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# taz.de -- Behandlungen durch Ärztinnen: Hilfe, ein Arzt
> Wer von Ärztinnen behandelt wird, hat höhere Überlebenschancen, belegt
> eine neue Studie. Besonders Frauen profitieren von Ärztinnen.
Bild: Lieber von Chirurginnen behandelt werden als von Chirurgen?
Berlin taz | „Wem nützen weibliche Ärzte?“ Diese Frage wurde auf dem
deutschen Ärztetag 1898 eindringlich diskutiert. Der Referent war
überzeugt: niemandem. Weder der Wissenschaft, noch den Kranken und schon
gar nicht den Frauen selbst. Jedenfalls nicht, solange es genügend Männer
gibt.
Heute ist das Experiment „weiblicher Arzt“ unumstößliche Realität und
Studien beziffern den medizinischen Beitrag von Frauen auf Basis von Daten.
Das Ergebnis ist eindeutig: Ärztinnen nützen allen. Besonders Frauen
profitieren von ihrer Arbeit, vor allem wenn sie schwer erkrankt sind.
Aber auch Männern geht es nach einer Behandlung durch eine Ärztin
vielerorts besser als nach einer Behandlung durch einen Arzt. So wirft die
Forschung – rund 125 Jahre nach den Grundsatzdebatten um weibliche Ärzte –
die Frage in den Raum, was am Konzept männlicher Arzt schiefläuft.
Die neueste Studie, die den Erfolg der Ärztinnen bestätigt, stützt sich auf
die Daten von rund 770.000 amerikanischen Patient*innen. Sie bescheinigt
all jenen, die von Frauen behandelt wurden, signifikant höhere
Überlebenschancen. Der Unterschied betrug rund einen Todesfall unter 417
Patient*innen. Hochgerechnet auf jährlich vier Millionen Einlieferungen in
den USA entspricht das in etwa 10.000 Leben. Auch das Risiko, bald ins
Krankenhaus zurückkehren zu müssen, [1][lag merklich tiefer].
## Besonders Frauen profitieren von Ärztinnen
Die Ergebnisse decken sich mit denen einer noch größeren amerikanischen
Studie, die 2017 mehr als [2][1,5 Millionen Behandlungsverläufe
auswertete]. Im selben Jahr befand eine [3][kanadische Studie], dass
Frauen, die von Männern operiert werden, ein 15 Prozent höheres Risiko für
Komplikationen haben – und ein 32 Prozent höheres Risiko zu sterben.
Aus Europa wissen wir, dass britische [4][Krankenhäuser mit hohem
Frauenanteil sicherer operieren]. Dass es sich bei dem
Geschlechterunterschied um ein internationales Phänomen handelt, hat eine
Metaanalyse inzwischen bestätigt. Männer wurden übrigens in keiner
Konstellation benachteiligt – allenthalben entstand auch ihnen durch
Ärztinnen ein geringer Vorteil.
Die ersten Erklärungsansätze drehten sich vor allem um die Eigenschaften
der Ärztinnen. Behandeln sie empathischer? Sind sie kooperativer? Viele
Eigenschaften, die die Gesellschaft Frauen zuschreibt, wurden untersucht.
Tatsächlich nehmen sich Ärztinnen im Durchschnitt mehr Zeit für ihre
Patient*innen und in ihren Gesprächen eher Bezug auf die
[5][psychosoziale oder emotionale Ebene]. Unter den Männern konnten hier
nur Geburtshelfer und Gynäkologen mithalten.
Gleichzeitig orientieren Ärztinnen sich [6][tendenziell eher an aktuellen
Richtlinien] und Evidenzen, greifen öfter zu [7][Früherkennung,
bildgebender Diagnostik und Überweisungen] an Expert*innen. Dafür fanden
sich ihre Patient*innen [8][seltener in Notaufnahmen].
## Schmerzen in Frauengesichtern werden unterschätzt
Das erklärt allerdings nicht, warum besonders Frauen von Ärztinnen
profitieren, insbesondere diejenigen, die schwer krank sind. Daher werfen
Forschende mittlerweile eine neue Frage auf: Nehmen männliche Ärzte diese
Frauen und ihre Erkrankungen nicht ernst genug?
