# taz.de -- Gefangenenaustausch mit Russland: „Ausbürgerung gegen meinen Wil… | |
> In Bonn zeigten sich drei der russischen Freigelassenen erstmals in der | |
> Öffentlichkeit. Sie beteuerten, in ihre Heimat zurückkehren zu wollen. | |
Bild: Ilja Jaschin (l-r), Andrej Piwowarow Wladimir Kara-Mursa haben ihre Freih… | |
Bonn taz | „Es fühlt sich surreal an“, sagt Wladimir Kara-Mursa. „So als | |
würde ich einen Film sehen“. Dabei sind die Kameras auf ihn gerichtet, als | |
er am Freitagabend gemeinsam mit [1][Andrej Piwowarow und Ilja Jaschin] im | |
Saal der Deutschen Welle in Bonn auf dem Podium sitzt. Die Stiftung des in | |
russischer Haft verstorbenen Alexej Nawalny hatte dort zu einer | |
Pressekonferenz eingeladen, und der Saal ist voll. | |
Es ist der erste öffentliche Auftritt der drei demokratischen Dissidenten, | |
seitdem sie am Donnerstag durch einen [2][Gefangenen-Deal der deutschen | |
Regierung mit Russland] freigekommen sind. „Ich würde den Vorgang nicht als | |
‚Gefangenenaustausch‘ bezeichnen“, sagt Kara-Mursa, „Sondern als | |
Lebensrettung“. Bundeskanzler Scholz habe eine schwierige Entscheidung | |
treffen müssen, er selbst sei gegen „einen Meuchelmörder im Auftrag Putins�… | |
freigekommen: „Aber in einer Demokratie gibt es keine leichten | |
Entscheidungen, sondern nur in einer Diktatur.“ | |
2023 war der 42-jährige Journalist wegen Hochverrats zu 25 Jahren Gefängnis | |
verurteilt worden und verbrachte mehr als zehn Monate in Einzelhaft. Letzte | |
Woche habe er dann ein Gnadengesuch unterschreiben sollen – und lehnte ab. | |
Er sei unschuldig im Gefängnis gewesen, betont Kara-Mursa. Am Sonntag wurde | |
er aus Sibirien in das Lubjanka-Gefängnis in Moskau verlegt: „Ich habe | |
geglaubt, ich käme raus und würde dann erschossen.“ Als „Zeichen des | |
Lichts“ beschreibt Andrej Piwowarow seine Freilassung. Tausende politische | |
Häftlinge in russischen Gefängnissen könnten nun glauben, dass sie noch | |
gerettet werden könnten. | |
„Nicht alle Russen und Russinnen folgen der Politik unseres Staates“, | |
erklärte der 42-jährige Oppositionspolitiker und richtete eine Forderung an | |
den Westen: Junge Russ:innen sollten Visa und Möglichkeiten zum Austausch | |
erhalten: „Wir müssen ihnen zeigen, dass sie nicht von Feinden umgeben | |
sind.“ | |
Der Austausch sei eine „Ausbürgerung gegen meinen Willen“ gewesen, sagt | |
Iljan Jaschin. Er wurde 2022 zu 8,5 Jahren Haft verurteilt, weil er auf | |
Youtube über das Massaker von Butscha informiert hatte. Auch er wollte kein | |
Gnadengesuch unterschreiben, so Jaschin, weil Putin kein legitimer | |
Herrscher sei. „Meine Haft war ein Kampf gegen die Kriegspolitik Putins, | |
ein Kampf für das Recht, frei zu sprechen und in Russland zu bleiben“, sagt | |
der 40-jährige Oppositionspolitiker. „Ich will zurückkehren“. Jedoch habe | |
ihm ein Geheimdienstoffizier zu verstehen gegeben, dass seine Rückkehr | |
bedeute, dass er wie Alexey Nawalny verhaftet werden und wie dieser enden | |
würde. „Aber ich werde nicht die Rolle des Emigranten einnehmen. Mein Ziel | |
ist ein freies und glückliches Russland.“ | |
## Ohne gültige Reisepässe nach Deutschland geschickt | |
Im Flugzeug habe ihm ein FSB-Agent gesagt, dass er seine Heimat ein letztes | |
Mal gesehen habe“, berichtet Wladmimir Kara-Mursa: „Aber ich weiß, dass ich | |
zurückkehren werde und es eines Tages ein freies und demokratisches | |
Russland geben wird.“ Eine Rückkehr in ihre Heimat dürfte für die drei | |
jedoch schon aus bürokratischen Gründen schwierig sein. Wladimir Kara-Mursa | |
berichtet, ihm sei keine Urkunde über seine Haftentlassung ausgehändigt | |
worden. Alle drei wurden zudem ohne gültige Reisepässe nach Deutschland | |
geschickt. | |
Das deutsche Außenministerium arbeite an einer Lösung für sie, erzählt | |
Iljan Jaschin, wie sie aussieht, könne er noch nicht sagen: „Aber ich bin | |
mir sicher, dass ich nicht verhaftet oder abgeschoben werde.“ | |
Nach ihrer Freilassung verbrachten die drei Männer die Nacht zum Freitag in | |
einem deutschen Militärkrankenhaus, wo sie medizinisch untersucht wurden. | |
Es gehe ihnen gut, sagt Jaschin, lediglich ein Mangel an Vitamin D sei | |
festgestellt worden – ein Mangel an Licht. „Ich habe das Tageslicht nur | |
durch Gefängnisstäbe gesehen“, erklärt er kämpferisch. Ihre Körper erzä… | |
jedoch eine andere Geschichte. Jaschin humpelt, als er vom Podium aufsteht, | |
Wladimir Kara-Mursas Gesicht ist eingefallen und blass, seine Augen sind | |
blutunterlaufen. Er spricht von „psychologischer Folter“. Er habe über zehn | |
Monate in Einzelhaft verbracht: „Ich habe zweimal mit meinem Anwalt | |
sprechen können und einmal mit meiner Frau.“ | |
Am Samstag soll er seine Familie erstmals seit über zwei Jahren | |
wiedersehen. Ein erstes Wiedersehen war jedoch schon die Pressekonferenz am | |
Freitag. Ein russischsprachiger BBC-Journalist spricht von Freunden, die | |
glücklich über die Freilassung der drei Gefangenen seien. Nach ihrem | |
Auftritt bekommen die drei Männer Sonnenblumen geschenkt und müssen für | |
Selfies posieren. Und auch nach vier Stunden stehen am späten Abend noch | |
rund ein Dutzend Menschen vor dem Gebäude der Deutschen Welle am Rheinufer | |
und hoffen, die drei Dissidenten zu treffen. | |
„Wir möchten diesen Tag mit unseren russischen Leuten feiern“, erzählt | |
Maria. Sie ist als Spätaussiedlerin im letzten Jahr aus Russland gekommen – | |
wegen des Kriegs gegen die Ukraine. Ihrem Mann Nikita, der sie begleitet, | |
drohte die Einberufung. „Dieser Tag ist wichtig für unsere Psyche“, sagt | |
er. „Es ist wie ein Traum.“ | |
3 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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