Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- CDU nach der Wahl: Merz und die Scheinriesen
> Die CDU steht in Sachsen und Thüringen vor schwierigen
> Koalitionsverhandlungen, die an den Kern ihrer Identität gehen könnten.
Bild: Sehen so Sieger aus? CDU Vorsitzender Merz (l-r) gratuliert Sachsens Mich…
Berlin taz | Friedrich Merz macht an diesem Montagmittag in der Berliner
Parteizentrale das, was ein CDU-Parteichef nach Landtagswahlen so macht: Er
gratuliert den beiden Spitzenkandidaten, [1][Sachsens Ministerpräsidenten
Michael Kretschmer] und dem Thüringer Landeschef Mario Voigt, „sehr
herzlich zu diesem Wahlergebnis“ unter schwierigen Bedingungen. Merz
betont, [2][das Ergebnis der AfD] und die Tatsache, dass eine gesichert
rechtsextreme Partei erstmals in einem deutschen Landtag auf Platz eins
gewählt wurde, mache nachdenklich.
Doch dann ist er schnell bei der Bundesregierung, die schuld an der Misere
sei. Die Ampelregierung: „ein totales Fiasko“. Das zentrale Problem: „der
Zuwanderungsdruck“. Notwendig seien Zurückweisung von Geflüchteten an der
deutschen Grenze. Auch Kretschmer, der danach spricht, ist fix bei seiner
Forderung nach einer Obergrenze von 30.000 Geflüchteten jährlich.
Selbstkritisches mit Blick auf die hohen Ergebnisse der AfD? Fehlanzeige.
Doch anders, als Merz suggeriert: Der klassische Wahlsieger ist die CDU
nicht, auch wenn sie künftig möglicherweise nicht nur in Sachsen, sondern
auch in Thüringen den Ministerpräsidenten stellen wird und in beiden
Ländern in etwa ihr Wahlergebnis von vor fünf Jahren halten konnte.
Wahlsieger sind die Populisten. Die rechtsextreme AfD, die in Thüringen
deutlich vor und in Sachsen nur knapp hinter der CDU liegt. Und das
[3][Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)], das aus dem Stand zweistellig – und
zum Schlüsselfaktor bei der Koalitionsbildung in beiden Bundesländern
geworden ist.
Die CDU ist eher eine Art Scheinriese, der nicht unbedingt aus Überzeugung
gewählt worden ist. Sein Erfolg hängt zu einem gehörigen Teil davon ab,
dass die Wähler*innen einen zu großen Einfluss der AfD verhindern
wollten. Das jedenfalls hat etwas mehr als die Hälfte von ihnen als Grund
für die eigene Entscheidung in Nachwahlbefragungen so angegeben.
## Weniger Kompetenz zugetraut
Auch die Kompetenzzuschreibungen für die Christdemokrat*innen haben im
Vergleich zu vor fünf Jahren auch in Schlüsselbereichen wie Wirtschaft und
Sicherheit abgenommen; beim Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik liegt die
AfD laut Infratest dimap sogar deutlich vor der CDU. Was durchaus Anlass
für selbstkritisches Nachdenken sein könnte.
Besonders Kretschmer hat im Wahlkampf darauf gesetzt, die Wahl rechts der
Mitte zu gewinnen – dazu hat er scharf gegen die Ampel und vor allem die
Grünen polemisiert und drastische Verschärfungen in der Migrationspolitik
gefordert, die sich im Sound mitunter kaum von der AfD unterschieden. Hinzu
kamen [4][seine Forderungen nach Friedensverhandlungen mit Russland und
Kürzungen bei den Waffenlieferungen an die Ukraine].
Funktioniert hat das nicht. Die CDU, das zeigen Wählerwanderungen, hat
Zehntausende Wähler*innen an AfD und BSW verloren, gerettet haben
Kretschmer die Stimmen von ehemaligen Grünen-, SPD- und
Linken-Wähler*innen, auch konnte er einen Teil derer mobilisieren, die beim
letzten Mal nicht zur Wahl gegangen sind.
Eine der Folgen: In Sachsen hat die Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen
keine Mehrheit mehr. Zwar wollte Kretschmer die Koalition mit den Grünen
ohnehin nicht fortsetzen, wie er im Wahlkampf nicht müde wurde zu betonen,
aber möglicherweise wird er sie irgendwann vermissen.
Denn stattdessen ist er jetzt – wie auch sein Kollege Voigt in Thüringen –
von Sahra Wagenknecht abhängig, die schon vor der Wahl Forderungen für eine
Zusammenarbeit formuliert hat, über die zwar nicht in den Landtagen in
Dresden oder Erfurt entschieden wird, die aber an den Kern der
CDU-Identität gehen: die Westbindung Deutschlands.
Die CDU steht nun in beiden Ländern vor sehr schwierigen Verhandlungen.
