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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Urlaubsvögel
> Nicht nur in Venedig, sondern auch in Grömitz gibt es Untiere, die aus
> der Luft angreifen und die wohlverdienten Speisen der Urlauber stehlen.
Das Combo Venezia im Stadtteil Cannaregio haut ziemlich auf den Putz mit
seiner toffen Historie. Das Hotel war nämlich mal ein Mönchskloster.
Entsprechend großzügig bemessen ist der von einem pittoresken
Säulenwandelgang gesäumte Innenhof, wo schon im 12. Jahrhundert kurios
frisierte Männer mit Volldampf das Christkindl priesen.
Mittlerweile darf man hier den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und
frühstücken. Die Tauben wissen das auch und machen eher alibimäßig einen
Hopser zur Seite, wenn man nach ihnen tritt, weil man es ja sowieso nicht
ernst meint. Oben auf dem höchsten Büßerturm indes thront eine riesige
Lachmöwe und schüttet sich aus über die Hotelgäste in einer Mischung aus
beißendem Spott und Verachtung.
Wie ernst sie es meint, merken wir dann bald. Ein Junge stellt sein Tablett
auf einen freien Tisch und entfernt sich ein paar Schritte, um mehr Stühle
heranzuschaffen. Jäh stürzt sich die Möwe vom Dach, im Bruchteil einer
Sekunde schlingt sie in zwei gewaltigen Happen Spiegelei, Schinken und
Mortadella herunter, um sich dann wieder unter bestialischem Gelächter in
die Lüfte zu erheben.
Ein zwischen Unbehagen und Respekt changierendes Raunen geht da durch die
Frühstücksgesellschaft, zum einen über die schiere Größe des Tiers, zum
anderen über dessen Wildheit und überlegenen Jagdinstinkt. „Keiner ist hier
wirklich sicher“, gibt uns das Viech deutlicher als nötig zu verstehen. Und
so behalten wir es für den Rest des Urlaubs im Auge, und stehen schließlich
sogar eine Stunde früher auf, um im Frühstücksraum drinnen einen Platz zu
bekommen.
Wer glaubt, der spiritus loci sei schuld, das überfüllte Venedig setze sich
auf quasi natürliche Weise gegen die Touristenströme zur Wehr, sieht sich
offenbar getäuscht. „Wenn du damit schon ein Problem hast, darfst du nicht
nach Grömitz fahren“, warnte mich nämlich unlängst Freund Bernd. „An der
Ostsee sind sie schon weiter!“
Er war ein paar Wochen zuvor bei einem Kurzurlaub die Strandpromenade
entlang flaniert, hatte sich einen Schoko-Crêpe gekauft und wollte gerade
einen ersten Bissen nehmen, als er einen schweren Schlag gegen seinen
Hinterkopf verspürte. Benommen drehte er sich um und sah in den keckernden
Schnabel eines räudigen, dennoch fetten Watvogels.
„Hau ab, du Untier“, rief er, wich erschrocken zurück und versteckte seinen
Nutella-Pfannkuchen hinterm Rücken. Entsetzt von soviel animalischer Chuzpe
bemerkte er nicht, wie bereits zwei weitere Sturzkampfbomber im Federkleid
abtauchten, ihm den Pfannkuchen zielsicher entrissen und sich damit auf und
davon machten, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen.
„Mich hat das fatal an,Jurassic Park' erinnert“, meinte Bernd und sein
Gesicht näherte sich meinem, als wollte er mir etwas anvertrauen, dass
nicht jeder hören durfte. „Sie jagen im Rudel“, raunte er. „Und es sind
viele!“
13 Aug 2024
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Urlaub
Vögel
Diebstahl
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