# taz.de -- Koalitionen in Ostdeutschland: Geschwister im Geiste | |
> Dass die Union mit dem BSW koalieren könnte, hat nicht nur taktische | |
> Gründe. Die beiden Parteien haben erstaunlich viele Gemeinsamkeiten. | |
Bild: Mario Voigt (CDU) und Katja Wolf (BSW) begrüßen sich schon mal überaus… | |
Jahrzehntelang schloss die Union jede Zusammenarbeit mit Kommunisten aus – | |
und warf der Sozialdemokratie immer mal wieder vor, den antiextremistischen | |
Konsens zu verraten. Mit extremen Parteien koaliert man nicht und mit | |
linken schon gar nicht. So lautete das Diktum der CDU in Zeiten des Kalten | |
Kriegs, an dem aber auch nach der „Wende“ festgehalten wurde. | |
Das Bild, das sich Unionsmitglieder von [1][Sahra Wagenknecht machten, | |
passte dazu perfekt: Ob man sie nun primär als Kommunistin, als | |
DDR-Apologetin oder als Kreml-Freundin] ansah – oder alles zusammen –, so | |
funktionierte sie als Schreckgespenst wunderbar. | |
Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, zeigt sich dieser Tage, wenn die | |
Parteigründerin nun von einem Sondierungsgespräch mit CDU-Politikern zum | |
nächsten reist – mit dem Ziel, in gleich drei Bundesländern ein gemeinsames | |
Regierungsbündnis zu bewerkstelligen. | |
Dass die Union im Osten wenige Alternativen hat, ist offensichtlich: Will | |
sie ihr antiextremistisches Erbe nicht vollends aufgeben, indem sie mit der | |
rechtsextremen AfD kooperiert, bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit | |
Wagenknecht zu reden. Doch für die CDU gibt noch andere Gründe, über ihren | |
Schatten zu springen. | |
## In der Migrationspolitik kaum zu unterscheiden | |
Da wäre zunächst eine machtstrategische Dimension, denn ein Bündnis mit dem | |
BSW könnte das strukturelle Langzeitproblem der CDU lösen, das sich bisher | |
aus ihrer Abgrenzungsstrategie ergab: ihre begrenzte Bündnisfähigkeit. Weil | |
sie bisher Kooperationen mit Links- und Rechtsaußen ausgeschlossen hat, war | |
die Union effektiv auf Bündnisse mit SPD, FDP und Grünen angewiesen. Hatten | |
diese keine Mehrheit, wie es heute in Ostdeutschland der Fall ist, wurde es | |
eng. Das hat sich bereits in den vergangenen Jahren in Thüringen gezeigt. | |
Dass die Union dort fünf Jahre lang eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung | |
unter Bodo Ramelow tolerierte, konnte sie nur schwer begründen. Mit | |
Wagenknechts neuer Partei dagegen ist das koalitionsarithmetische Spiel | |
wieder auf null gesetzt: [2][Der antiextremistische Konsens wird mit Blick | |
auf das BSW erst gar nicht bemüht], gilt es doch, einen potenziellen | |
Partner zu umwerben, statt ihn von vornherein auszuschließen. | |
Während die taktischen Motive auf der Hand liegen, gibt es aber auch | |
inhaltliche Gründe, Koalitionen auszuloten. Wie politikwissenschaftliche | |
Analysen gezeigt haben, bestehen zwischen BSW und CDU mehr Gemeinsamkeiten, | |
als man denken könnte. Am offensichtlichsten zeigen sich diese in der | |
Migrationspolitik. | |
Ob es nun um die Begrenzung von Sozialleistungen für Asylsuchende geht oder | |
um die Verlagerung von Asyl- und Prüfverfahren an die EU-Außengrenzen oder | |
an Drittländer: Die Vorschläge, die man zuletzt aus BSW und CDU hören | |
konnte, sind kaum voneinander zu unterscheiden. In beiden Parteien wird | |
Migration als ein ganz maßgebliches Problem angesehen, das es zu begrenzen | |
