# taz.de -- Aus Belarus geflüchtete Leichtathletin: Widerständige Sprinterin | |
> Die Wahlpolin Krystsina Tsimanouskaja verpasst über die 200 Meter knapp | |
> das Halbfinale. Bei Olympia 2021 war sie noch im belarussischen Team. | |
Bild: Schnell unterwegs: Krystsina Tsimanouskaja verpasst dennoch über 200 Met… | |
„Ich will sie endlich laufen, die 200 Meter“, sagt die Leichtathletin | |
Krystsina Tsimanouskaja. [1][„Das hatte ja in Tokio nicht geklappt.“] | |
Zumindest diesen Wunsch hat sich die 27-Jährige bei den Olympischen | |
Sommerspielen in Paris erfüllt. Doch am Montag war für die gebürtige | |
Belarussin, die seit 2022 die polnische Staatsbürgerschaft besitzt und für | |
Polen antritt, Schluss. Bei einem von mehreren Hoffnungsläufen landete sie | |
nur auf dem zweiten Platz und verpasste um zwei Hundertstel Sekunden damit | |
den Einzug ins Halbfinale. | |
Tsimanouskaja drehte ihre ersten Stadionrunden in Mogiljow, wo sie an der | |
dortigen Sportspezialschule für Kinder und Jugendliche „Dynamo“ trainierte. | |
2015 wurde sie in die belarussische Nationalmannschaft aufgenommen und | |
konnte im selben Jahr erste internationale Erfahrungen sammeln. Bei den | |
Junioreneuropameisterschaften im schwedischen Eskilstuna wurde sie über 100 | |
Meter Sechste. Zwei Jahre später holte sie bei den | |
U23-Europameisterschaften im polnischen Bydgoszcz über dieselbe Distanz die | |
Silbermedaille. Bei der Sommer-Universade in Neapel 2019 erlief sich | |
Tsimanouskaja goldenes Edelmetall. 2020 schaffte sie die | |
Olympia-Qualifikation für Tokio, [2][coronabedingt] jedoch um ein Jahr | |
verschoben. | |
Zu diesem Zeitpunkt hatte Tsimanouskaja noch jenseits ihrer sportlichen | |
Leistungen auf sich aufmerksam gemacht. Am 17. August 2020 – Massenproteste | |
gegen die gefälschte Präsidentenwahl am 9. August sowie massive | |
Repressionen gegen Oppositionelle waren in vollem Gange – gehörte die | |
Leichtathletin zu den Mitunterzeichner*innen einer Stellungsnahme auf | |
Instagram. | |
Darin wurden die Gewalt sowie das Vorgehen der belarussischen | |
Strafverfolgungsbehörden als illegal und inakzeptabel kritisiert. Ein Jahr | |
später setzte Tsimanouskaja ihre Unterschrift unter einen Brief von über | |
2.000 belarussischen Sportler*innen. Zu den Forderungen gehörten die | |
Freilassung politischer Gefangener und aller bei Protesten Inhaftierten, | |
sowie die Bestrafung von Sicherheitskräften für gewaltsames Vorgehen | |
gegenüber Demonstrant*innen. | |
## Flucht nach Polen | |
An den Olympischen Spielen in Tokio durfte sie trotz aller Widerworte | |
zunächst teilnehmen – an den Läufen über 100 und 200 Meter. Als zwei | |
belarussische Läuferinnen der 4x400-Meter-Staffel wegen unzureichender | |
Doping-Proben nicht zugelassen wurden, nominierte das Nationale Olympische | |
Komitee kurzerhand die Tsimanouskaja als Ersatzläuferin, obwohl sie | |
ansonsten diese Distanz nicht läuft. Kurz darauf schrieb sie auf ihrem | |
Instagram-Kanal, sie sei an dieser Entscheidung nicht beteiligt gewesen und | |
habe erst nachträglich davon erfahren. Die Verantwortlichen versuchten, | |
„ihre schlechte Arbeit auf Kosten der Sportler zu korrigieren“. Nach | |
Drohanrufen löschte Tsimanouskaj das Video. | |
Am 1. August schloss die belarussische Delegation Tsimanouskaja „aufgrund | |
ihres emotionalen und psychischen Zustands“ von der weiteren Teilnahme an | |
Olympia aus und versuchte, die Sportlerin in ein Flugzeug nach Minsk zu | |
setzen. Doch zu der Reise in die belarussische Hauptstadt, die aller | |
Wahrscheinlichkeit in einem Straflager geendet hätte, kam es nicht: Mit | |
einem polnischen humanitären Visum in der Tasche reiste Tsimanouskaja einen | |
Tag später über Wien nach Warschau. Seitdem lebt sie in Polen. | |
Dem belarussischen Dienst von Radio Freies Europe verriet sie, dass die | |
Vorbereitungen auf Paris eher suboptimal verlaufen seien. Statt zu | |
trainieren habe sie im vergangenen Jahr alle zwei Monate mit hohem Fieber | |
das Bett hüten müssen. Ärzte führen ihren instabilen Zustand auch auf | |
Stress wegen der Ereignisse in Belarus zurück. Als Tsimanouskajas | |
Entscheidung bekannt wurde für den Korrdinationsrat der belarussischen | |
Oppostion (im Exil) zu kandidieren, hätten ihre Eltern in Belarus von den | |
Sicherheitsdiensten „Besuch“ bekommen. | |
Nach den polnischen Meisterschaften erkrankte sie erneut, doch ihre | |
Befürchtungen, aus dem Kader ausgeschlossen zu werden, bewahrheiteten sich | |
nicht. | |
[3][Mit den 17 belarussischen Sportler*innen, die in Paris unter neutraler | |
Flage antreten], wolle sie nichts zu tun haben, heißt es in einem Beitrag | |
des russischsprachigen Webportals Nastojaschee Vremja über Tsimanouskaja. | |
Seit dem Ausbruch von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine habe sie | |
ohnehin fast alle Konatkte abgebrochen. „Ich gehe nicht auf diejenigen zu, | |
die eigentlich eine rot-grüne Flagge tragen. Jetzt für Belarus anzutreten, | |
bedeutet, für die Regierung anzutreten. „Ich will weder mit dieser | |
Regierung noch etwas mit der aktuellen belarussischen Flagge zu tun haben“, | |
so Tsimanouskaja. | |
Mit ihrer neuen Heimat fremdelt sie noch, nicht zuletzt mache ihr die | |
Sprachbarriere zu schaffen. Heute eine Polin zu sein, gestern eine | |
Belarussin – besondere Gefühle habe sie in dieser Hinsicht nicht. „Du bist | |
nur Krystsina Tsimanouskaja, das ist alles. Und du rennst wie Krystsina | |
Tsimanouskaja. Ich gehe einfach hin und mache meinen Job.“ | |
Den hat sie gemacht, auch wenn es nicht ganz gereicht hat. Im Herbst, so | |
der Plan, will Tsimanouskaja in die USA reisen, um sich in Florida | |
sportlich auf die nächste Saison vorzubereiten. Nach dem Ende ihrer | |
Karriere will Tsimanouskaja sich selbständig machen. Ihr schweben die | |
Eröffnung einer Schule für talentierten jungen läuferischen Nachwuchs sowie | |
ein Lieferservice für gesundes Essen vor. | |
5 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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