# taz.de -- Geheime Infos aus der Terrororganisation: Wirbel um Hamas-Dokumente | |
> Kürzlich erschienen in „Bild“ und „Jewish Chronicle“ Artikel, die si… | |
> auf interne Dokumente der Hamas berufen. Ihre Authentizität wirft Fragen | |
> auf. | |
Bild: Israelische Soldaten am Eingang eines Tunnels, in dem kürzlich sechs isr… | |
„Zum Schaudern!“, heißt die Überschrift, „Das plant der Hamas-Chef mit … | |
Geiseln“. Der Artikel vom 6. September beruft sich auf ein [1][„internes | |
Schreiben“], das auf Jahia Sinwars Computer gefunden und von ihm | |
[2][persönlich abgesegnet] worden sei – und der Bild exklusiv vorliege. | |
Im Bild-Artikel heißt es unter anderem, die islamistische | |
Terrororganisation strebe kein schnelles Ende des Krieges an und wolle | |
Israel für die erfolglosen Verhandlungen alleine verantwortlichen machen. | |
„Wichtige Klauseln im Abkommen“ sollten „verbessert werden, selbst wenn d… | |
Verhandlungen über einen längeren Zeitraum fortgesetzt werden“, soll es im | |
zitierten Dokument heißen. Und weiter: Die Familien der israelischen | |
Geiseln sollen unter psychologischen Druck gesetzt werden. | |
Eine Woche später, am 12. September, steht in der linken israelischen | |
Zeitung Haaretz ein Cartoon, der sich über den „Scoop“ lustig macht: | |
Benjamin Netanjahu ruft die Bild an, ein Zeitungsbote liefert am nächsten | |
Tag das Blatt und schon hat Bibi, so heißt der Premier mit Spitznamen, | |
einen Beweis in der Presse für seine Behauptungen. | |
Kritisiert wurde der Bild-Artikel etwa in der Jedioth Aharonot, eine von | |
Israels auflagenstärksten Zeitungen. Ronen Bergman, der auch zum | |
diesjährigen Pulitzer-Preis-Gewinner-Team für die Nahostberichterstattung | |
der New York Times gehört und in den israelischen Sicherheitsbehörden als | |
bestens vernetzt gilt, schrieb am 8. September: Das Dokument stamme nicht | |
vom Hamas-Chef Sinwar, sondern sei der „Vorschlag eines mittleren | |
Funktionärs“ der islamistischen Terrororganisation. | |
Das Dokument sei zudem manipuliert worden, so Bergman weiter. Die | |
entscheidende Stelle, dass Hamas kein Interesse an einem Deal habe, komme | |
im Original nicht vor. Doch das behauptet der Bild-Artikel, geschrieben vom | |
stellvertretenden Chefredakteur Paul Ronzheimer und Co-Politik-Chef Filipp | |
Piatov, auch nicht. Sondern nur, dass die Hamas die Verhandlungen mit | |
Israel hinauszögern wolle. | |
## IDF hat Echtheit bestätigt | |
In einem weiteren Artikel Bergmans vom 15. September kommt dieser Vorwurf | |
nicht mehr vor. Stattdessen heißt es: Das Dokument sei zwar vom | |
militärischen Nachrichtendienst der Essedin-al-Kassam-Brigaden der Hamas | |
verfasst worden, sei aber von weniger Bedeutung und nicht im Auftrag | |
Sinwars entstanden. | |
Auf taz-Anfrage sagt die Bild, dass sie sich aus Quellenschutzgründen zu | |
Ursprung und Überprüfung der Authentizität des Dokuments nicht äußern | |
könne. Die israelische Armee (IDF) habe aber die Echtheit des Dokuments | |
nach der Veröffentlichung bestätigt, so die Zeitung. | |
Die Times of Israel berichtet, dass das originale Dokument vor fünf Monaten | |
in Gaza gefunden worden sei und laut IDF-Quellen „keine neuen | |
Informationen“ enthalte. Weiter sagt die Bild der taz: Die Zeitung | |
„berichtet nirgendwo, dass aus dem Dokument hervorginge, dass die Hamas | |
kein Interesse an einem Deal hat. Im Gegenteil: Bild berichtet, dass die | |
Hamas sogar Maßnahmen plant, um ‚die Waffenruhe zu verlängern‘.“ | |
Aus dem Hamas-Dokument gehe hervor, dass ein schnelles Ende des Kriegs für | |
die Terrororganisation nicht wichtig sei – „dies wird mit einer | |
entsprechenden Textpassage belegt“. | |
Gravierender sind die Vorwürfe, auch von Ronen Bergman in der Jedioth | |
Aharonot erhoben, gegen die britische Zeitung Jewish Chronicle. | |
Ein Artikel des freien Reporters Elon Perry vom 5. September berief sich | |
ebenfalls auf ein internes Hamas-Dokument, nach dem Sinwar mit israelischen | |
Geiseln über den Philadelphi-Korridor zwischen Gaza und Ägypten in den Iran | |
fliehen wolle. | |
## Zusammenarbeit mit Perry beendet | |
Dieses Dokument hat die IDF inzwischen als Fake entlarvt und kündigt nun | |
Ermittlungen an. Israelische Medien spekulieren, dass die Fälschung in der | |
europäischen Presse gezielt platziert worden sei, um Netanjahus Positionen | |
zu unterstützen. | |
Am Tag vor der Veröffentlichung hatte der israelische Premier nämlich genau | |
darauf auf einer Pressekonferenz ohne Belege spekuliert. In den | |
Verhandlungen beharrte er darauf, militärische Kontrolle über den Korridor | |
zu behalten. Der Artikel in der Jewish Chronicle wurde etwa von seinem Sohn | |
Jair geteilt. | |
In einem knappen Statement am 13. September erkläre die Jewish Chronicle | |
nach einer internen Untersuchung die Zusammenarbeit mit Perry für beendet, | |
sie entfernte sämtliche Artikel von ihm von ihrer Webseite. | |
Teile der Biografie des ehemaligen IDF-Soldaten sollen zudem von ihm falsch | |
dargestellt oder erfunden worden seien. „Wir entschuldigen uns bei unseren | |
treuen Lesern und haben unsere internen Abläufe überprüft, damit sich so | |
etwas nicht wiederholt“, schreibt die älteste jüdische Zeitung der Welt. | |
In der Zwischenzeit laufen die Ermittlungen der IDF zu den Enthüllungen | |
weiter. Denn die Weitergabe solcher Dokumente an die Presse sei eine | |
„schwere Straftat“, so ein Sprecher. | |
Doch auch wenn die beiden Fälle von manchen als Teil der gleichen Strategie | |
Netanjahus gesehen werden, weisen sie auch wichtige Unterschiede auf: Bei | |
der Bild geht es um ein echtes Dokument, das von der Zeitung als wichtiger | |
dargestellt wird, als es tatsächlich ist; bei der Jewish Chronicle offenbar | |
um eine gezielte Fälschung, die die öffentliche Meinung zugunsten | |
Netanjahus beeinflussen soll. | |
17 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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