| # taz.de -- Privilegien reflektieren: Ihr seid doch alle nur Selbstdarsteller! | |
| > Unseren Kolumnisten nervt es, wenn Leute in unangebrachten Situationen | |
| > ihre Privilegiertheit reflektieren. Denn dabei geht es nicht um | |
| > Gerechtigkeit. | |
| Bild: Check deine Privilegien: Aber gerne doch! | |
| Letztens musste ich an eine Situation in meiner ersten Uniwoche denken. Wir | |
| liefen in einer kleinen Gruppe von Erstis zur Vorlesung, und weil sich | |
| keiner kannte, kam mal wieder die klassischste aller Small-Talk-Fragen auf: | |
| Woher kommt ihr? | |
| Niedersachsen, Schwaben, Hamburg – viele Orte waren vertreten, und alle | |
| antworteten brav. Eine Kommilitonin konnte es dabei aber nicht belassen. | |
| Sie, offenbar eine Berlinerin, sagte: „Ich komme aus Dahlem, bin also total | |
| privilegiert.“ Dahlem ist ein reicher Stadtteil, aber sie sagte es nicht | |
| hochnäsig, eher wie eine vorauseilende Entschuldigung. Ich war irritiert. | |
| Wieso musste dieser zweite Halbsatz sein, fragte ich mich. Hätte es nicht | |
| gereicht, einfach den Wohnort zu nennen, so wie es alle anderen auch taten? | |
| Schon vorher war mir der in einem Nebensatz daherkommende [1][Hinweis auf | |
| die eigenen Privilegien] oft begegnet. Er grassiert nicht nur im | |
| akademischen Kontext, sondern liegt auch in linken Kreisen voll im Trend. | |
| In jedem politisch angehauchten Seminar fühlt sich irgendwann irgendwer | |
| dazu berufen, die eigene Privilegiertheit zu bekunden. Warum nur? | |
| Sicherlich sind viele, die über Privilegien sprechen, um Gerechtigkeit | |
| bemüht. Sie weisen auch andere gerne – manchmal recht brüsk – auf deren | |
| Privilegien hin: „[2][Du bist weiß!]“, „Du bist reich!“, „[3][Du bist | |
| hetero!“]. und so weiter. Damit verbunden ist die Forderung, dass jeder | |
| hinterfragen sollte, aus welcher Perspektive er spricht und ob sich von | |
| diesem Standpunkt aus die Lebensrealität von weniger Privilegierten | |
| nachvollziehen lässt. Sinnbildlich dafür steht der Ausdruck „check your | |
| privileges“. | |
| ## Die Strategie ist offensichtlich | |
| Darum geht es mir aber gar nicht. Ich ärgere mich über diejenigen, die | |
| ungefragt und in völlig unpassenden Situationen ihre eigenen Privilegien | |
| benennen – wie die erwähnte Kommilitonin. Wir steckten schließlich nicht | |
| mitten in einer Diskussion über Ungleichheit, wo ein solcher Hinweis | |
| vielleicht angebracht wäre, um die eigene Sprecherposition zu | |
| verdeutlichen. Wir führten belanglosen Small Talk. Und je länger ich über | |
| den Sinn und Zweck dieser nervigen Bekenntnisse nachdenke, desto | |
| durchschaubarer erscheinen sie mir: Den bekennenden Privilegierten geht es | |
| um schnöde Selbstdarstellung! | |
| Ein harter Vorwurf, ich weiß. Aber die Strategie ist offensichtlich. In | |
| einem Nebensatz darauf hinzuweisen, dass man ja privilegiert sei, soll | |
| offenbar von erhabener Reflektiertheit zeugen. Die privilegierte Person | |
| will demonstrieren, dass sie ihre gesellschaftliche Stellung | |
| selbstverständlich bedacht hat – ganz so, wie es der Zeitgeist verlangt. | |
| Ihm oder ihr geht es darum, das eigene Reflektionsvermögen und | |
| Gerechtigkeitsbewusstsein zur Schau zu stellen. | |
| „Virtue signaling“ nennt man das, wenn Menschen versuchen, anderen ihre | |
| moralische Reinheit aufzuzeigen. Wer so reflektiert ist, so vor | |
| gedanklicher Reife strotzt – und das auch öffentlich zur Schau stellt –, | |
| dem kann man eigentlich nur gratulieren. Und genau das scheinen sich die | |
| bekennenden Privilegierten auch zu erhoffen. Sie würden am liebsten hören: | |
| „Wow, bist du reflektiert!“ Kurzum: Sie wollen nichts als prahlen. | |
| Den Privilegienprotzern würde ich gerne ein beherztes „Nervt nicht!“ | |
| zurufen. Es ist peinlich, wie sie sich in ihrer ach so reflektierten | |
| Haltung suhlen. Nach meiner Erfahrung verkommt der Hinweis auf die eigenen | |
| Privilegien zudem häufig zu einer Art bourgeoisen Selbstbestätigung: Fängt | |
| einer damit an, folgen bald die nächsten, und am Ende hat sich der ganze | |
| Raum seiner Privilegiertheit versichert. Was das bringen soll, ist mir | |
| schleierhaft. Ignorieren scheint mir – wie bei allen Angebern – die beste | |
| Strategie zu sein. | |
| 21 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
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| ## AUTOREN | |
| Nico Preikschat | |
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