Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutschlands Ruf im Ausland: Einstürzende Altbauten
> In Griechenland reibt man sich mit Blick auf die Carolabrücke die Augen.
> Umfassende Investitionen sind nötig, damit so etwas nicht nochmal
> passiert.
Bild: Könnte die erste von mehreren sein: Die eingestürzte Carolabrücke in D…
Der Grieche staunt. Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden mag die
Bewohner der sächsischen Landeshauptstadt schockiert haben. Im 1.650
Kilometer Luftlinie entfernten Athen sorgten die spektakulären Bilder der
zusammengekrachten Elbbrücke bloß für blanke Verblüffung. Prompt fragen
sich viele hierzulande erstaunt: Wie konnte das passieren? Ausgerechnet in
Deutschland! Ohne ein Erdbeben, ohne Hochwasser, ohne dass ein Schiff mit
der Brücke kollidierte, ohne Sabotageakte oder Militäraktionen?
Bisweilen von Mitleid erfasst fragt man sich: Was ist aus dem so berühmten
wie allenthalben beneideten Land der Ingenieure geworden? Jenem Land mit
all seinen angesehenen Universitäten, an die Studenten aus aller Welt
strömen, um von klugen Köpfen auch zu lernen, wie man gut und sicher baut,
so die herrschende Lesart.
Moment! War es etwa ein Materialfehler? Ein Konstruktionsfehler? Oder
fehlende Wartung wider besseres Wissen? Vielleicht wie in Genua? Dort brach
am 14. August 2018 der Mittelteil einer 1967 eingeweihten Autobahnbrücke
mutmaßlich wegen mangelnder Wartung zusammen, riss dabei Autos und
Lastwagen mit sich, 43 Menschen starben. [1][Eine Katastrophe mit Ansage].
Wohl auch in Dresden, wo es zum Glück keine Opfer gab. Zwar beteuerten die
Behörden der Stadt, das Unglück sei „nicht vorhersehbar“ gewesen. Dass ein
Einsturz gedroht habe, habe man nicht ahnen können, erklärte [2][Holger
Kalbe], der Abteilungsleiter Brücken und Ingenieurbauwerke der Stadt,
unmittelbar nach dem Einsturz.
## Mängel seit langem bekannt
Das allerdings darf bezweifelt werden. Denn seither kommen Dokumente an die
Öffentlichkeit, die genau das Gegenteil belegen: Schwere Mängel an der 1971
eröffneten Spannbetonbrücke waren bereits seit elf Jahren bekannt.
Unverhohlen berichtete schon im September 2013 die damalige
CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz: „[3][Tragfähigkeit nicht zeitgemäß,
keine Sonderlasten möglich].“ Im Oberbau sei Bewehrungskorrosion
festzustellen. Es gebe zudem die „üblichen Probleme mit DDR-Spannstahl“.
Ferner bestehe der Verdacht auf eine Alkali-Kieselsäure-Reaktion in den
Pfeilern. Unverblümt konstatierte Orosz, die Brücke sei „dringend
sanierungsbedürftig“. Obgleich die Linke im Stadtrat hernach per Anfragen
nachfasste, verschlimmerte sich ihr Zustand zusehends – bis zu ihrem
Einsturz. Die Causa Carolabrücke ist kein Einzelfall. In Deutschland soll
jede zehnte der knapp [4][40.000 Brücken über Autobahnen und Fernstraßen]
„dringend sanierungsbedürftig“ sein, warnten Bau- und Verkehrsverbände er…
im Juni.
Würden nicht die nötigen Gelder im Verkehrsetat und der mittelfristigen
Finanzplanung vorgesehen, hätte dies fatale Folgen, so die Warnung der
Experten. Marode Brücken, kaputte Straßen, unbenutzbare Gleise. Wer
zwischen Rhein und Oder unterwegs ist, kann ein Lied davon singen. Um die
Infrastruktur in puncto Mobilität in der drittgrößten Volkswirtschaft der
Welt auf Vordermann zu bringen, bedarf es gewaltiger Investitionen.
Bliebe die Frage, wer das bezahlen soll – besteht doch schon jetzt ein
tiefes Loch im Staatshaushalt. Deutschland soll bis 2045
treibhausgasneutral sein. Das allein ist eine Herkulesaufgabe. Schulen und
Hochschulen brauchen zusätzliche Gelder, um im globalen Wettbewerb
mitzuhalten. Angesichts der alternden Gesellschaft braucht es mehr Geld für
die öffentliche Gesundheitsversorgung.
