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# taz.de -- Großbritanniens „Reform UK“ im Parteitag: Beste Stimmung im Fa…
> Die rechtspopulistische Kraft von Nigel Farage sieht sich im Aufschwung.
> Beim Parteitag in Birmingham ist sogar vom Wahlsieg 2029 die Rede.
Bild: Nigel Farage mit Luftballons auf dem Parteitag von Reform UK
Birmingham taz | Eine lange Warteschlange hat sich am Morgen vor dem
Eingang des [1][National Exhibition Centre] am Rand von Birmingham
gebildet. In dem weitläufigen Komplex zwischen Flughafen und Autobahn
findet jedes Jahr die weltweit größte Hundeausstellung statt, doch an
diesem Freitag lassen die Menschen geduldig die Sicherheitskontrollen über
sich ergehen, um zum Parteitag von [2][Reform UK] zu gelangen. Das Publikum
ist mehrheitlich älter und ganz überwiegend weiß, ein Mann mit einem „I
love Donald Trump“-T-Shirt ist hier nicht der einzige Besucher, der seine
Sympathie für den Ex-US-Präsidenten zur Schau stellt.
Norman Maclean fällt durch seinen Schottenrock auf, dabei kommt der
54-jährige aus Luton nördlich von London. Das Kleidungsstück ist eine
Referenz an die Herkunft seines Vaters. Im Wahlkreis Luton South
kandidierte er bei den jüngsten Unterhauswahlen für Reform UK und landete
auf dem vierten Platz. Jetzt hofft er auf „gute Stimmung“ im Messezentrum.
„Die Zukunft wird strahlend sein“, schickt er gutgelaunt hinterher.
Tatsächlich strotzen die britischen Rechtspopulisten derzeit vor
Selbstbewusstsein. Erstmals gelangte ihnen am 4. Juli mit fünf
Direktmandaten der Sprung ins Unterhaus, mit 14 Prozent holte die Partei
von Nigel Farage den dritten Platz.
Nach Angaben von Reform UK wurden 4000 Tickets für den Parteitag verkauft.
Reges Treiben herrscht im Foyer mit seinem retrofuturistischen
Raumschiffcharme, der Bierausschank ist schon vor Beginn stark
frequentiert. In der Mitte des Foyers hat GBNews, das britische Pendant des
ultrarechten US-Senders Fox News, ein Fernsehstudio aufgebaut, in Erwartung
von Nigel Farage.
## Der Bierausschank ist stark frequentiert
In erster Linie hat Reform UK ihm den Wahlerfolg zu verdanken. Nigel
Farage, der mit seinen Kampagnen Großbritannien in den Brexit trieb und
danach die von ihm gegründete und [3][bei den Europawahlen 2019
erfolgreiche „Brexit Party“] in „Reform UK“ umbenannte, hatte eigentlich
nach dem EU-Austritt der Politik den Rücken gekehrt und trat als Moderator
bei GBNews auf. Aber als der letzte Tory-Premier Rishi Sunak überraschend
Wahlen für den 4. Juli ansetzte, [4][kam er zurück]. Jetzt sitzt er im
Unterhaus.
Unbestritten genießt Farage eine gewisse Popularität, weil er es geradezu
meisterhaft versteht, sich in der Öffentlichkeit als Sprachrohr des
sogenannten kleinen Mannes auszugeben. Reform UK ist praktisch ohne
ausgearbeitetes Wahlprogramm auf einer Welle der Zustimmung ins Parlament
geritten, die sich ohne Farages kurzentschlossene Kandidatur im
[5][Wahlkreis Clacton] gar nicht erst aufgebaut hätte.
Dementsprechend ist die Choreografie des Parteitages ganz auf Farage
zugeschnitten. Aus den Lautsprechern erklingt [6][Eminems „Without Me“] als
er, umringt von Security und Fotografen, in die Halle kommt und durch die
Reihen der Zuschauer schreitet, die ihn mit „Nigel, Nigel“-Rufen frenetisch
bejubeln. Sobald er auf die Bühne tritt, wird um ihn herum ein Feuerwerk
gezündet.
Während seiner frei gehaltenen Rede schaltet er sofort auf Attacke. Keir
Starmer bescheinigt er, schon zu Beginn seiner Amtszeit so unbeliebt zu
sein wie kein Premier vor ihm. Demonstrativ setzt er sich eine, wie er
verlautet, „teure Brille“ auf, die er aber selbst bezahlt habe – eine
Anspielung auf den ersten größeren Labour-Skandal – die Affäre um
Freundschaftsdienste und Werbegeschenke für Starmer und seine Frau,
darunter mehrere Luxusbrillen im Wert von 2485 Pfund. Aber auch die
Konservativen, die erstmals nach 14 Jahren an der Macht wieder die
Oppositionsbank drücken müssen und derzeit nach einer neuen Führung suchen,
bekommen ihr Fett weg: „Die Marke ‚Tory‘ ist am Ende“. Bleibt: Reform U…
Auf der Bühne erklärt Farage, ganz stolzer Vater, seine Partei endlich für
erwachsen und nimmt seine Parteigänger auch gleich in die Verantwortung,
überall Ortsvereine zu gründen, um in die Kommunalparlamente einzuziehen.
Bei den Kommunalwahlen im Mai nächsten Jahres möglichst viele Sitze in
Gemeinderäten und Stadtparlamenten zu ergattern.
