| # taz.de -- Spielfilm „Der Spatz im Kamin“: Worte wie Waffen | |
| > Ramon Zürchers Spielfilm „Der Spatz im Kamin“ inszeniert ein | |
| > Familiendrama als sinfonisches Werk. Mit teuflischer Präzision geht es | |
| > ins Freie. | |
| Bild: Im Film „Der Spatz im Kamin“ ist Familie gleich Horror | |
| Da ist nicht nur der Spatz im Kamin. Da sind auch: die Katze in der | |
| Waschmaschine, die Ratte auf dem Fensterbrett, der Hund, der von irgendwo | |
| unten und/oder hinten ins Bild hineinbellt. Da sind die Raupen, die sich | |
| dann zu wunderschönen Schmetterlingen entpuppen. Die Glühwürmchen, die als | |
| grelle Lichtpünktchen durchs Dunkle fliegen, was hinreißend ist, aber sie | |
| sind auch sehr giftig. | |
| Da ist allerlei Zusatzgetier, dieser Film ist ein Zoo, letzter Teil einer | |
| Trilogie der Tierfilme, so hat Regisseur Ramon Zürcher es selbst erklärt. | |
| Die ersten beiden: „Das merkwürdige Kätzchen“ (das Langfilm-Debüt von 20… | |
| noch an der Filmhochschule DFFB entstanden), „Das Mädchen und die Spinne“ | |
| (Zürchers zweiter Film, acht Jahre später). Und nun also das. | |
| Für die Hunde, sagt eine der Figuren einmal, gibt es gar keine Menschen. | |
| Sie denken, dass wir auch Hunde seien, ganz ihresgleichen. Hunde jedoch | |
| haben nicht das Mittel, mit dem der Mensch den Menschen am tiefsten | |
| verletzt: die Sprache. Und Virtuosen der Verletzung durch Worte sind hier, | |
| in diesem Film und in diesem Haus, als Familie zusammengesperrt. | |
| Im Zentrum Karen, die Mutter, von Maren Eggert mit verkniffener Miene und | |
| verkniffenem Körper gespielt; und wenn sie die zusammengebundenen Haare | |
| später öffnet und ein luftiges Kleid trägt, ist das nicht unbedingt ein | |
| Signal der Befreiung. Auch wenn der Film an dem Punkt gemeinsam mit ihr | |
| ziemlich abdreht und sich so etwas von der bis dahin alles dominierenden | |
| Anspannung löst. Oder verwandelt, man gelangt in Gefilde, die nicht mehr so | |
| ganz wirkliche sind. | |
| Was die Mutter und ihre Töchter Johanna (Lea Zoe Voss) und Christina (Paula | |
| Schindler) und ihren Sohn Leon (Ilja Bultmann) verbindet, ist Hass. | |
| Ausgesprochener Hass, denn man wünscht sich gegenseitig in Sätzen, die man | |
| wie Messer zückt oder wie Giftpfeile abschießt, den Tod. | |
| Manchmal kommt das Geburtstagskind Markus (Andreas Döhler) dazwischen, der | |
| Vater der Kinder und Ex der Mutter, der sich durch die Räume bewegt, als | |
| könnte er mit jedem Wort, nein, durch seine bloße Anwesenheit schon, etwas | |
| – Tier, Mensch, Gefühle – verletzen. Jule (Britta Hammelstein) dagegen, die | |
| Schwester von Karen, agiert in zugewandterem, manchmal gar zärtlichem | |
| Register, sodass die Atmosphäre im Raum, den sie betritt, freundlicher | |
| wird. | |
| Wenn die Tür des Hauses aufsteht, dann kann es atmen, das wird gleich | |
| zweimal gesagt. Freilich gibt der Sauerstoff womöglich nur dem Feuer, das | |
| hier toben will, Nahrung. Oder es kommt Liv (Luise Heyer) herein, vom | |
| Gartenhaus nebenan, in das sich einst die Mutter von Karen und Jule | |
| zurückzog, und wo sie sich mit ihrer Liebhaberin traf. Liv ist eine sanfte | |
| Unruhestifterin: [1][Biologin, die böse Kunde vom Natürlichen bringt]. Oder | |
| sie geht mit Markus ins Bett. Was hier los ist, in diesem Haus, was hier | |
| umgeht an Traumata zwischen diesen einander nahestehenden Menschen, ist, | |
| mit einem Wort: ein ziemlicher Horror. | |
| Die Szenerie und Machart des Films ist einerseits der von Ramon Zürchers | |
| ersten Filmen ähnlich. Scharf sind die Kanten der Bilder von Kameramann | |
| Alex Hasskerl, und mindestens so viel, wie man in jeder Einstellung sieht, | |
| passiert auch im Off: Man hört, mal mehr, mal weniger deutlich, nicht im | |
| Bild, ein Bellen, Zwitschern, Sprechen aus einem kategorischen Draußen. | |
| Auch die Musik von Balz Bachmann macht, meist eher im Hintergrund, ganz | |
| eigene Sachen. Bis sie laut in den Vordergrund knallt. Aber während „Das | |
| merkwürdige Kätzchen“ und „Das Mädchen und die Spinne“ eher Kammerstü… | |
| waren, ist „Der Spatz im Kamin“ nun ein vollends sinfonisches Werk. | |
| ## Man weiß nie so ganz, was gespielt wird | |
| Es ist wirklich erstaunlich, wie Zürcher hier aufdreht. Manches an den | |
| Psychodramen, die aufgetischt werden, ist schon ziemlich drüber. Es ist ein | |
| Horrorfilm voller Brutalitäten, [2][der Körper wie auch der Psychen], aber | |
| immer wieder auch mit ganz eigener komischer Note. Und Idyllen dazwischen. | |
| Sehr unrein, man weiß nie so ganz, was gespielt wird, welche Wendung die | |
| Beziehungen nehmen. Und welche Wendung der Film. | |
| Nur dass Ramon Zürcher (auch: Buch und Schnitt) sein tolles, mit jeder | |
| Bewegung – und wichtiger: Nicht-Bewegung – der Mienen und Körper auf | |
| Millimeterpapier arbeitendes Ensemble und jedes Detail jeder Einstellung im | |
| Griff hat, das sieht man und spürt man. | |
| Und verblüffend, dass dieser Kontrollwahn zwar einerseits mit dem horrenden | |
| Zwangsverhalten der Figuren korrespondiert. Dass er aber andererseits auf | |
| der ästhetischen Ebene etwas sehr Befreiendes hat. „Der Spatz im Kamin“ ist | |
| ein Film wie ein Uhrwerk, nur dass er sich mit teuflischer Präzision ins | |
| Freie bewegt. Nicht unbedingt eine Freiheit für Karen, deren Geheimnis | |
| Maren Eggert bis zuletzt zu wahren versteht. Aber eine Freiheit der Form, | |
| die enorme Risiken eingeht. Hätte alles schrecklich schiefgehen können. | |
| Aber weil es gelingt, kommt man ins Staunen hinein und nicht mehr heraus. | |
| 10 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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