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# taz.de -- Eskalation im Nahen Osten: Zähe Bodenoffensive
> Die Hisbollah ist seit dem Tod ihres einstigen Chefs Nasrallah schwer
> angeschlagen. Strategisch könnte sie dennoch die Oberhand behalten.
Bild: Waffen der Hizbollah: Die israelische Armee führt der Presse sichergeste…
Der israelische Premier Benjamin Netanjahu ist mit Blick auf die Hisbollah
im Libanon im Siegesrausch. Er spricht davon, dass sein Land gerade
[1][„die strategische Realität des Nahen Ostens verändert“]. Dafür hat er
einiges vorzuweisen. Von der Tötung des [2][Hisbollah-Chefs Hassan
Nasrallah] und zahlreicher seiner Militärkommandeure bis zur Pager- und
Funkgerätattacke, Israels Luftwaffe und Geheimdienst tragen derzeit einen
Sieg nach dem anderen davon. Das grundsätzlich Neue: Der israelische
Geheimdienst hat die so sehr um Geheimhaltung bedachte Hisbollah
offensichtlich unterwandert. Er hat interne Informationen, mit denen es
Israel schafft, gezielt nicht nur gegen die militärische und politische
Führung vorzugehen.
Das ist qualitativ der wichtigste Unterschied zum letzten großen
[3][militärischen Schlagabtausch zwischen der Hisbollah und der
israelischen Armee] 2006. Auch damals hatte Israel technologisch beim
Ausspionieren die damals wohl weltweit ausgeklügeltsten Systeme. Es war der
erste Krieg, in dem Drohnen für die Aufklärung eine wichtige Rolle
spielten. Es fehlte aber damals an der „Human Intelligence“, also der
direkten Spionage am Boden innerhalb der Hisbollah. Einer der Gründe, warum
die israelische Armee damals bei ihrer Bodenoffensive vom heftigen
Widerstand der Hisbollah überrascht worden war. Die jetzige Infiltration
seiner eigenen Ränge ist sicherlich einer der größten Schwachpunkte der
Hisbollah heute.
Dieser Erfolg Israels verführt manche jetzt dazu, die Schwäche generell auf
das militärische Potenzial der Organisation zu übertragen. Doch hier ist
die Bewertung schwieriger. Warum ist der große Hisbollah-Raketenschlag nach
Israel bisher ausgeblieben? In den überwiegenden Fällen hat sie bisher
relativ unpräzise Katjuscha-Raketen mit geringer Sprengkraft eingesetzt,
die nicht weit reichen. Mit einigen wenigen Ausnahmen, in denen sie
vereinzelt Raketen mit größer Sprengkraft und mehr Genauigkeit eingesetzt
hat, meist um militärische Ziele in Haifa oder sogar in Tel Aviv
anzugreifen. Doch diese vereinzelten weiter reichenden Raketen wurden
bisher meist von der israelischen Raketenabwehr abgefangen.
Warum setzt die Hisbollah ihr Potenzial verschiedener Reichweiten und
Sprengkraft nicht in großem Stil ein? Wurde dieses Potenzial von westlichen
Geheimdiensten überschätzt? Oder ist es der israelischen Armee und
Luftwaffe bereits gelungen, wie von israelischer Seite oft behauptet, einen
großen Teil dieses Potenzials zu zerstören? Oder hält die Schiitenmiliz
ihre Raketen im Moment bewusst zurück? Für Letzteres würde die von
arabischen Analytikern bezeichnete „strategische Geduld“ der Hisbollah
sprechen.
Netanjahu hat die letzte Eskalation im Libanon mit dem Kriegsziel
legitimiert, eine Situation zu schaffen, in der die 60.000 evakuierten
israelischen Zivilisten wieder zurückkehren können. Um das zu durchkreuzen,
muss die [4][Hisbollah nicht zu einem großen Raketenschlag] ausholen. Sie
muss nur zeigen, dass sie langfristig weiter eine Bedrohung für Israel
darstellt. Da reicht es, regelmäßig ein paar Raketen in Richtung Süden
abzuschießen. Das wichtigste strategische Ziel wäre dann im Moment für sie,
dass ihr Raketenpotential diesen jetzigen israelischen Sturm überlebt.