Dass für sie eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen ist, betonen
Kretschmer und Voigt im Konrad-Adenauer-Haus noch einmal.
Beide machen auch klar, dass sie die neuen Regierungen anführen wollen.
Aber wie es zu diesen kommen soll – da werden sie schmallippig. „Das wird
nicht leicht, das geht nicht schnell“, sagt Kretschmer. „Wir werden
ausloten, welche Lösungen unter den schwierigen Rahmenbedingungen möglich
sind“, sagt Voigt. Beide wollen „Gespräche führen“, zunächst mit der S…
dann mit dem BSW.
## Eine Stimme fehlt
In Sachsen läuft es – zumindest rein rechnerisch – auf ein Bündnis mit BSW
und SPD hinaus. In Thüringen ist die Lage noch komplizierter, dort reicht
ein solches Dreierbündnis nicht einmal mehr aus: Einer Koalition aus CDU,
BSW und SPD fehlt im neuen Landtag eine Stimme zur Mehrheit.
Die kann eigentlich nur von der Linken kommen. Nur gibt es da diesen
Unvereinbarkeitsbeschluss, den die CDU 2018 auf ihrem Bundesparteitag
verabschiedet hat – für die AfD, aber eben auch für die Linkspartei. Die
Thüringer CDU-Fraktion hat den zweiten Teil allerdings bereits großzügig
umgangen, als sie jahrelang die rot-rot-grüne Minderheitskoalition von
[5][Ministerpräsident Bodo Ramelow] toleriert hat, auch wenn das so nicht
heißen durfte. „Der Beschluss gilt“, sagt Merz. Damit umzugehen sei Aufgabe
der Landesverbände. Was sich so anhört, als hätte Voigt in Thüringen
weiterhin eine gewisse Beinfreiheit.
Aber zunächst müssen der Thüringer und der Sachse sich erst einmal mit dem
BSW einig werden. Dabei will Namensgeberin Sahra Wagenknecht vielleicht gar
nicht regieren, weil es sich aus der Opposition heraus besser
Bundestagswahlkampf machen lässt. Sie hat Forderungen formuliert, die die
zentralen Werte der CDU in Frage stellen.
Sie will Friedensverhandlungen mit Russland. Und keine Stationierung von
US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. Auch von der Nato hält Wagenknecht
bekanntlich nicht viel. „Eine Zusammenarbeit bedeutet nicht, dass man die
eigenen Überzeugungen aufgibt“, sagt Kretschmer dazu auf Nachfrage. Wie
diese unterschiedlichen Überzeugungen in einer Koalition ganz praktisch
gelöst werden könnten, dazu sagt er nichts. Ohnehin ist ihm und auch Voigt
eine gewisse Ratlosigkeit anzumerken.
Für die CDU birgt die Zusammenarbeit mit BSW und Linken eine gewaltige
Sprengkraft. Während manche, wie der ehemalige Generalsekretär Mario Czaja,
nun fordern, den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken aufzuheben,
schreibt etwa der frühere Geschäftsführer der Mittelstandvereinigung
Thorsten Alsleben, der eng mit Czajas Nachfolger Carsten Linnemann
verdrahtet ist, auf X: „Eine Koalition der CDU-Thüringen mit zwei
SED-Erben- und Pro-Putin-Parteien wäre absoluter Irrsinn, parteischädigend
für die Bundes-CDU. Dieses Opfer ist Thüringen nicht wert.“ Der CDU stehen
aufreibende Auseinandersetzungen bevor.
2 Sep 2024
## LINKS
[1] /Landtagswahl-in-Sachsen/!6033432
[2] /AfD-Erfolge-in-Thueringen-und-Sachsen/!6033623
[3] /Buendnis-Sahra-Wagenknecht/!6033621
[4] /Sachsens-Ministerpraesident-im-Wahlkampf/!6031590
[5] /Bodo-Ramelow-nach-Thueringen-Wahl/!6033631
## AUTOREN
Sabine am Orde
## TAGS
Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
CDU
Michael Kretschmer
Schwerpunkt AfD
Ampel-Koalition
Die Linke
Social-Auswahl
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Wahlen in Ostdeutschland 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bodo Ramelow nach Thüringen-Wahl: Die Ruhe nach dem Sturz
Der linke Ministerpräsident ist abgewählt. Doch er hadert kaum damit und
will als normaler Abgeordneter weiter Politik machen.
Wahlen in Sachsen und Thüringen: Triste Manifestation im Osten
Die Wahlen im Osten sind kein Rechtsruck. Sie zeigen mit Wucht, was längst
da war. Wichtig sind jetzt die Engagierten.
Wahlen in Thüringen und Sachsen: Schwierige Suche nach Mehrheiten
Nur das BSW und die AfD gewinnen bei der Wahl in Sachsen dazu. Das liegt
nicht nur an der Ampelregierung. Eine Analyse.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.