# taz.de -- Gesundheit: Mehr Sammelstellen für Muttermilch | |
> Frauen können jetzt in jedem Bundesland ihre überschüssige Milch abgeben | |
> und an Frühgeborene spenden. Die Geschichte einer Wiederentdeckung. | |
Bild: Babymilch aus der Milchbank, jetzt in allen Bundesländern | |
Dass ein Baby auch mit Milch groß werden kann, die nicht von seiner Mutter | |
stammt, wissen Menschen schon seit der Antike. Ammen retteten nicht nur das | |
Leben zahlreicher Neugeborenen, deren Mütter ihre Geburt nicht überlebten | |
oder zu krank waren, um Milch zu produzieren. Sie zu beschäftigen galt auch | |
als Statussymbol der Schönen und Reichen, denn Stillen galt lange Zeit als | |
unschicklich. Mit der Entwicklung von Fertignahrung für Säuglinge – erst in | |
flüssiger Form, [1][dann als Pulver], später als Ersatzmilch – verschwand | |
der Beruf der Amme nach und nach; das Stillen war aus der Mode. | |
Doch auch das hat sich wieder geändert: Die WHO empfiehlt seit Jahren, | |
[2][Babys bis zu sechs Monaten voll zu stillen]. Zwar können Säuglinge | |
heutzutage mit anderen Präparaten ernährt werden und müssen nicht, wie | |
früher, um ihr Leben fürchten, wenn ihre Mütter nicht stillen können oder | |
wollen. Zahlreiche Studien zeigen jedoch, dass Muttermilch besonders gut | |
gegen Infektionen schützt und Antikörper enthält, die sich künstlich nicht | |
nachbauen lassen. | |
Gerade Frühgeborene und kranke Säuglinge, deren Mütter aus den | |
unterschiedlichsten Gründen nicht genug Milch produzieren können, | |
profitieren deshalb von der Milchspende anderer Frauen. Diese | |
Spenderinnenmilch wird von Frauenmilchbanken gesammelt. Deutschlandweit | |
gibt es mittlerweile mehr als fünfzig solcher Sammelstellen, die an | |
Kliniken angeschlossen sind. Dort können Frauen, die mehr [3][Muttermilch] | |
haben als ihr Baby braucht, ihre Spende abgeben. Das kostbare Gut wird dann | |
im Labor untersucht und an bedürftige Säuglinge verteilt. | |
## Alle Milchbanken in der BRD geschlossen | |
Die erste offizielle Sammelstelle Deutschlands gründete die Kinderärztin | |
Marie-Elise Kayser im Jahr 1919 im Krankenhaus Magdeburg-Altstadt. Die | |
Idee, Säuglinge mit gespendeter Milch zu ernähren, gab es schon, Kayser | |
warb allerdings auch außerhalb von Kliniken um Spendemilch. Darüber hinaus | |
gelang es ihr, sie zu pasteurisieren und damit über längere Zeit haltbar zu | |
machen. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde diese Idee wieder aufgegriffen, es | |
folgten viele weitere solcher Sammelstellen. | |
Ab den Sechzigerjahren wurden diese Frauenmilchbanken jedoch nach und nach | |
wieder geschlossen, in der BRD gab es Ende der 1970er Jahre keine einzige | |
Sammelstelle mehr. Das lag zum einen daran, dass Industriemilchprodukte | |
immer besser wurden und Werbekampagnen der Babynahrungsindustrie eine | |
starke finanzielle Unterstützung erhielten. In den 1980er Jahren sprachen | |
sich viele Kinderärzt:innen dann wieder deutlicher für die | |
gesundheitlichen Vorteile des Stillens aus. In der damaligen DDR blieben | |
einige Muttermilchbanken erhalten. | |
Erst 2012 wurde in Westdeutschland die erste Sammelstelle wiedereröffnet: | |
die Frauenmilchbank am Perinatalzentrum München-Harlaching kümmert sich um | |
die Versorgung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen auf Station. Die | |
Muttermilch kommt hier ausschließlich von internen Spenderinnen, also von | |
Müttern, die sich auch in der Klinik aufhalten. | |
Große Kliniken, wie die Universitätskliniken in Leipzig und Freiburg, | |
nehmen auch externe Spenden an, die sie bei Bedarf sogar bei den | |
milchgebenden Müttern abholen. Diese frieren die abgepumpte Milch daheim | |
ein, anschließend wird sie in der Klinik analysiert und, falls alle | |
Kritierien stimmen, pasteurisiert und an Bedürftige verteilt. Eines der | |
Kriterien ist etwa, dass die gespendete Muttermilch frei von Bakterien sein | |
muss. | |
In Deutschland gibt es über 200 Perinatalzentren, die Frühgeborene | |
behandeln. Die Milchbanken versorgen oft nicht nur die Klinik, an der sie | |
angesiedelt sind, sondern auch weitere Säuglingsstationen im Umkreis. Die | |
Charité in Berlin gibt beispielsweise an alle Kliniken der Stadt bei Bedarf | |
überschüssige Muttermilch ab. Dennoch sei eine flächendeckende Versorgung | |
von Säuglingen noch nicht gewährleistet, so Ulrike Sturm-Hentschel von der | |
Frauenmilchbank-Initiative. | |
Die Frauenmilchbank-Initiative gibt es seit 2018 und besteht aus | |
Kinderärzt:innen, Klinikpersonal, Wissenschaftler:innen und Eltern. | |
Sie alle setzen sich dafür ein, dass bedürftige Frühgeborene einen sicheren | |
Zugang zu Milch aus Frauenmilchbanken haben. „Das ist unser oberstes Ziel“, | |
sagt Sturm-Hentschel. Seit ihrer Gründung lässt sich ein beachtlicher | |
Aufschwung an Sammelstellen verzeichnen. Fast 30 solcher Milchbanken wurden | |
in den vergangenen sechs Jahren gegründet. | |
Mit der Eröffnung einer Spendemilchbank in Mainz hat die Initiative im Juli | |
– mit etwas Verspätung – ihre 2018 gestellte Forderung erreicht: Jedes | |
Bundesland sollte bis 2023 mindestens eine Sammelstelle haben. | |
11 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Milchpulvermangel-in-USA/!5852256 | |
[2] /Muttermilch-fuer-Fruehgeborene/!5865023 | |
[3] /Kinder-fragen-die-taz-antwortet/!6015906 | |
## AUTOREN | |
Katharina Federl | |
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