Studien zeigen, dass selbst medizinische Laien den Schmerz in
Frauengesichtern unterschätzen – und ihnen dann eher zu Psychopharmaka
raten und Männern zu Schmerzmitteln. Diese Tendenz nimmt mit den
medizinischen Praxisjahren nicht unbedingt ab – [9][sie kann sich sogar
noch verschärfen].
Im klinischen Alltag werden Frauen seltener in die [10][Notaufnahme
überwiesen] und ihre [11][Blinddarmentzündungen], Schlaganfälle und
Herzinfarkte werden öfter übersehen – besonders dann, wenn sich ihre
Symptome anders äußern, [12][als es der Medizin von Männern vertraut ist].
Genau daran sterben einige Frauen, und zwar eher, [13][wenn sie von Männern
behandelt wurden].
Männliche Ärzte in Deutschland [14][verschreiben ihren Patientinnen
tendenziell weniger Herzmedikamente] als ihren Patienten und in der Schweiz
wurde ihnen weniger Prävention verordnet. In Neuseeland bewerteten Ärzte
die Probleme ihrer Patientinnen über Tausende Fragebögen hinweg weitaus
seltener als gravierend, vermuteten dafür öfter verdeckte Motive und waren
sich [15][mit Diagnosen häufiger unsicher].
Auf der anderen Seite gaben französische Patientinnen an, dass sie
Ratschlägen zu Sport, Ernährung und Gewicht von [16][männlichen Ärzten
deutlich weniger vertrauen].
## Wie wird Medizin diverser?
Dagegen erzielten deutsche Ärztinnen im Bereich Diabetes auch mit ihren im
Schnitt älteren und schwereren Patientinnen [17][bessere Ergebnisse] als
ihre Kollegen. [18][Videoauswertungen zeigen], dass Ärztinnen ihre
Patientinnen eher in den Mittelpunkt der Behandlung stellen. Diese
berichten wiederum, dass sie gerade Unterleibsuntersuchungen durch
Ärztinnen als [19][weniger unangenehm empfänden]. Einige schieben
Untersuchungen prinzipiell hinaus, [20][wenn keine Ärztin verfügbar ist].
Grundsätzlich drängen Behandelnde, die in der Medizin selbst marginalisiert
werden, eher auf Fortschritt. So beklagten etwa Studentinnen weit häufiger,
dass sie [21][ihr Lehrmaterial nicht genügend auf die Behandlung von Frauen
vorbereitet.]
Ärztinnen, genauso wie Angehörige von Minderheiten, verfolgten für die
Behandlung [22][aktiver neue Richtlinien]. Das wirkt sich vielleicht sogar
auf die Kollegen aus: Ärzte, die mit besonders vielen Frauen
zusammenarbeiten, sind besser darin, [23][ihre Herzinfarkte zu behandeln].
## Der positive Effekt von Repräsentanz
Die Bedeutung von Repräsentanz in der Medizin zeigt sich auch in Studien zu
rassistischer Diskriminierung. In den USA werden [24][Herzinfarkte] und
[25][Schlaganfälle] bei Schwarzen Patient*innen häufiger übersehen.
Allein die Präsenz von Schwarzen Ärzt*innen in einer Gemeinde verringert
das Sterberisiko für diese Gruppe dagegen so sehr, dass es sich [26][auf
die Lebenserwartung auswirkt]. Auch die Kluft zwischen den
Überlebenschancen Schwarzer und weißer Neugeborener halbierte sich durch
die Geburtsbegleitung von Schwarzen Ärzt*innen.
Bei Diskriminierung und Rassismus gilt ebenso: Der positive Effekt von
Repräsentanz zeigt sich vor allem bei schweren Krankheiten und Geburten.
Und: Weißen Patient*innen entstand in keiner Konstellation ein
Nachteil. Diversität ist in der Medizin also auf allen Ebenen ein Gewinn –
und gleichzeitig stark ausbaufähig. Unter anderem die Perspektive von
trans* und non-binären Personen kommt in bisherigen Studien noch zu kurz.
Zur Frage, wie die Medizin diverser werden kann, hat die Forschung
[27][einige Ergebnisse] parat: Langfristige Mentor*innen-Programme helfen,
genauso wie geschlechtersensible Förderpreise und ganzheitliche
Bewerbungsprozesse, die auch Leistungen außerhalb des Krankenhauses
anerkennen. Allein das Stichwort Diversität auf der Website zu erwähnen
half, mehr Bewerberinnen zu motivieren.
