| # taz.de -- Die Wahrheit: Susi und Frank forever | |
| > Die sommerliche Flucht aus der leeren und langweiligen Stadt führt in | |
| > einen mit verwirrenden Schildern zugepflasterten Beherbergungsbetrieb. | |
| Die Sommerödnis in der hessischen Bankenstadt hatte ich mir schöner | |
| vorgestellt. Baustellen machten keinen Krach mehr, sondern verharrten nun | |
| wie alles andere im totalen Stillstand. Langweilig. Leere U-Bahnen waren | |
| ebenso fad. Ich freute mich, wenn es klingelte und ich für die Nachbarn | |
| Bestellpakete annehmen durfte. So weit war es gekommen. Ich starrte aus dem | |
| Küchenfenster. | |
| Ungewöhnliche Laute am frühen Abend: „Sie halten zusammen, egal was | |
| passiert – 120 Jahre Susi und Frank!“ Der irre Refrain einer nicht | |
| erkennbaren Melodie schallte über die Hinterhöfe. Unglaublich, jetzt wurden | |
| Leute, die Susi und Frank hießen, schon 120 Jahre alt, wenn wohl auch nur | |
| zusammen. Ich kannte sie nicht und schwankte zwischen Abscheu und | |
| Bewunderung. Sie hielten zusammen. | |
| Und sie hatten Freunde, die für sie sangen. Das war schön. Dennoch. Es | |
| klang furchtbar. Danach ließen sie alle Songs der Achtzigerjahre laufen: | |
| „Girls just Wanne have fahan“, Trio mit „Da, Daa, Daaaa“ – und Stephan | |
| Remmler mit „Ich hab den Urlaub nicht gewollt. Du hast gesagt, es müsste | |
| sein“. | |
| Jaja, bisher hatte auch ich geglaubt, es sei schlau, nicht auf sommerlich | |
| verstopften Routen mit anderen um irgendetwas zu streiten. Doch jetzt | |
| wollte ich dringend frische Bergluft schnuppern. Es klappte. Ein netter | |
| Mensch fuhr mich und sich mit dem Auto in einen beliebten Allgäuer | |
| Ferienort. | |
| Da, daa, daaa überholte schon wieder ein Lkw. Just Wanne have fahan! Zur | |
| Erholung folgte ein acht Kilometer langer Stau entlang einer | |
| „Gespensterbaustelle“. Bestes Sommerwetter, 32 Grad, sagte das Radio. | |
| Das Hotel, das wir über das Internet gebucht hatten, empfing uns wärmstens. | |
| Über der Rezeption prangte der launige Spruch: „If you want to have | |
| breakfast in bed, sleep in the kitchen.“ Nicht schlecht. Das Haus war zudem | |
| bei Rauchern sehr beliebt. In kleinen Trauben standen sie überall umher. | |
| Nette Menschen. An die Abhustgeräusche im überfüllten Frühstücksraum hatten | |
| wir uns rasch gewöhnt. Dort hing zudem eine interessante Bierwerbung: „Der | |
| Klügere kippt nach“. Zwei Meter weiter ein gerahmter Spruch: „Das Leben ist | |
| kurz, also nimm zuerst das Dessert.“ Und an der Toilettentür stand: „Das WC | |
| ist kein Mistkübel.“ | |
| Die vielen Botschaften verwirrten uns etwas. Doch die Allgäuer Berge und | |
| Wiesen waren wie immer wunderbar. Wir spazierten unablässig umher. Nur der | |
| Hunger trieb uns regelmäßig in die lokalen Cash-only-Restaurants, in denen | |
| es leider häufig zu voll war. Schnell fand ich jedoch heraus, dass es viel | |
| Platz und viel Ruhe gab, wenn wir uns wie Patienten in einem Krankenhaus | |
| verhielten: Frühstück um 7 Uhr, Mittagessen um 11 Uhr, Abendbrot um 16.30 | |
| Uhr, 20 Uhr Bettruhe. Es war großartig. Nach nur drei Tagen waren wir | |
| tiefenerholt. | |
| Nun würden auch wir 120 Jahre alt werden, und zwar richtig, nicht so | |
| addiert wie Susi und Frank. Wir hatten den Bogen raus. | |
| 21 Aug 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudia Römer | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Ferien | |
| Urlaub | |
| Hotel | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Atemlos in Mettmann | |
| Völker, schaut auf diese Kreisstadt! Eine Reise in die Vergangenheit ist | |
| immer auch eine Reise in die Zukunft. | |
| Die Wahrheit: Oktoberfest für Brillenträger | |
| Die Italo-Woche der Wahrheit: Bambini machen die Insassen des Stiefellands | |
| nicht mehr gern, dabei gibt es dort doch genug Gelegenheiten für Abenteuer. | |
| Die Wahrheit: Strawberry Gsälz forever | |
| In der Erdbeersaison kann man nicht einmal mehr in der Großstadt der selbst | |
| eingekochten Marmelade entgehen. Oder ist das alles bloß Konfitüre? | |
| Die Wahrheit: Juwelen des Kiezkapitalismus | |
| Dienstleistungen à la carte: Allerorts werden Vermittlungssysteme | |
| perfektioniert – ein Besuch bei Mister Checker und anderen Checkern in | |
| Frankfurt. | |
| Die Wahrheit: Blindverkostung Royal | |
| Zwischen Milchkönigin und Junior-Metzger in einem Landgasthof unweit des | |
| schönen Salzburgs – mit Las-Vegas-verdächtiger Gemütlichkeit. |