt, bis sie eines natürlichen Todes | |
starb. Und er hatte schon verdammt viele Ratten halbtot geprügelt. Das war | |
teuer. | |
## Gefährliche Blicke | |
Aber Carmelino Baritono hatte noch ein anderes Laster, außer seiner Angst | |
vor Don Luca Ferrara: Er war süchtig nach Ariadne. Ariadne war die schönste | |
Frau der Welt. Sie war nicht nur unbeschreiblich liebreizend, sie war noch | |
dazu die Godmother der Napoli-Familie – sie war schon ein anderes Kaliber. | |
Sie konnte, wenn sie wollte, mit einem bloßen Blick, den niemand außer | |
ihren Familienmitgliedern richtig deuten konnte, unterschiedliche Befehle | |
geben. Und das war verdammt gefährlich, weil die Neapel-Familie auch mit | |
einem hohen Mitglied des Opus Dei, wahrscheinlich dem Papst, verbandelt | |
war. | |
Carmelino Baritono dachte gern erst einmal nach. Dann kam ihm eine Idee. | |
Doch die musste dann bis morgen warten, weil eine andere Idee sich | |
vordrängelte. Doch die erwies sich wiederum als untauglich, daher verwarf | |
er sie, und die erste Idee hatte er zwischenzeitlich vergessen. | |
## Teure Geschenke | |
Aber eines Tages kam ihm subito eine dritte Idee, die mit dem | |
Automobilhersteller Ferrari zu tun hatte: Wenn man an alle Abiturientinnen, | |
die zum Abitur von Don Papa einen „kleinen italienischen Flitzer“ (also | |
Mini-Fiats in Pastellfarben) geschenkt bekamen, kleine Ferrari-Aufkleber | |
mit dem Pferdchen verkaufte, dann könnten diese Mädchen ja bei den | |
Mafia-Treffen unter Schulfreundinnen viel besser angeben, als immer nur mit | |
dem täglichen Schulhofgeplauder: „Mein Don hat nämlich mehr in die Luft | |
gesprengt als deiner!“ Oder: „Mein Don hat es gar nicht nötig, irgendwas in | |
die Luft zu sprengen, er hat Arbeiter dafür!“ Die Aufklebermädchen könnten | |
dann behaupten, dass ihre billigen Schrott-Fiats absurd teure Ferraris | |
wären. | |
Doch auch diese Idee verwarf Carmelino Baritonado gleich wieder, er hatte | |
nämlich gerade das Problem, dass zwei schwarze Limousinen direkt vor seiner | |
sizilianischen Villa akkurat einparkten, aus denen Anzugmänner mit | |
Sonnenbrillen und Maschinengewehren ausstiegen. Doch die gingen Gott sei | |
Dank in die Nachbarvilla und richteten dort ein Blutbad an. Carmelino | |
Baritonado schüttete sich einen dreifachen Ramazotti mit Cinzano ins | |
Pistolenholster, bekreuzigte sich und legte eine alte Schallplatte von | |
seinem Schulfreund Adriano Celentano auf. | |
Es war sehr schade, dass der Kontakt zu Adriano mit Carmelino Baritonos | |
Einstieg in die Mafia langsam eingeschlafen war, Adrianos Musik war | |
fantastisch. Immerhin hatte Carmelino Baritono noch ein paar Fläschchen | |
Canneloni-Schnaps in petto, die er sich jetzt aus seinem mit Gold | |
verkleideten Betonfußschrank holte. Den eingefrorenen Pferdekopf wollte er | |
heute nicht mehr essen. Dann sinnierte er ein bisschen über dies und das | |
und schlief freudig ein. Was für ein glücklicher Mafioso er doch war! | |
16 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Corinna Stegemann | |
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