Mindestens genauso wichtig wäre es allerdings, Hürden aus dem Weg zu
räumen. Weltweit gibt es zwar immer mehr Ärztinnen, sie verdienen im
Schnitt aber 9 bis 28 Prozent weniger als ihre Kollegen. Auch in
Deutschland und zum Teil gerade weil sie [28][mehr Zeit mit ihren
Patient*innen verbringen]. Obendrein verschlechtern sich Löhne und
Arbeitsbedingungen in medizinischen Disziplinen tendenziell, [29][je mehr
Zulauf sie von Frauen erhalten].
## Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Neben der Arbeit erledigen Ärztinnen mehr Haushaltsaufgaben, [30][müssen
bei familiären Notfälle öfter freinehmen] und werden dafür beruflich eher
abgestraft. Erst vor Kurzem deckte eine Untersuchung an mehreren
japanischen Universitäten auf, dass diese die Zugangstestergebnisse ihrer
Medizinstudentinnen verfälschten, um ihren Anteil auf 30 Prozent zu
beschränken.
In Deutschland sind inzwischen zwei Drittel der Medizinstudierenden Frauen,
in der ambulanten Versorgung ab 2023 erstmals mehr als die Hälfte. In der
Chirurgie und bei den Chefarztposten ist der [31][Frauenanteil jedoch
deutlich geringer].
Vereine wie „Die Chirurginnen“, „der deutsche Ärztinnenbund“ oder
„Spitzenfrauengesundheit“ versuchen dem etwas entgegenzusetzen. Sie
vereinfachen Vernetzung, vergeben Stipendien und bieten nebenbei auch
Fortbildungen gegen medizinischen Rassismus.
Manche Universitätsfakultäten fördern zusätzlich Vereinbarkeit von Beruf
und Familie, indem sie das Teilen von Führungspositionen zulassen.
Unterdessen setzt die Charité darauf, sämtlichen Praktizierenden mehr
Geschlechterbewusstsein zu vermitteln – mit dem ersten deutschen
Universitätsinstitut für Gendermedizin, gegründet von der Kardiologin Vera
Regitz-Zagrosek.
Letztendlich kann man es nicht allein Ärztinnen aufbürden, das Problem
„medizinischer Sexismus“ zu beheben. Genauso wie man es Patientinnen nicht
zumuten kann, auf dem Weg in die Notaufnahme Frauenquoten zu checken. Sie
alle verdienen die bestmögliche Behandlung, unabhängig davon, wer das
Skalpell hebt.
9 Aug 2024
## LINKS
[1] https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/M23-3163
[2] https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/2593255%C…
[3] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29018008/
[4] https://academic.oup.com/bjs/article/111/5/znae097/7664184
[5] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12169083/
[6] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19158153/
[7] https://jamanetwork.com/journals/jama-health-forum/fullarticle/2782058
[8] https://journals.lww.com/lww-medicalcare/abstract/2016/03000/a_comprehensiv…
[9] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0738399119303829?via…
[10] https://www.cmaj.ca/content/177/12/1513
[11] https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2762391
[12] https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/1738716
[13] https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.1800097115
[14] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19158153/
[15] https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/03630240802313464?needAccess=…
[16] https://academic.oup.com/fampra/article/31/6/706/592408
[17] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.1365-2796.2008.01967.x
[18] https://www.liebertpub.com/doi/abs/10.1089/jwh.2011.2903
[19] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0735675799901481?vi…
[20] https://www.liebertpub.com/doi/10.1089/jwh.2015.5517
[21] https://www.liebertpub.com/doi/10.1089/jwh.2007.0589
[22] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1475-6773.2007.00788.x
[23] https://www.pnas.org/doi/abs/10.1073/pnas.1800097115
[24] https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/JAHA.121.024199
[25] https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/dx-2013-0038/html
[26] https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/article-abstract/2803898
[27] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1931720421000635
[28] https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMsa2013804
[29] https://human-resources-health.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12960-0…
[30] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24737273/
[31] https://www.aok.de/pp/gg/versorgung/frauen-in-der-medizin/
## AUTOREN
Franca Parianen
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