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# taz.de -- Nachts im InterCity: Üble Nachtfahrt ohne Nachtzug
> Nachts in der Bahn ohne Schlaf- und Liegewagen – keine gute Idee. Das
> zeigt dieser Erfahrungsbericht von der Strecke Wien-Rostock.
Bild: Wer schläft, nervt seine Mitreisenden nicht
In unserer Serie „Nachtzugkritik“ erscheinen eigentlich nur Artikel über
Bahnverbindungen mit Schlaf- oder Liegewagen. Wie sinnvoll die sind, zeigt
sich, wenn man wie die Autorin dieses Berichts seinen echten Nachtzug
verpasst:
In Saalfeld, halb drei Uhr nachts, steigt endlich ein älteres Paar zu. Sie
haben Platzkarten, der junge Mann mit Hoody an unserem Vierersitz mit Tisch
steht auf. Nicht, dass er unangenehm gewesen wäre, er machte Platz für mich
und das Kind, damit es längs schlafen kann. Aber er hatte auf meine
Kommentare hin nur mitleidig gelächelt. Auch die junge Frau davor konnte
meine Empörung über diesen Nachtzug nicht teilen. An Schlaf war nicht zu
denken. Alle 20 bis 30 Minuten hielt er, um noch mehr Leute einsteigen zu
lassen. Doch bestimmt würden die beiden Älteren ebenso leiden unter den
Zuständen in diesem überregionalen IC 296 aus Wien, der allnächtlich nach
Rostock fährt. Sie könnten mit mir über die randvollen Doppelstockwagen
klagen, ohne Schlaf- noch Liegeplätze.
Da höre ich den Herrn, im Anzug, die halb nassen Haare nach hinten gekämmt,
zu seiner Frau aufmunternd sagen: „Bald wird’s morgen“ Seine Frau, in
Bluse, geblümt und sommerlich leicht, guckt in die Dunkelheit hinter dem
Fenster, gähnt und seufzt: „Dann sehen wir den Sonnenaufgang.“
Was sich für mich und meine Familie wie ein Unfall anfühlt, sieht mein
Umfeld offenbar anders. Wir waren halb 1 Uhr nachts in Nürnberg
zugestiegen. Unser Zug war verspätet angekommen und hatte so alle weiteren
Verbindungen nach Berlin ausgehebelt. Die von der Bahn-Information hatten
keine bessere Verbindung. Aber meine Mitreisenden fahren sehr wohl
freiwillig. Auf der Webseite der Bahn wird dieser Nachtzug auch Wochen
später, für dieselbe Nacht Freitag auf Samstag, mit „hohe Auslastung
erwartet“ angekündigt.
„Sie kennen diesen Zug?“ Ich frage also vorsichtig, nachdem die Frau sich
versichert hatte, dass der Mann den Stall geschlossen hatte. Ihr Mann
antwortet gern auf meine Frage. „Ja, gell, ich hab’s diesmal reserviert.“
Der Kopf des Kindes lag auf meinem Schoß, mein Mann hatte irgendwo ein paar
Reihen weiter einen Platz ergattert. „Mir fahrn nach Hamburg“, die beiden
Thüringer lächeln. Ohne Nachtzug würde für die Reise ein Tag vergehen und
die Abwesenheit vom Hof verlängern. Aber sind sie denn nicht völlig fertig,
wenn sie am Morgen in Hamburg angekommen sind? Kopfschütteln,
Schulternzucken: „S schofft ma schon.“
Auf der Bank hinter mir schlafen die Jugendlichen mittlerweile Arm in Arm.
Eigentlich dienen die Arme gegenseitig als Kopfstütze, manche Bänke reichen
ja nur bis zu den Schultern. Mir fällt auf, dass ich doch nie zu ihnen
musste, um sie zu bitten, leiser zu sein. Die zwei leicht übergewichtigen
Jungs und ein Mädchen, alle in knalligen, billigen Klamotten, hatten zwar
lange erzählt, aber sich auch immer gegenseitig leise gezischt. Jetzt
stehen die bunten Koffeingetränke in Plastikflaschen leer vor ihnen. Und
ich erinnere mich aus dem ICE davor an ein paar Mittelschichtsjugendliche,
die aus PET-Flaschen Bier tranken. Die waren kontinuierlich lauter
geworden.
Erst jetzt prüfe ich den Fahrtpreis für den Zug online: 37,99 Euro von Wien
nach Rostock. In etwas mehr als 12 Stunden. Aber vielleicht ist die doppelt
so lange Reisezeit, auch die 6 Stunden, statt der 3 Stunden Fahrt, die ein
ICE von Nürnberg nach Berlin braucht, nicht nur ein Nachteil …?
Die Frau aus Saalfeld, den Kopf in der Hand, lächelt müde zurück. Auch wenn
sie jetzt sehr gut schlafen könnte, sie und ihr Mann sparen so zwei
Übernachtungen im teuren Hamburg und haben trotzdem zwei volle Tage, um
sich umzusehen. Das Lächeln ist gar nicht mitleidig, wie ich erst dachte.
Es zeigt ein Durchhalten angesichts der Strapazen, und auch Disziplin von
Reisenden im sprichwörtlich anderen Nachtzug.
19 Sep 2024
## AUTOREN
Charlotte Misselwitz
## TAGS
Nachtzugkritik
Deutsche Bahn
Eisenbahn
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