| # taz.de -- Mobiles Arbeiten in Südafrika: Glückliche Surfer, düstere Zahlen | |
| > Kapstadt hat sich zu einer Drehscheibe für digitale Nomaden entwickelt. | |
| > Spezielle Visa sollen die Attraktivität steigern. Doch nicht alles ist | |
| > rosig. | |
| Bild: Digitale Nomaden vor dem Gebäude von „Workshop 17“ an der Waterfront… | |
| Konzentriert blickt Alex Oelofse auf seinen Laptopbildschirm in Kapstadts | |
| Kloof Street. Hippe Cafés reihen sich hier aneinander, bieten Flat Whites | |
| mit Hafermilch an, im Hintergrund lässt sich ein Blick auf den ikonischen | |
| Tafelberg erhaschen. Der 30-jährige Oelofse ist freischaffender Fotograf | |
| und arbeitet oft im Co-Working Space „Workshop 17“. „Ich habe kein eigenes | |
| Büro und manchmal tut es gut, aus dem Haus rauszukommen“, erzählt er, | |
| während er Bilder seines letzten Shootings sichtet. „Hier weiß ich, dass | |
| ich auf andere Leute treffe, die ebenfalls online arbeiten“. | |
| Workshop 17 ist ein Netzwerk von Gemeinschaftsbüros in ganz Südafrika, das | |
| Arbeitsbereiche für Freiberufler, Start-ups und Unternehmen zur Verfügung | |
| stellt. „Neben dem reinen Arbeitsplatz geht es uns darum, eine Gemeinschaft | |
| zu schaffen, die Kreativität und Innovation fördert“, sagt Antonette | |
| Benting, Unternehmensentwicklerin bei Workshop 17. | |
| Südafrika – und allen voran die Küstenstadt Kapstadt – hat sich mit seinen | |
| Angeboten für flexibles Arbeiten zu einem beliebten Anlaufpunkt für | |
| sogenannte [1][digitale Nomaden] gemausert – und widerspricht damit dem | |
| Klischee vom rückständigen Afrika. „Die Provinzregierung hier im Westkap | |
| hat sich ziemlich ins Zeug gelegt, um Kapstadt als Ort für remote working | |
| zu etablieren. Wir waren schon immer ein Urlaubsziel, aber seit etwa 2020 | |
| sehen wir, dass immer mehr Leute auch längerfristig bleiben und die | |
| Möglichkeit nutzen, Arbeit und Freizeit zu kombinieren“, sagt Antonette | |
| Benting. Der derzeitige Wechselkurs des südafrikanischen Rand zum Euro | |
| mache das Land zudem vor allem für Europäer*innen erschwinglich. Hinzu | |
| komme die geringe Zeitverschiebung, listet Benting die Gründe für die immer | |
| größer werdende Beliebtheit auf. „Wir sehen, dass sich in unseren | |
| Co-Working Spaces auch branchenübergreifend viele Geschäftskontakte | |
| entwickeln, die auch nach dem Aufenthalt bestehen bleiben.“ | |
| Allein drei Gebäude betreibt das südafrikanische Unternehmen mittlerweile | |
| in Kapstadt, das vierte ist bereits in Planung. Sogar in Mauritius sind die | |
| Co-Working Spaces von Workshop 17 zu finden. „Aufgrund der geografischen | |
| Nähe arbeiten viele Südafrikaner dort“, erklärt Benting. Entsprechend habe | |
| man auf die Nachfrage reagiert. Das vierte Kapstädter Co-Working Space des | |
| Unternehmens soll in Muizenberg entstehen. Bekannt für seinen | |
| kilometerlangen Sandstrand, farbenfrohe Badehäuschen und gleichmäßige | |
| Wellen, ist der Kapstädter Vorort vor allem bei Surfern beliebt. | |
| ## Wo es am schönsten ist | |
| „Vielen gefällt die Idee, frühmorgens surfen zu gehen und danach den Laptop | |
| aufklappen zu können“, sagt Antonette Benting. „Ich habe mein Surfbrett | |
| immer im Auto. Wenn ich mit der Arbeit durch bin oder eine Pause brauche, | |
| fahre ich gerne mal an den Strand, um ein paar Wellen zu reiten“, bestätigt | |
| Fotograf Alex Oelofse. „Kapstadt hat eine gute Infrastruktur und mit seinem | |
