# taz.de -- Die Wahrheit: Singen mit Untoten | |
> Wenn der Volkswagenkonzern zum Open-Air-Konzert in Wolfsburg bittet, | |
> steigen vor allem die Musikdesinteressierten aus ihren Gräbern. | |
Dass Volkswagen mal überteuerte Autos mit Softwareproblemen gebaut hat, | |
wird in zwei, drei Generationen keiner mehr wissen. Man wird etwas | |
Lukrativeres zusammendübeln. Vielleicht Kampfroboter aus alten | |
Schulturnmatten oder Brühpolnische im Naturdarm. Was weiß ich. Der Konzern | |
ist ja schon heute viel mehr als eine Blechschmiede. Zum Beispiel | |
Konzertimpresario. Im Sommer wird das VW-Heiligtum Autostadt stets zu | |
einem wochenlangen Open Air Festival umgewidmet. | |
„Heut wird nicht mehr gearbeitet“, heißt es dann regelmäßig an den | |
Fließbändern, „die Aufsichtsräte geben einen aus!“ Tatsächlich sind die | |
Karten für die gebuchten Acts so dermaßen subventioniert, fast geschenkt, | |
dass die Veranstaltungen in Windeseile ausverkauft sind. Belegschaft, | |
Anteilseignerinnen und Freunde des Hauses werden zusätzlich rabattiert und | |
haben Vorkaufsrecht. Deshalb sind auch kaum Fans vor Ort, sondern nur | |
VW-Ausflügler, die sich nicht für Musik interessieren. „So jung kommen wir | |
nicht mehr zusammen! Voll gewesen, toll gewesen! Wie heißt die Truppe noch | |
mal, ZZ Top?“ | |
Tatsächlich war der Cutting-Edge-Geek aus dem Bookerteam auf die gloriose | |
Idee gekommen, „that little o’ band from Texas“ zu verpflichten, und muss… | |
dafür sicher einen ordentlichen Batzen auf den Tisch legen, um das Trio in | |
die Heide zu locken. | |
Den hatten die drei sich dann aber auch redlich verdient. So definiert man | |
Schmerzensgeld. Denn sie spielten vor einem Publikum, das keins war. Die | |
Band kramte einen Börner nach dem anderen raus, aber alles versackte ganz | |
langsam in haferschleimartigem Höflichkeitsapplaus. Nicht „Legs“, nicht �… | |
Grange“, nicht mal mein Lieblingslied „Jesus Just Left Wolfsburg“ konnte | |
den WOB-Mob aufschrecken aus seiner Suppenmüdigkeit. | |
Der einsame Höhepunkt der Ignoranz war dann „Tube Snake Boogie“ mit dem auf | |
der ganzen Welt erprobten und überall, ich wiederhole, überall | |
funktionierenden Mitsingteil. | |
„I got a girl, she lives on the hill“, kobert der liebe Opi Billy Gibbons, | |
und die Crowd antwortet dann im schönsten Einvernehmen mit der sexistischen | |
Blues-Tradition, aber bitteschön voll Rohr: „She won’t do it but her sister | |
will.“ Hier kamen fünf, sechs wackere Gestalten, großzügig über den Platz | |
verteilt, ihrer Ehrenpflicht nach. | |
Aber dann öffnete ein vollkommen Gestörter plötzlich Herz und Maul und | |
störte die Totenruhe empfindlich. Während einer Trinkpause der Band jaulte | |
er sein Glück heraus darüber, dass die alte Rockpalast-Legende sich in | |
diesen düsteren Schlund der Hölle vorgewagt hatte. Wie ein Revolverknall um | |
12 Uhr mittags hallte sein Mantra durch die Geisterstadt. „Rockenroll!“ Und | |
der alte Zausel an der Gitarre drehte sich überrascht um, suchte den | |
einsamen Rufer in der Wüste, schenkte ihm sein strahlendstes Lächeln und | |
sprach die Worte, die niemand, der dabei war, je vergessen wird. „Yeaaah | |
man, that’s it!“ Wenn mich nicht alles täuscht, war ich dieser Bekloppte. | |
21 Jan 2025 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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