| # taz.de -- Oasis sind wieder da: Mit herablassendem Blick | |
| > Ihre Texte, ihre Frisuren, ihr Gehabe: Mittelalte Männer erklären, warum | |
| > Oasis immer schon scheiße waren. Echt jetzt? | |
| Bild: Wandgemälde der Oasis-Bandmitglieder Liam und Noel Gallagher vom Künstl… | |
| Ich hätte das auch nicht gebraucht. Ich hatte mich damit abgefunden, dass | |
| ich Oasis und R.E.M., zwei der größten und wichtigsten Bands meiner | |
| Adoleszenz, nie live gesehen haben würde. Ich war mir absolut sicher, dass | |
| die beiden Bands wirklich nie wieder zusammenfinden und Konzerte spielen | |
| würden. Und das war okay. | |
| Dann kamen der Countdown, die Gerüchte und die Ankündigung, dass die | |
| zerstrittenen Gallagher-Brüder im kommenden Jahr wieder gemeinsame Konzerte | |
| spielen werden, der katastrophale Online-Vorverkauf – und mit ihnen das | |
| überraschende journalistische Subgenre „Warum Oasis immer schon scheiße | |
| waren“. | |
| Während britische Kommentatoren wie Simon Price im [1][Guardian] den | |
| Gallaghers wenigstens konservative bis homophobe Gesinnungen nachwiesen (um | |
| dann mit dem Vorwurf zu enden, ihre Songs hätten nie gerockt), erklärten | |
| mittelalte deutsche Journalisten (nur Zeit Online hat eine Frau auf das | |
| Thema angesetzt) eilfertig ihrem mittelalten Publikum, warum die Band schon | |
| zu ihrer Blütezeit (oder spätestens nach diesen zwei, drei Jahren) | |
| unwichtig und egal gewesen sei. Und deren Fans eh ganz schlimm. | |
| Das klingt – um im leicht prolligen Duktus prototypisch imaginierter | |
| Oasis-Anhänger zu sprechen – verdächtig, als hätte ihnen ihre „Alte“ | |
| verboten, das Familienurlaubsbudget für eine einzelne Stehplatzkarte im | |
| Wembley Stadium auszugeben, und sie müssten jetzt wie ein patziger Teenager | |
| begründen (vor allem vor sich selbst), warum sie „sowieso keine Lust“ | |
| gehabt hätten hinzugehen. | |
| Also wird alles gegen die Band verwendet, was sie damals ausgemacht hat: | |
| ihre Texte, ihre Frisuren, ihr Gehabe. Und überhaupt: Oasis hätten ja eh | |
| nur bei den Beatles abgeschrieben. No shit, Sherlock! Vielleicht muss man | |
| das für die Nachgeborenen noch mal erklären (als ob die Feuilleton-Artikel | |
| über Oasis lesen würden, hahaha), aber: Das war damals schon allen | |
| Beteiligten – inklusive Noel und Liam Gallagher – klar. Es war, wie Liam | |
| sagen würde, the fooking point. | |
| In diesen Besinnungsaufsätzen, auf die deutlich weniger Leute gewartet | |
| hatten als auf eine Oasis-Reunion, findet so viel Projektion statt, dass | |
| ich hier einfach damit weitermache: So kann man doch eigentlich nur | |
| schreiben, wenn man sich entweder für seine eigene Jugend schämt oder | |
| damals schon ein elitärer Schnösel war, der nur Sonic Youth, Blumfeld und | |
| Nick Cave hörte und seitdem keinerlei Persönlichkeitsentwicklung | |
| durchgemacht hat. | |
| Dabei ist das Einzige, was noch mehr 90er ist als Oasis, doch der | |
| herablassende Blick auf andere, die einen „schlechteren“ Geschmack haben | |
| (vgl. Hornby u. a.), und das Feindbild Sellout, das damals auf jede Band | |
| angewendet wurde, die einen Vertrag bei einem Major-Label unterschrieb oder | |
| plötzlich in die Charts einzog. Ich hatte gehofft, dass wir so peinliche | |
| Distinktionsgedanken lange hinter uns gelassen hätten, aber jetzt feiern | |
| sie ein Comeback, das wirklich keiner braucht. | |
| Beim deutschen [2][Rolling Stone], dem Zentralorgan für Rock-Nostalgie, das | |
| mindestens einmal im Jahr Bruce Springsteen auf dem Cover hat, mutmaßt ein | |
| Autor, ob die Band überhaupt genug gute Songs hätte, die einen solchen | |
| Aufwand rechtfertigten. | |
| In der [3][taz] warf der Kollege den Gallaghers gar die „musikalische | |
| Vorwegnahme des Brexits“ vor, weil ihr Habitus die Selbstfixierung | |
| Großbritanniens forciert habe. Bevor man Oasis den Brexit in die Schuhe | |
| schiebt, könnte man David Hasselhoff erst mal in einem Indizienprozess | |
| nachweisen, dass er wirklich den Mauerfall herbeigeführt hat. | |
| In der Welt der Politik nehmen alle Rücksicht auf „gefühlte Wahrheiten“, | |
| aber auf dem einen Feld, wo Emotionen im Vordergrund stehen sollten, der | |
| Popmusik, werden plötzlich ganze Historikerkommissionen aus dem Schrank | |
| geholt und auf das Schaffen der Band angesetzt. Schlechte Nachrichten gibt | |
| es genug, da ist eine Mischung aus Nostalgie und Vorfreude nicht zwingend | |
| das, was man geißeln muss. Dass Menschen, Männer gar, ausnahmsweise mal | |
| positive Emotionen in den sozialen Medien teilen, könnte man ja auch | |
| einfach wohlwollend zur Kenntnis nehmen. | |
| Wie wär’s, wenn alle mal durchatmen, wir mit Gin Tonic anstoßen und uns | |
| nach dem ersten Akkord eines Oasis-Songs in den Armen liegen? Sein Titel: | |
| „Don’t Look Back In Anger.“ Lukas Heinser | |
| 8 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.theguardian.com/commentisfree/article/2024/aug/28/stop-the-cele… | |
| [2] https://www.rollingstone.de/oasis-reunion-was-wird-eigentlich-gefeiert-zwei… | |
| [3] /Reunion-von-Oasis/!6029817 | |
| ## AUTOREN | |
| Lukas Heinser | |
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