## Ziel: Wahlsieg 2029
Den Vorwurf, in seinem eigenen Wahlkreis kaum anwesend zu sein, ja bisher
nicht einmal Bürgersprechstunden anzubieten, hatte Farage vergangene Woche
mit dem Hinweis auf seine prominente Stellung gekontert. Obwohl während
Farages Auftritt auf die Leinwand hinter ihm Ansichten von Clacton-On-Sea
projiziert werden, scheint ihm das Tagesgeschäft des Wahlkreisabgeordneten
einfach ein paar Nummern zu klein. Seit Beginn der Legislaturperiode weilte
er schon dreimal in den USA, zu Anlässen in Donald Trumps politischen
Umfeld.
Seine Vorredner in Birmingham geben sich sowieso überzeugt davon, dass
Farage 2029 in 10 Downing Street einziehen wird, und auch Farage selbst
schwört die Anwesenden auf das Ziel ein, Reform UK zur Gewinnerin der
nächsten Parlamentswahlen zu machen.
Wenig überraschend, bemüht Farage die „schweigende anständige Mehrheit im
Land“, die sich mit einem „kaputten Großbritannien“ konfrontiert sehe.
„Britain is broken“ – wie ein Mantra zieht sich diese Phrase durch alle
Redebeiträge, im seltsamen Kontrast zur nüchternen Funktionalität des
Messezentrums, in dem ein ethnisch gemischtes Servicepersonal für den
reibungslosen Ablauf sorgt, während Farage und seine Parteikollegen für
praktisch alle Probleme des Landes die ihrer Meinung nach außer Kontrolle
geratene Einwanderung ins Königreich verantwortlich machen.
Der Fokus auf das Thema Einwanderung ist ganz nach dem Geschmack des
Publikums. In der Konferenzpause verweigern einige Besucher das Gespräch
mit der Presse. Immerhin äußert Pamela Taylor, eine Rentnerin aus Wales,
gegenüber der taz, dass sie eigentlich nichts gegen Einwanderung habe, aber
ihr mache Sorgen, dass der Islam sich in den Schulen, Schulbehörden und in
der Führung der Polizei ausbreitet. „In jede Organisation gelangen immer
mehr Muslime. Mag sein, dass sich die Dinge gar nicht so sehr ändern, aber
ich denke, dahinter steckt ein größerer Plan,“ sagt sie.
Für Norman Maclean, den Reform-Kandidaten aus Luton, der sich nun ein Bier
gönnt, ist Einwanderung „zu hundert Prozent“ der Grund für sein Engagemen…
da sie „die Menschen in diesem Land tötet“. Sie würde „jeden ärmer mac…
weil sie auch für den Anstieg der Lebensmittelpreise und der Mieten sorgt“,
fügt Maclean hinzu, der nicht nur Sohn eines Schotten, sondern auch einer
Süditalienerin ist.
## Wogegen die Partei ist, ist klar – aber nicht, wofür
Angesichts der Dominanz dies Themas gerät ein wenig in den Hintergrund,
dass die Unterhausabgeordneten von Reform UK tatsächlich auch in voller
Fahrt auf die Kulturkampfschiene setzen. Jeglichen Bemühungen um mehr
Diversität in allen Gesellschaftsbereichen erteilen eine Absage, erklären
Multikulti für gescheitert, stellen Transgenderrechte infrage, erklären die
kritische Aufarbeitung britischer Kolonialgeschichte für unpatriotisch,
verschmähen Veganismus und brandmarken das Streben nach
Netto-Null-Emissionen bis 2050 als schädlich.
Welche eigene Agenda die Partei zu verfolgen gedenkt, bleibt demgegenüber
unklar. Verurteilen die einen Redner die Labour-Regierung scharf dafür,
dass diese im kommenden Winter Heizzuschüsse nur noch für die bedürftigsten
Rentner auszahlt, singt der Abgeordnete Rupert Lowe das Hohelied des
schlanken Staates im Sinne Maggie Thatchers, bevor er sich in konspirativen
Narrativen über ein Großbritannien unter der Fuchtel supranationaler
Institutionen und Covid-Impfungen als Massenexperiment ergeht.
Es ist wohl der undemokratischen Verfasstheit von Reform UK zu verdanken –
die Partei war bisher juristisch ein Unternehmen im Besitz von Nigel
Farage, aber das soll sich jetzt ändern – dass die etatistischen und die
libertären Strömungen innerhalb der Partei noch gar keine Gelegenheit
hatten, sich gegenseitig ins Gehege zu kommen. Am Samstagmorgen stimmen die
Konferenzmitglieder per Hand mehrheitlich für ein Parteistatut, das den
Mitgliedern überhaupt erst ein Recht gibt, über Inhalte und Personal
mitzureden.
Nun wird sich zeigen, ob aus Reform UK eine breiter aufgestellte Partei mit
streitenden Flügeln wird oder ein Farage-Fan-Club bleibt.
22 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.thenec.co.uk/
[2] https://www.reformparty.uk/
[3] /Grossbritannien-nach-Europawahl/!5595291
[4] /Wahlen-in-Grossbritannien/!6011780
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Clacton_(UK_Parliament_constituency)
[6] https://www.youtube.com/watch?v=YVkUvmDQ3HY
## AUTOREN
Oliver Pohlisch
## TAGS
Großbritannien
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