# taz.de -- Abstimmung in Russland: Regionalwahlen ohne Gegenwehr | |
> Ein Gesetz zu „ausländischen Agenten“ schränkt die russische Opposition | |
> ein. Die Regionalwahlen verliefen laut Moskauer Bürgermeister | |
> „störungsfrei“. | |
Bild: Der Staat duldet keinen Protest: der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobya… | |
Moskau taz | „Die Wahl verlief reibungslos und störungsfrei“, so bilanziert | |
der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin die [1][dreitägige Wahl des | |
Moskauer Stadtparlaments]. Er hätte auch sagen können, die Wahl sei völlig | |
unbemerkt verlaufen. So unauffällig, als hätte es gar keine Wahl gegeben. | |
Denn an sich gab es auch keine Wahl in Russland. Es wurden zwar quer durchs | |
Land – oft mit mehr als 80, manchmal sogar 90 Prozent – neue Gouverneure | |
bestimmt, die ihre vorherige Stellung weiterführen dürfen. | |
Es wurden Lokalabgeordnete bestätigt oder neu auf die Posten gesetzt, und | |
auch Stadträte ins Amt befördert oder in diesem Amt belassen. Eine | |
wirkliche Wahl aber haben die Menschen seit Jahren nicht. Diese Abstimmung | |
jedoch zeigte besonders eindrücklich, wie der politische Prozess einer Wahl | |
praktisch vor den Augen der Wähler*innen hingerichtet wird. | |
Seit vergangenem Freitag gaben die Menschen ihre Stimmen ab. Meist online. | |
Um im Wahllokal abzustimmen, mussten sie sich – auch das meist online – | |
anmelden. So saßen manche Wahlleiter*innen in den Wahllokalen tagelang | |
nur herum, aber es kam niemand, um sein Kreuz auf einem Zettel zu machen. | |
In Moskau waren 44 Plätze des städtischen Parlaments zu besetzen. | |
Sicher drin sind der Sohn eines kremlloyalen Sängers, die Direktorin des | |
Theaters der russischen Armee, eine mehrmalige Weltmeisterin und | |
Europameisterin im Eiskunstlauf. Kandidat*innen, die der Staatsmacht genehm | |
sind. Unbequeme Kandidat*innen hatten gar nicht erst die Chance, | |
überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden. | |
## Restriktionen für Oppositionelle | |
Seit Mai darf kein sogenannter [2][ausländischer Agent] bei Wahlen | |
teilnehmen. Die so Gebrandmarkten dürfen nicht einmal über die Wahl reden, | |
auch keine Kandidat*innen unterstützen, sonst bekommen auch diese ein | |
Problem mit der Staatsmacht. Wollen oppositionell Gesinnte sich zur Wahl | |
registrieren lassen, laufen sie Gefahr, auf der Liste der „Agenten“ zu | |
landen. | |
Damit wird ihr Leben bürokratisch erschwert, politisch sowieso. Sie sind | |
letztlich geächtet im Land, müssen vor sich selbst überall warnen. So sind | |
sie etwa dazu verpflichtet, vor jedem ihrer Posts in den sozialen Medien, | |
bei Interviews und vor Veranstaltungen über ihren Status als „Agent“ zu | |
informieren. Tun sie das nicht, riskieren sie Strafen, auch Haft. Außerdem | |
müssen sie alle ihre Ausgaben auflisten und beim Justizministerium | |
einreichen. | |
Die Regionalwahl war nun die erste, bei der diese Neuerung angewendet | |
wurde. Sie zeigte ihre Wirkung. Kein auch nur annähernd oppositionell | |
kritisch eingestellter Mensch durfte antreten. | |
Vor fünf Jahren noch waren in Moskau Zehntausende Menschen Samstag für | |
Samstag auf die Straßen der Hauptstadt gezogen, um ihren Unmut loszuwerden. | |
Sie hatten die Wahl der Moskauer Stadtduma, dieser Institution, die kaum | |
politisches Gewicht hat, zu ihrem Ventil für den Kampf gegen systematische | |
politische Repressionen im Land gemacht. Vorbei die Zeiten. | |
## Kaum Straßenproteste | |
2024 geht kaum noch einer auf die Straße. Nur noch vereinzelt stehen | |
besonders Mutige mit ihren Plakaten bei Einzelmahnwachen in den Zentren | |
ihrer Städte. Sie fordern meist Freiheit für politische Gefangene und | |
riskieren, selbst zu solchen zu werden. Der Staat duldet keinen Protest. | |
Er duldet keine Kritik. Duldet keine Opposition. Hinter jeglicher | |
kritischer Haltung sieht das System Putin ausländischen Einfluss. Keiner | |
darf im Land ein politisches Subjekt sein. Der Staat redet den Menschen | |
ein, er wisse, was für diese gut sei. Die meisten fügen sich. Machen – wenn | |
verlangt – ihr Kreuz dort, wo der Chef das Kreuz zu machen befohlen hat. | |
Sie wollen keinen Ärger. | |
Das aktuelle Wahlgesetz stellt derweil jedes beliebige Ergebnis sicher, die | |
russische Gesellschaft kann es gar nicht kontrollieren. Das darf sie auch | |
nicht. | |
Denn die repressiven Gesetze machen es unmöglich. Möglich wird dadurch ein | |
russischer Staat, der nach einer fast schon still verlaufenen Regionalwahl | |
weiterhin von sich behaupten kann: „Wir haben die Mehrheit. Unsere Macht | |
ist legitimiert.“ | |
11 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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