# taz.de -- Neuer Frankfurt-„Tatort“: Wenn das Heute auf einmal 1944 stattf… | |
> Der Hessische Rundfunk kann auch mal genial: Der eigentliche Mordfall | |
> findet diesmal 1944 statt. Und diese Zeitmaschine funktioniert | |
> hervorragend. | |
Bild: Kommissar Murot (Ulrich Tukur) ermittelt in der Vergangenheit | |
Nach 1.275 Folgen ist es etwas knifflig, die Übersicht zu behalten, aber | |
versuchen wir’s mal: Der Hessische Rundfunk wäre nicht der Hessische | |
Rundfunk, wenn er sein Frankfurter Mordermittlungsteam um Murot ([1][Ulrich | |
Tukur]) und Wächter (Barbara Philipp) nicht wie so häufig etwas machen | |
ließe, was bis dato im „Tatort“-Universum nicht vorgekommen ist. | |
Also vermutlich, weil siehe oben: Wer soll das nach all diesen Fällen schon | |
so genau wissen? Aber mit all den strengen „Goldenen Regeln“ im Blick: gut | |
möglich, dass das aktuelle Szenario ein Novum ist. So oder so, vor allem | |
ist es ein genialer Ansatz – und wirkt mit einer bestechenden Wucht. | |
Denn das übliche Ensemble spielt in „Murot und das 1000-jährige Reich“ | |
gleich zwei Geschichten. Der eigentliche Mordfall samt Aufklärung findet | |
1944 in der hessischen Pampa statt – das Jetzt setzt erst richtig kurz vor | |
Schluss ein. | |
Heißt auch: Ulrich Tukur spielt die meiste Zeit gar nicht seinen | |
Hauptkommissar Murot, sondern den Kommandanten und Kommissar Rother (sehen | |
Sie das „-rot“ aus Murot?); und Barbara Philipp ist nicht nur die | |
Ermittlerin Magda Wächter, sondern die jüdische Ärztin Else Weiß (noch so | |
ein sprechender Name), die in einem Kaff bei einer Kneipenbesitzerin | |
(Imogen Kogge, selbst in kleinen Nebenrollen wie immer eine Offenbarung) | |
untergekommen ist, dort aushilft und versucht, unentdeckt zu überleben. | |
## Wider die übliche Logik | |
Das Ganze ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Wie schon angedeutet: Die | |
Story von Michael Proehl, Dirk Morgenstern und M. X. Oberg, der sich schon | |
vor zwei Jahren „Murot und das Gesetz des Karma“ ausgedacht und diesmal | |
alleine Regie geführt hat, stellt die übliche „Tatort“-Logik auf den Kopf. | |
Dass der Film fast vollständig eine Geschichte erzählt, die 1944 spielt, | |
ist als historisches Setting nicht nur so großartig, weil es so | |
ungewöhnlich ist in dieser Sonntagabendkrimireihe, sondern weil die Folge | |
jetzt ausgestrahlt wird. Jetzt, im Herbst 2024, nach einer fast | |
republikweiten Kommunalwahl, der Europawahl und drei Landtagswahlen. | |
Nach einem Wahljahr also, in dem so viele Menschen hierzulande | |
rechtsextreme, nationalistische, rassistische, völkische Parteien gewählt | |
haben, dass in deutschen Landes- und Kommunalparlamenten mehr Abgeordnete | |
mit verfassungsfeindlichen Zielen sitzen als je zuvor seit 1945. Und als | |
Folge sind so viele Menschen unserer Gesellschaft mit einer alltäglichen, | |
existentiellen Angst konfrontiert wie seit damals nicht. | |
Und so wirkt der Provinzalltag in Tannengrün und Eichenbraun auf einmal | |
bedrückend aktuell – wie eine filmische Fabel. Ein Dorf, das teils | |
gespalten ist, teils verschwimmen die Grenzen in überlebenstauglichem | |
Opportunismus, selbst Rother spielt strategisch schlau damit. Sein junger | |
Adjutant Hagen von Strelow (Ludwig Simon) ist dagegen stramm auf Linie und | |
im Zentrum des Mordfalls. | |
Und dann ist da noch die andere Aktualität, die dieser „Tatort“ auch | |
aufgreift: Prozesse gegen Kriegsverbrecher:innen von damals. Gegen | |
Männer, die KZ-Wachleute waren. Oder, wie zuletzt, gegen eine Frau, die als | |
Sekretärin im KZ Stutthof gearbeitet hat. Schon vor zehn Jahren hieß es | |
jedes Mal, jener Prozess könnte der letzte dieser Art sein. Und es landen | |
dennoch weiter Täterinnen und Täter von damals vor dem Gericht. Wie von | |
Strelow, ganz am Schluss. Und so bekommen die letzten Minuten der Folge, in | |
denen alles zusammenfließt, wahrlich eine Kraft, die ihresgleichen sucht. | |
20 Oct 2024 | |
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[1] /Herausragender-Tatort-aus-Hessen/!5966004 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
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