## Obulus der Reichen
Und obendrein wird angesichts neu entbrannter Konflikte und [5][Kriege,
auch in Europa], der Ruf nach einem höheren Wehretat fortan eher lauter
werden. Mehr Geld ist also nötig. Und dies, während das Damoklesschwert
Schuldenbremse über den Köpfen der Bevölkerung und vor allem den
Entscheidungsträgern in Bund, Ländern und Gemeinden hängt. Unter diesen
Prämissen steht man vor einer schier unlösbaren Herausforderung. Und das
gilt schon in guten Zeiten.
Es sind aber keine guten Zeiten. Die deutschen Ausfuhren legen partout
nicht zu. Unter den Bürgern grassiert das Sparen aus Angst. Um den
Investitionsstau aus eigener Kraft abzubauen, muss die bedenklich lahmende
deutsche Wirtschaft erneut auf Trab gebracht werden. Dabei wäre das
Potenzial durchaus vorhanden. Ein Geldvermögen in Billionenhöhe liegt
brach. Mobilisieren, bitte! Rentenpaket II hin, Aktienrente her: alles zu
zaghaft, alles, nur um die Rente (auf niedrigem Niveau) zu sichern.
Wie wäre es da mit einem deutschen Staatsfonds? Norwegens Statens
pensjonsfond trägt ordentlich Früchte. Ein Teil der Einnahmen fließt in
Norwegens Staatshaushalt, und zwar nicht nur zur Sicherung der Rente. Diese
Gelder könnten investiert werden. Und [6][warum sollte man unproduktives
Vermögen der Reichen nicht höher besteuern]? Wieso Habenichtsen nicht
verstärkt unter die Arme greifen, um so einen Konsumimpuls von unten
auszulösen?
Und: Warum [7][die Schuldenbremse], diese urdeutsche heilige Kuh, nicht mit
Augenmaß reformieren, um sich aus dem Korsett zu befreien und sich mehr
finanzpolitische Flexibilität zu verschaffen? 2024 ist nicht 2008, das
Lehman-Brothers-Kollapsjahr! Deutschland muss raus aus der Sackgasse! Doch
anstatt die Mauer aus Problemen einzureißen, erweist sich allen voran der
von seinem ideologischen Starrsinn gelähmte Bundesfinanzminister Christian
Lindner als Prinzipienreiter.
So ist abzusehen, dass Deutschland, das ehemalige Vorzeigeland, abermals
mit unschönen Spektakeln wie einstürzenden Brücken erneut Verwirrung fernab
seiner Grenzen stiftet. Verwirrung statt Verwunderung, weil Deutschland
auch nach dem jüngsten Brückendesaster von Dresden keine entschiedenen
Maßnahmen gegen seinen geradezu zur Schau gestellten Verfall vorantreibt.
Möge der denkwürdige [8][Einsturz der Carolabrücke] ein Weckruf sein.
23 Sep 2024
## LINKS
[1] /Brueckeneinsturz-von-Genua/!5528531
[2] /Marode-Infrastruktur-in-Dresden/!6032816
[3] https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/einsturz-der-carolabruec…
[4] https://www.deutschlandfunk.de/autobahnbruecken-in-deutschland-jede-zehnte-…
[5] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[6] /Vorschlag-zur-Soli-Abschaffung/!5987569
[7] /Schuldenbremse-bremst-Klimaschutz/!6027116
[8] /Eingestuerzte-Carolabruecke/!6037444
## AUTOREN
Ferry Batzoglou
## TAGS
Infrastruktur
Schuldenbremse
Brücken
Dresden
Bauen
Social-Auswahl
Griechenland
Migration
FDP
Olaf Scholz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Griechische Tourismusministerin: Nicht auf dem Teppich geblieben
Zwei Perserteppiche liegen im Büro von Olga Kefalogianni. Das Problem für
viele: Offenbar wurden sie komplett auf Staatskosten finanziert.
Carolabrücke in Dresden als Symbolbild: Brüche überall
Die Carolabrücke ist ein Symbol für ein marodes Deutschland. Statt sich um
zentrale Probleme zu kümmern, diskutiert die Politik nur über Migration.
Ökonom zur Schuldenbremse: „Bundesregierung schränkt sich ein“
Christian Lindners Berater begründe die Schuldenbremse mit einer falschen
Methode, sagt der Ökonom Leonard Mühlenweg. Folge ist ein Ausgabenverzicht.
Infrastruktur in Deutschland: Von Plänen und Beschleunigungen
Dass es mit Stromtrassen und Handymasten schneller gehen soll, gefällt der
Union. Doch da endet schon ihr Lob für die Ministerpräsidentenkonferenz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.