| # taz.de -- Journalistin über ihre Arbeit in Sachsen: „Das ist auch meine He… | |
| > Der Hass auf Journalist*innen in Sachsen ist heftig. Doreen Reinhard | |
| > lässt sich davon nicht abschrecken und stellt Forderungen an die Branche. | |
| Bild: Doreen Reinhard berichtet als freie Journalistin über Themen aus Politik… | |
| taz: Frau Reinhard, Sie sind in Dresden geboren, haben ein Volontariat bei | |
| der Sächsischen Zeitung gemacht und beobachten die Lage für | |
| Medienschaffende im Osten seit vielen Jahren. Welche Auswirkungen hätte es | |
| für Journalist*innen, wenn die AfD bei den Landtagswahlen stärkste Kraft | |
| wird? | |
| Doreen Reinhard: Eine Regierungsbeteiligung der AfD halte ich aktuell für | |
| unrealistisch, wenn auch nicht für komplett ausgeschlossen. Mit oder ohne | |
| Regierungsmacht hat die AfD im Osten schon jetzt großen Einfluss gewonnen. | |
| Ein Teil der Bevölkerung misstraut den Medien grundsätzlich. Ist ja auch | |
| kein Wunder, wenn die AfD und andere extrem rechte Strukturen ihre | |
| Anhängerschaft gegen das Feindbild Presse mobilisieren. Noch ist das keine | |
| Mehrheit, aber mal sehen, was passiert. | |
| Eine Ansage der AfD ist, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiter unter | |
| Druck zu setzen. Auch Bedrohungen und Beleidigungen gegenüber | |
| Journalist*innen sind immer wieder Thema. Erst vor ein paar Monaten hat | |
| mich ein Demoaktivist in den sozialen Medien als „linksgrüne Faschistin“ | |
| beleidigt, nachdem ich über eine prorussische Veranstaltung in einer | |
| sächsischen Kleinstadt berichtet hatte, bei der die Presse ausgeschlossen | |
| war. Mache ich mir dann den Aufwand, Anzeige zu erstatten, möglicherweise | |
| einen Anwalt hinzuziehen? Das kostet ja auch. Ich habe schließlich Anzeige | |
| erstattet, um das nicht einfach durchgehen zu lassen. | |
| Noch mehr Einfluss der AfD und anderer extrem rechter Kräfte würde also | |
| noch mehr Druck für Journalist*innen bedeuten. Dabei fallen im Zuge der | |
| Medienkrise bereits jetzt viele Stellen weg, Honorare für Freie werden | |
| gekürzt, Kapazitäten und teilweise Kompetenzen für intensivere Recherchen | |
| schwinden, die Qualität der Berichterstattung sinkt. Gerade in einem | |
| Bundesland, wo Rechtsextremismus stark verbreitet ist, bereitet mir das | |
| Sorgen. | |
| taz: Immer öfter kommt es auch zu [1][Fällen von Körperverletzung, | |
| Überfällen] oder Cyberbullying gegen Journalist*innen. Welche Erfahrungen | |
| machen Sie in Sachsen? | |
| Reinhard: Man erlebt hier alles Mögliche. Es gibt Rechte, die einem Sprüche | |
| wie „Ihr lügt doch alle“ an den Kopf werfen und einen verbal angreifen. Auf | |
| einer Demo versucht man dann am besten, die Situation schnell zu verlassen, | |
| damit es nicht eskaliert – das gilt vor allem für kleinere Orte, wo kaum | |
| Polizei anwesend ist. Einen körperlichen Übergriff habe ich zum Glück noch | |
| nicht erlebt. Es gibt aber auch innerhalb von radikalen rechten Strukturen | |
| durchaus Leute, mit denen man sprechen kann. Wenn ich recherchiere, | |
| versuche ich, mit allen Seiten in Kontakt zu kommen und will natürlich auch | |
| von diesen Leuten Informationen bekommen, wissen, was sie zu sagen haben. | |
| Das heißt nicht, dass man das ungefiltert übernehmen muss. | |
| taz: Woher kommt der Hass auf Medien? | |
| Reinhard: Das Feindbild Medien gibt es in diesen Kreisen schon länger. Zum | |
| einen fehlt eine gewisse Medienkompetenz. Ich bin immer wieder erstaunt, | |
| wie wenig Leute wissen, wie Journalisten eigentlich arbeiten, was ein | |
| Pressekodex ist. Dass ich zum Beispiel nicht den ganzen Text mitschicke, | |
| wenn es um die Autorisierung eines Zitats geht. Oder dass ich meine Quellen | |
| schützen muss. Fehlendes Wissen kann dann zu Misstrauen führen. Es hat aber | |
| auch eine historische Ebene. | |
| Die Älteren kommen aus einem System, in dem es nur staatliche | |
| Einheitsmedien gab, voll mit Propaganda – 40 Jahre lang DDR. Danach der | |
| große Umbruch: Plötzlich [2][kamen viele westdeutsche Verlage in den | |
| Osten]. Auch wenn heute mehr Journalisten aus dem Osten dort arbeiten, | |
| haben manche Leser*innen d[3][as Gefühl, von westlichen Medien überrannt | |