## Israelische Bodenoffensive ist fragwürdig
Nun hat [5][Netanjahu in seiner Siegerlaune] erstmals seit 2006 wieder
israelische Soldaten in den Libanon geschickt. Vier ganze Divisionen der
israelischen Armee sollen jetzt eine Bodenoffensive im Libanon
vorantreiben. Damit geht er ein hohes Risiko ein. Bei der letzten
Bodenoffensive 2006 hatte Israel verkündet, die Hisbollah zerstören zu
wollen. Wenige Tage nach Beginn der Offensive hieß es nur noch, sie „zu
schwächen“. Das wurde wegen des heftigen Widerstands der Hisbollah nicht
erreicht.
Seit dem Ende des Krieges 2006 saß die Hisbollah in jeder Regierung in
Beirut, hat im Libanon ihre Position als Staat im Staat ausgebaut und ist
heute mehr hochgerüstet denn je.
Seit Ende des Krieges 2006 hat die israelische Armee für eine weitere
Bodenoffensive trainiert. Und auch die Hisbollah hat sich unter höchster
Geheimhaltung darauf vorbereitet. Entscheidend wird bei dieser Offensive
sein, wie viel die israelische Armee über die Hisbollah an der Bodenfront
weiß. Fakt ist: Wir wissen wenig darüber, wie diese Offensive läuft. Den
israelischen Medien ist es verboten, über israelische Truppenbewegungen im
Libanon zu berichten. Und die Hisbollah verbreitet ihre Version über ihre
Internet-Telegram-Kanäle. Es deutet sich an, dass diese Bodenoffensive zäh
vorangeht und erneut von heftigem Widerstand der Hisbollah begleitet ist
und es auf Seite der israelischen Armee Verluste gibt.
Was die israelische Armee strategisch tatsächlich mit einer solchen
Bodenoffensive gewinnen kann, ist fragwürdig. Sie kann als Pufferzone zu
Grenze nach Nordisrael eigentlich kein Gebiet besetzten, das groß genug
ist, um zu verhindern, dass Hisbollah-Raketen mit größerer Reichweite immer
noch Israel erreichen. Israel wird immer verletzlich bleiben. Es hat
militärisch im Raketenzeitalter ein großes Problem: Es ist geografisch ein
kleines Land ohne strategische Tiefe.
Das gilt auch für den derzeit unwahrscheinlichen Fall, dass die israelische
Armee auf die Hisbollah so viel militärischen Druck ausübt, dass die am
Ende am Verhandlungstisch zustimmt, sich hinter den Litani zurückzuziehen,
wie es die UN-Resolution 1701 vorsieht. Dessen parallel zur Grenze
verlaufendes Flussbett liegt fast bis zu 30 Kilometer von der israelischen
Grenze entfernt. Doch weder die Hisbollah noch Israel, das seitdem
zehntausende Male den libanesischen Luftraum verletzt hat, halten sich
daran.
Bleibt die Frage, wo der Ausgang ist. Ein Ende des
Hisbollah-Raketenbeschusses durch Eskalation herbeizuführen, wie jetzt von
Netanjahu propagiert, ist offensichtlich eine strategische Fehlkalkulation.
Der Weg zu einem Ende des Krieges im Libanon führt über den Gazastreifen.
Hisbollah-Chef Nasrallah wurde nicht müde, in jeder seiner Reden im Laufe
des vergangenen Jahres die Angriffe auf Israel damit zu rechtfertigen,
damit die Hisbollah Druck auf Israel aufbauen kann, um so die israelische
Militäroffensive im Gazastreifen zu beenden. Ein Ende des Gaza-Krieges wäre
demnach also auch ein Ende des Krieges an der libanesisch-israelischen
Grenze.
Der Schlüssel für ein Ende der Eskalation sind also
[6][Waffenstillstandsverhandlungen rund um Gaza] und der Austausch der
israelischen Geiseln mit palästinensischen Gefangenen. Das wäre die
Grundvoraussetzung, dass an allen Fronten Ruhe eintritt – und sich die
Weltgemeinschaft endlich langfristigen strategischen Lösungen in der
Palästinenserfrage und dem Nahost-Konflikt zuwenden kann. Davon sind wir im
Moment Meilen entfernt. Schlimmer noch: Statt den Brand zu löschen, wird
derzeit jeden Tag mehr Öl ins nahöstliche Feuer gegossen.
10 Oct 2024
## LINKS
[1] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!6041973
[2] /Tod-des-Hisbollah-Fuehrers-Nasrallah/!6036756
[3] /Eskalation-zwischen-Libanon-und-Israel/!6029591
[4] /Krieg-im-Nahen-Osten/!6038203
[5] /Lage-im-Libanon/!6041675
[6] /Eskalation-im-Nahen-Osten/!6038119
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
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