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# taz.de -- Nach Parteiaustritten der Grünen Jugend: Gegen die Verzweiflung
> Dass der Vorstand der Grünen Jugend eine neue Bewegung gründen will, ist
> der richtige Schritt. Und eine neue linke Partei unsere einzige Hoffnung.
Bild: Im Traum erscheint die Hoffnung auf eine bessere, linke Politik
Stellen Sie sich vor, am Sonntag wäre Bundestagswahl, wen würden Sie
wählen? Hätte ich früher noch eine Antwort auf diese Frage gehabt, möchte
ich mich heute in meinem Bett verkriechen und mir die Decke über den Kopf
ziehen. Denn schon seit Langem treibt mich das Gefühl um, dass es für mich
als linke Person [1][keine Partei mehr auf dem Wahlzettel gibt].
Dabei sind meine Anforderungen nicht besonders hoch. Ich möchte lediglich
eine Partei, die Gerechtigkeit und Solidarität in den Mittelpunkt ihrer
Politik stellt: bei der Asyl- und Migrationspolitik genauso wie beim Thema
Wohnen und Klimaschutz sowie bei der Auslands- und Geschlechterpolitik.
Einfach eine antifaschistische und feministische Partei, die sich nicht von
rechten Debatten und Parteien vor sich hertreiben lässt. Dass Wählen immer
auch bedeutet, Kompromisse einzugehen, ist mir klar. Doch selbst mit
Bauchschmerzen wüsste ich nicht, wo ich mein Kreuz bei der nächsten Wahl
setzen soll.
Deswegen hat mich die Ankündigung des Vorstands der Grünen Jugend, nicht
erneut zur Wahl anzutreten und geschlossen aus der Partei auszutreten, mit
Hoffnung erfüllt. Denn sie haben die Schnauze voll, dass die Grünen nicht
bereit sind, sich mit den „Reichen und Mächtigen anzulegen“ sowie die
soziale Frage und damit die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung in den
Mittelpunkt zu stellen. Anstatt dass die Jugendorganisation immer weiter
[2][mit der Mutterpartei auseinanderdriftet], wollen die Ausgetretenen eine
neue linke Jugendorganisation gründen. Mit dem Ziel, dass es bald eine
starke, linke Partei in Deutschland geben könne.
Nicht nur von Parteikolleg_innen gibt es Kritik an diesem Schritt.
Spalterisch sei ihr Rückzug, sie sollten doch lieber innerhalb der Grünen
für eine neue Politik kämpfen. Doch die Entscheidung von Svenja Appuhn,
Katharina Stolla und den acht restlichen Vorstandsmitgliedern lässt sich
nicht nur auf individueller Ebene gut nachvollziehen.
## Nachts von Merz träumen
Die Forderungen und politischen Vorstellungen der Jugendorganisation sind
schon seit Längerem nicht mehr mit einer Partei zusammenzubringen, die
nachts heimlich davon träumt, [3][mit Friedrich Merz (CDU) zu koalieren].
Doch auch politisch leuchtet der Schritt ein. Denn die Lücke im
Parteiensystem, also das Fehlen einer linken klimabewussten Partei, wird
vielen tagtäglich schmerzlich bewusst.
In Gesprächen mit Freund_innen, Familie und Kolleg_innen merke ich, dass
viele eine tiefe Verzweiflung spüren. Sie fragen sich: Wo ist die Partei,
die dafür kämpft, dass wir uns unsere Mieten leisten und von unserem Lohn
leben können? Die Menschen nicht an den europäischen Außengrenzen ertrinken
lässt und sie hier vor Ort nicht einfach den Rassist_innen überlässt? Die
echten Klimaschutz voranbringen möchte – und das nicht auf dem Nacken
derer, die sich ohnehin kaum noch etwas leisten können?
Ob die Verzweifelten genügend Menschen sind, um eine neue Partei über die
Fünfprozenthürde zu hieven, weiß ich nicht. Doch das sollte auch nicht die
erste Frage sein. Denn das Fehlen einer echten linken Partei, die laut und
stark ist, ist so eklatant, dass es nicht zu versuchen, keine Option mehr
ist. Auch deswegen, weil die fehlende Wahlmöglichkeit ein Aspekt ist, der
vor allem jüngere Wähler_innen, die Angst vor der Zukunft haben oder
frustriert von der Politik sind, in die Arme der Rechten, Rechtsextremen
und Populist_innen treibt.
So ein Wahlverhalten ist in keiner Weise zu entschuldigen. Sie alle haben
sich als Wahlberechtigte dazu entschieden, ihr Kreuz bei Parteien mit
menschenverachtenden Politiken zu setzen. Doch auch sie haben ein besseres
Wahlangebot verdient. Und vor allem ist es nur fair, allen, die dem
Rechtsruck etwas entgegensetzen wollen, eine echte Alternative zu bieten.
## Die einzige Hoffnung
Ob es „Zeit für was Neues 2024“, wie sich das neue Projekt vom
zurückgetretenen Vorstand der Grünen Jugend bislang nennt, zeitnah gelingen
wird, eine starke linke Partei aufzubauen, ist fraglich. Neue politische
Kräfte im deutschen Parteiensystem zu etablieren, ist zweifelsohne
schwierig.
Doch in einer Parteienwelt, in der sich aktuell alles um
Personaldiskussionen und einen Überbietungswettbewerb der Abschiebepläne
dreht, ist eine neue linke Partei unsere einzige Hoffnung.
27 Sep 2024
## LINKS
[1] /Die-Gruenen-nach-der-Europawahl/!6015050
[2] /Ruecktritt-des-Gruenen-Vorstands/!6035691
[3] /Reaktionen-auf-Gruenen-Ruecktritt/!6039059
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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