| Laptop im Café zu sitzen und von dort zu arbeiten, ist normal geworden. | |
| Außerdem gibt es viele Freizeitangebote und man kommt hier schnell in die | |
| Berge.“ Über soziale Medien, wie Whatsapp und Facebook, wird sich in der | |
| Community ausgetauscht, verabredet und gegenseitig unterstützt. | |
| „Es handelt sich nicht nur um eine Arbeitsweise, sondern ist auch ein | |
| Lifestyle“, sagt Matt Davison. Der Südafrikaner war selbst zwölf Jahre | |
| überall auf der Welt unterwegs. Nach Jahren auf Achse, hat er sich vor | |
| knapp einem Jahr in seiner alten Heimat niedergelassen. „Ich musste erst | |
| weg, um festzustellen, dass es hier eigentlich am schönsten ist“, sagt er | |
| mit einem Lachen. Mittlerweile betreibt er das „Cape Co-Living“, eine Art | |
| Wohngemeinschaft, die sich speziell an die Bedürfnisse von arbeitenden | |
| Reisenden richtet. „Wichtig sind stabiles Internet, Rückzugsmöglichkeiten, | |
| aber auch Räume für den Austausch mit Gleichgesinnten“, sagt Davison. | |
| Die meisten bleiben ein paar Wochen, teils sogar mehrere Monate. „Wenn zu | |
| viel Wechsel ist, dann verhindert das das Kennenlernen. Bei häufigen | |
| Ortswechseln ständig neue Kontakte zu knüpfen, kann auch auslaugen. Es geht | |
| hier nicht nur darum, produktiv zu arbeiten, sondern auch darum, eine | |
| Gemeinschaft zu finden“, sagt Davison. Um sich im Co-Living einzubuchen, | |
| muss zunächst ein Interview absolviert werden. „Wir wollen damit | |
| herausfinden, ob der Mensch in die Gemeinschaft hineinpassen könnte oder ob | |
| er woanders vielleicht besser aufgehoben wäre.“ Dann würde er die | |
| Bewerber*innen mit anderen Co-Living Betreiber*innen in Kapstadt | |
| vernetzen. Ein üblicher Prozess in der „Nomadenbranche“, sagt Davison. | |
| Ursprünglich habe ihn die Lust am Reisen dazu gebracht, online zu arbeiten. | |
| Aber auch die schwierige wirtschaftliche Lage in Südafrika war ein Aspekt. | |
| Obwohl das Land über eine entwickelte Industrie- und | |
| Dienstleistungswirtschaft verfügt und vor allem i[2][m Bergbau] und der | |
| Landwirtschaft aktiv ist, kämpft Südafrika mit einer Arbeitslosigkeit von | |
| offiziell 33,5 Prozent. Düstere Zahlen, die die nationale Statistikbehörde | |
| am Dienstag aktuell veröffentlichte. Dabei wird jedoch in zwei Kategorien | |
| unterteilt: Jene, die Arbeit aktiv suchen und jene, die es aufgegeben | |
| haben. Rechnet man letztere mit ein, liegt die Arbeitslosenquote bei knapp | |
| 43 Prozent. Auch hat das Land am Kap in den vergangenen Jahren nur ein sehr | |
| langsames Wirtschaftswachstum erlebt. Selbst mit Studienabschluss ist es | |
| schwierig, eine ausreichend bezahlte Arbeitsstelle zu finden. | |
| Die Gründe sind komplex. Unter anderem gilt [3][Südafrika] als das Land mit | |
| der größten [4][sozialen Ungleichheit] weltweit. Vor allem Menschen aus | |
| benachteiligten Gemeinschaften haben Schwierigkeiten, Zugang zu Bildung und | |
| Arbeitsplätzen zu bekommen. Hinzu kommen Korruption, Vetternwirtschaft und | |
| schlechte Regierungsführung, die vor allem im staatlichen | |
| Dienstleistungssektor zu einer fehlenden Modernisierung und | |
| Diversifizierung geführt haben. | |
| Auch Davison hatte Schwierigkeiten, nach dem Universitätsabschluss Fuß zu | |
| fassen und ging zunächst als Englischlehrer ins Ausland. Heute ist er | |
| Leiter einer eigenen Agentur für Reisemarketing und unterstützt | |