gilt. Zudem haben es sich Friedrich Merz und Sahra Wagenknecht | |
gleichermaßen zur Aufgabe gemacht, die AfD durch eine Light-Version ihrer | |
Politik zu halbieren – auch wenn damit bisher die einen so wenig Erfolg | |
haben wie die anderen. | |
## Beide hassen „Gender-Gaga“ und die Grünen | |
Auch in gesellschaftspolitischen Fragen sind beide Parteien vereint im | |
Kampf gegen „Gender-Gaga“ und „Cancel Culture“. Längst ist Sahra | |
Wagenknecht Teil jenes Welt-, Bild- und Nius-Kosmos geworden, in dem auch | |
CDU-Politiker und nahestehende Publizistinnen regelmäßig die Beschneidung | |
der Meinungsfreiheit durch „woke“ Linke diskutieren. Ganz wie die CDU tritt | |
auch das BSW als Partei der „Normalen“ auf, die von Eliten und Minderheiten | |
umerzogen werden sollen. | |
Selbst in der Wirtschaftspolitik gibt es bemerkenswerte Überschneidungen | |
zwischen [3][CDU und BSW]. Funktionierende Marktwirtschaft, fairer | |
Wettbewerb und eine Politik für den Mittelstand sind nicht nur | |
Schlüsselvokabeln der Union. Sie stehen so auch im BSW-Programm. | |
Dass sich die Ex-Kommunistin Wagenknecht seit Jahren auf den CDU-Kanzler | |
Ludwig Erhard und seinen Ordoliberalismus beruft, macht sich in den | |
ökonomischen Zielen ihrer neuen Partei bemerkbar. Auch Wagenknechts | |
Plädoyer für Technologieoffenheit statt klimapolitischen Verboten kann man | |
in der CDU unterschreiben. Die Grünen gelten aktuell in beiden Parteien als | |
Hauptfeind. | |
Selbst mit den Wagenknecht-Forderungen nach einem höheren Mindestlohn und | |
mehr Umverteilung werden Konservative umgehen können – dank jahrelanger | |
Koalitionserfahrung mit dem linken SPD-Flügel, der nichts anderes forderte. | |
## Außen- und sicherheitspolitisch ist die CDU gespalten | |
Und was ist mit der Außen- und Sicherheitspolitik? Hier lauern für mögliche | |
Bündnisse aus CDU und BSW die größten Gefahren. Das liegt weniger daran, | |
dass Wagenknechts Kritik an der Nato und an der westlichen Russlandpolitik | |
in der Partei von Konrad Adenauer und Helmut Kohl auf eine geschlossene | |
Abwehrfront träfe. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Die BSW-Positionen | |
werden längst von Teilen der CDU unterstützt, nicht zuletzt vom sächsischen | |
Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. | |
Doch genau hierin liegt das Problem. Ähnlich wie ein Bündnis zwischen SPD | |
und Linkspartei im Bund lange unmöglich war, weil es die Sozialdemokraten | |
über den Umgang mit der Agenda 2010 zerrissen hätte, könnte die | |
Außenpolitik die Christdemokraten zerreißen. Würde sie in der | |
Ukrainepolitik ganz auf Wagenknechts Forderungen eingehen, würde sich | |
schnell zeigen, wie gespalten sie selbst in dieser Frage längst ist. Ihre | |
pro-westliche Tradition kann die Union nicht einfach so ablegen. | |
An dieser Front wird sich daher zeigen, wie ernst es Wagenknecht mit ihrer | |
Bereitschaft meint, Verantwortung zu übernehmen. Will sie in Sachsen und | |
Thüringen tatsächlich zu stabilen Regierungen beitragen, sollte sie der CDU | |
nicht zu viele Zugeständnisse abringen. Der Schatten, über den die Union | |
springen muss, ist auch so schon groß genug. | |
30 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=4roNxMuza8w | |
[2] /Debatte-ueber-Koalitionen-mit-BSW/!6036542 | |
[3] /Sollen-CDU-und-BSW-koalieren/!6031246 | |
## AUTOREN | |
Thorsten Holzhauser | |
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