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# taz.de -- Umstrittene Eugenik-Äußerungen: Ärztevertreter muss gehen
> Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen entlässt ihren Vorstandschef
> Klaus Heckemann. Der hatte eine „Eugenik im besten Sinne“
> herbeifabuliert.
Bild: Klaus Heckemann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung …
Berlin taz | Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Sachsen hat ihren
Vorstandschef Klaus Heckemann in einer eigens dafür einberufenen
Sondersitzung entlassen. Das bestätigte die Vertretung der niedergelassenen
Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen am Mittwochabend. Dem
vorausgegangen war eine Welle der Empörung über Heckemanns Vision einer
Eugenik im „besten und humansten Sinn“. Der Allgemeinmediziner aus Dresden
war zuvor bereits durch umstrittene Äußerungen aufgefallen.
Der 1956 geborene Heckemann war seit 2005 Vorstandsvorsitzender der KV
Sachsen. Im Vorwort der [1][im Juni erschienenen Ausgabe der
KVS-Mitgliederzeitschrift] hatte er seine Zukunftsvision einer genetischen
Untersuchung mit kompletter Mutationssuche bei allen Eltern mit
Kinderwunsch skizziert. Seien Mutter und Vater genetisch vorbelastet, so
könne man mittels künstlicher Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik
„das Risiko der Geburt eines schwerstkranken Kindes ausschließen“.
„Besonders das Leid der betroffenen Eltern könnte vermieden werden“,
schreibt Heckemann. Auch Mutationen wie die Hämophilie, eine Störung der
Blutgerinnung, könnten durch gezielte Auslese „innerhalb von nur einer
Generation“ beendet werden.
Derzeit scheitere die Umsetzung seiner Vision noch an den Kosten für
genetische Untersuchungen, so Heckemann. Das müsse aber nicht so bleiben,
schon jetzt seien Komplettuntersuchungen des Genoms für einen Bruchteil der
einstigen Kosten zu haben. Die gesellschaftlichen Diskussionen über eine
von den Krankenkassen finanzierte Suche nach Mutationen bei Eltern mit
Kinderwunsch seien laut Heckemann jedenfalls vorher zu führen. Es „werden
auch ethische Aspekte berührt, denn die Nutzung einer solchen Chance wäre
natürlich zweifellos Eugenik. Allerdings in ihrem besten und humansten
Sinn“, schreibt der Humanmediziner.
Sein Editorial schließt Heckemann mit „der Hoffnung, eine lebhafte
Diskussion auszulösen“. Das ist zweifelsohne gelungen.
## Empörte Reaktionen
Die medizinischen Fakultäten der Universitäten in Dresden und Leipzig,
mehrere medizinische Organisationen und schließlich auch die
Sozialministerin Sachsens, Petra Köpping (SPD), übten heftige Kritik und
forderten teils die Absetzung des KVS-Vorstands. Die Präsidentin des
Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, [2][äußerte in einer Mitteilung],
die KV Sachsen „wird offensichtlich von einem Menschen geführt, der sich
sprachlich nationalsozialistischer Ideologie annähert“. Das erinnere stark
an die Verbrechen an behinderten und kranken Menschen im Dritten Reich.
Die Behindertenrechtsorganisation [3][Abilitywatch schrieb in einer
Mitteilung]: „Das Wort „Eugenik“ zu verwenden und im selben Atemzug von
ihrer „besten und humansten Form“ zu sprechen, ist eine respektlose
Verharmlosung und eine unverzeihliche Verfälschung der grausamen Realität,
die Millionen von unschuldigen Menschen das Leben gekostet hat.“ In einer
[4][Stellungnahme der Gedenkstätten Pirna-Sonnenstein und Großschweidnitz]
hieß es: „Es gibt keine Eugenik im besten und humansten Sinn“.
Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Dachorganisation der
kassenärztlichen Vereinigungen, [5][distanzierte sich Ende August von
Heckemanns Äußerungen] und betonte die besondere Verantwortung von
Ärzt*innen sowie Vertreter*innen berufständischer Organisationen.
„Selbst wenn solche Aussagen als neutrale Abwägung daherkommen, haben sie
das Potenzial, menschenverachtende Positionen der NS-Diktatur wieder
salonfähig zu machen“, erklärten die Vorstände der KBV.
Heckemann selbst wurde Ende August in der Ärzte Zeitung damit zitiert, es
handele sich um ein „offensichtliches Missverständnis, was allein deshalb
kein Grund für einen Rücktritt sein kann“.
## Nicht der erste Fall
Bereits in der Vergangenheit gab es Unmut über Äußerungen des
Vorstandschefs der KV Sachsen. [6][Ebenfalls in einem Vorwort der
Mitgliederzeitschrift] rechnete der damals frisch wiedergewählte Heckemann
im Dezember 2022 mit der „Genderproblematik“, „unseliger Identitätspolit…
und „Klimaterroristen“ ab, schrieb von einer Einengung des öffentlichen
Meinungskorridors, des „noch Sagbaren“. Das sächsische Sozialministerium
distanzierte sich auch da von den Äußerungen. Ärzt*innen veröffentlichten
eine Petition unter der Überschrift „Nicht in unserem Namen – Herr
Heckemann, bitte nur Gesundheitspolitik“. [7][Heckemann entschuldigte sich
damals] für seine Formulierungen.
Im aktuellen Fall veröffentlichte die KV Sachsen [8][parallel zur
Abberufung ihres Vorstandschefs eine Resolution], in der sich „die
Mitglieder der Vertreterversammlung der KV Sachsen […] uneingeschränkt zu
den Werten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und unseres
Grundgesetzes“ bekennen. Einer Verharmlosung der Verbrechen des
Nationalsozialismus trete man im Bewusstsein der besonderen historischen
Verantwortung entschieden entgegen.
Bis zur Wahl einer oder eines neuen Vorstandsvorsitzenden übernimmt die
bisherige Stellvertreterin, Sylvia Krug, die Geschäfte der KV Sachsen.
5 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.kvsachsen.de/fuer-praxen/aktuelle-informationen/kvs-mitteilunge…
[2] https://deutscher-pflegerat.de/profession-staerken/pressemitteilungen/mensc…
[3] https://abilitywatch.de/2024/09/01/eugenik-in-sachsen-empoerung-ueber-visio…
[4] https://www.stsg.de/cms/pirna/aktuelles/es-gibt-keine-eugenik-im-besten-und…
[5] https://www.kbv.de/html/2024_71425.php
[6] https://www.kvsachsen.de/fuer-praxen/aktuelle-informationen/kvs-mitteilunge…
[7] https://www.kvsachsen.de/fuer-praxen/aktuelle-informationen/kvs-mitteilunge…
[8] https://www.kvsachsen.de/fileadmin/KV-Sachsen_Website/05_Medienservice/01_P…
## AUTOREN
Manuela Heim
## TAGS
Gesundheitswesen
NS-Verbrechen
Ärzte
Kassenärztliche Vereinigung
NS-Verbrechen
Queer
Schwer mehrfach normal
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