| Reiseveranstalter dabei, mehr Kunden zu gewinnen. „Cape Co-Living zu | |
| eröffnen, war da ein logischer Schritt“, sagt Davison. Außerdem sei | |
| Kapstadt für Südafrikaner*innen teuer geworden. Der Zustrom von | |
| finanzstarken Nomaden hat nämlich auch dazu geführt, dass die Preise in der | |
| beliebten Küstenstadt gestiegen sind. „Es passiert gerade etwas ähnliches | |
| wie in Lissabon, wo die Beliebtheit der Stadt dazu geführt hat, dass die | |
| Preise gestiegen sind und es für Einheimische vor allem auf dem | |
| Wohnungsmarkt schwierig wird mitzuhalten“, sagt Davison. Auch ein Faktor, | |
| weswegen er sich dazu entschied, eine auf digitale Nomaden ausgelegte | |
| Wohngemeinschaft zu gründen und ein Businessmodell daraus zu machen. | |
| Im Mai hat Südafrika eigens ein Visum für digitale Nomaden eingeführt und | |
| ist damit, neben Namibia, Kap Verde, Mauritius und den Seychellen das | |
| fünfte afrikanische Land, das derartige Visa anbietet. Telearbeitende | |
| können damit drei Jahre im Land verbleiben, anstatt der bislang üblichen | |
| drei Monate. In der Praxis aber stößt das neue Visum an seine Grenzen – und | |
| das nicht nur, weil das notwendige Mindesteinkommen von einer Million Rand | |
| pro Jahr (ca. 50.000 Euro) sehr hoch angesetzt sei, wie es übereinstimmend | |
| in verschiedenen Internetforen heißt. Bereits im Januar 2024 lag der | |
| Rückstau an unbearbeiteten Visaanträgen bei 92.000. Wenig überraschend | |
| unterzeichnete Südafrikas neuer Innenminister Leon Schreiber nur einen Tag | |
| nach seiner Vereidigung im Amt eine Sondergenehmigung auf eine temporäre | |
| Befreiung von der Visumspflicht für ausländische Staatsangehörige, die noch | |
| auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten. | |
| Jannika Meyer ist Deutsche und reist seit mehreren Jahren immer wieder nach | |
| Kapstadt, um dem dunklen Winter zu entfliehen; allerdings bislang immer mit | |
| Touristenvisum, so wie fast alle digitalen Nomaden in Südafrika. „Es wäre | |
| super, wenn es eine offizielle Möglichkeit gäbe, einzureisen und von dort | |
| für eine Weile zu arbeiten. So ist man immer in einer Grauzone“, sagt sie, | |
| weswegen die 40-Jährige es bevorzugt, nicht mit echtem Namen genannt zu | |
| werden. Während das neue Visum für digitale Nomaden Südafrika auf die | |
| globale Karte setzen soll, hakt es noch an der Umsetzung. | |
| Kapstadt ist in Südafrika der unangefochtene Spitzenreiter für die | |
| digitalen Nomaden. Während andere Provinzen im Land mit | |
| Basisdienstleistungen wie einer geregelten Müllabfuhr kämpfen, gilt die | |
| Westkap-Provinz als Musterbeispiel für gute Regierungsführung. „Der einzige | |
| Nachteil hier ist die Kriminalität. Gefühlt nimmt sie jedes Jahr zu“, sagt | |
| Meyer. „Eine Weile habe ich mich deswegen auch umgeschaut und überlegt, ob | |
| ich stattdessen nach Südostasien gehen soll. Aber was mir hier so gut | |
| gefällt, ist der Kontakt zu den Einheimischen, der sehr leicht ist.“ In | |
| Ländern wie Thailand seien sprachliche und kulturelle Barrieren höher, sagt | |
| sie. Es sei leicht, in die Blase der digitalen Nomaden einzutauchen, aber | |
| genauso leicht, darüber hinaus mit Menschen in Kontakt zu kommen. Kapstadt | |
| bleibt für sie daher weiterhin erste Wahl. | |
| 15 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Helena Kreiensiek | |
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