| worden zu sein.] Und dann gibt es natürlich radikale Akteure, die ihren | |
| Hass gegenüber den Medien durch die sozialen Netzwerke befeuern und | |
| schüren. Das Ergebnis habe ich vor zehn Jahren auf den ersten | |
| Pegida-Demonstrationen zu spüren bekommen, wo uns Journalist*innen | |
| „Lügenpresse“ entgegengebrüllt wurde. | |
| taz: Trotzdem berichten Sie seit Pegida regelmäßig über Demonstrationen in | |
| Sachsen. Wie sorgen Sie da für Ihre Sicherheit? | |
| Reinhard: Demos gehören hier für mich als Journalistin zum Alltag. Als | |
| Freie bin ich für meine Sicherheit selbst verantwortlich. Klar unterstützen | |
| mich die Redaktionen auch, wenn ich nachfrage, aber von selbst kommt da in | |
| der Regel nicht viel. Vor einer Demo muss man immer abwägen, wie man | |
| vorgeht. Geht man mit Sicherheitspersonal? Bisher habe ich das noch nicht | |
| gemacht. Andere Kolleg*innen tun das inzwischen regelmäßig, weil sie so | |
| häufig angegriffen werden. Arbeitet man mit Fotograf*innen, die | |
| Demoerfahrung haben? Wie viel Polizei ist vor Ort? Da stellt man sich hier | |
| immer ein paar mehr Fragen und muss auch damit rechnen, dass es mal heikler | |
| werden könnte. | |
| taz: Gewöhnt man sich an diese Arbeitsbedingungen? | |
| Reinhard: Wenn man hier länger arbeitet, kennt man es mittlerweile. Wenn | |
| Kolleg*innen aus anderen Bundesländern für eine Geschichte herkommen und | |
| auf einer Demo aggressive Stimmung erleben, merkt man schon, dass sie noch | |
| mal anders schockiert sind. Aber nein, ich gewöhne mich nicht daran und das | |
| ist auch gut so, dass man immer noch über diesen Hass erschrickt. Jedes Mal | |
| stehe ich mit innerlich offenem Mund da und denke mir: Was passiert hier | |
| eigentlich? Dann überlegt man auch schon mal, wie es wäre, von hier | |
| wegzugehen. Gerade anlässlich der Landtagswahlen ist das derzeit schon ein | |
| Thema, auch in meinem Umfeld. Aber bisher kenne ich noch niemanden, der es | |
| gemacht hat. | |
| taz: Und würden Sie gehen? | |
| Reinhard: Nein, derzeit nicht. Ich habe hier mein soziales Umfeld und | |
| meinen Beruf. Das ist auch meine Heimat. Aber ich schließe es nicht aus. | |
| Letztens wurde ich aus dem Nichts, als ich in Sachsen-Anhalt unterwegs war, | |
| im Supermarkt von einem Nazi angepöbelt. Klar, stellt man sich dann vor, | |
| wie es wäre, woanders zu leben, wo die Stimmung ruhiger ist. Gleichzeitig | |
| mache ich mir Sorgen um die Branche, wenn immer mehr Journalist*innen | |
| die Region verlassen würden. | |
| taz: Haben Sie Hoffnung? | |
| Reinhard: Es gibt Momente der Frustration. Aber man hofft auch. Dass zum | |
| Beispiel irgendjemand kommt, in Journalismus investiert, neue Formate | |
| denkt. Man könnte ja mit schlanken Recherche-Einheiten anfangen. | |
| 30 Aug 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Angriff-auf-DGB-Stand-in-Dresden/!6027621 | |
| [2] /Madsack-zentralisiert-Lokalzeitungen/!6016359 | |
| [3] /Gespraeche-ueber-Meinungsfreiheit/!6030635 | |
| ## AUTOREN | |
| Elisa Kautzky | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024 | |
| Opfer rechter Gewalt | |
| Serie Medien und Rechtspopulismus | |
| Journalismus | |
| Kolumne Flimmern und Rauschen | |
| Schwerpunkt Pressefreiheit | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| Schwerpunkt Pressefreiheit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Publix-Haus für Journalismus: Ein Ort für die Zukunft | |
| Mit dem Berliner Publix-Haus gibt es jetzt eine zukunftsweisende | |
| Begegnungsstätte für Journalismus. Stifter Hans Schöpflin will sich nicht | |
| einmischen. | |
| „Reporter ohne Grenzen“: Irritierender Aufstieg Deutschlands | |
| Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2024 landet Norwegen zum achten Mal in | |
| Folge auf Platz 1. Deutschland wird besser – nicht nur aus eigener Kraft. | |
| Brassband Banda Communale im Osten: „Sachsen positiv besetzen“ | |
| Die Brassband Banda Comunale tourt durch die sächsische Provinz. Dort | |
| spielt sie gegen Rechtsextremismus und sagt: Es gibt noch viel zu tun. | |
| Gewalt gegen Journalist:innen: Schreiben oder schweigen? | |
| Die Zahl der Angriffe auf Medienschaffende in Deutschland hat laut einer | |
| Studie im Jahr 2023 zugenommen. Die Entwicklung führt auch zu Selbstzensur. |