# taz.de -- Die Wahrheit: Sie sind nass und sie können reden | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (197): Biber wurden | |
> lange wegen ihres Pelzes und ihres Drüsensekrets gejagt und fast | |
> ausgerottet. | |
Bild: Schwimmt endlich auch hierzulande wieder im Teich herum – der drollige … | |
Der Biber ist eine der größten Erfolgsgeschichten des deutschen | |
Naturschutzes. Über Jahrhunderte gejagt wegen seines Pelzes und des | |
„Bibergeil“, des als Heilmittel geltenden Drüsensekrets, war das Nagetier | |
in den Fünfzigerjahren in der BRD ausgestorben. Es gab nur noch einige | |
Biber in der DDR. Heute leben wieder rund 25.000 in ganz Deutschland, 120 | |
allein in Berlin. Im Schlosspark Charlottenburg gibt es Führungen zu ihnen | |
(für 6 Euro pro Person). | |
„Überall, wo der Biber auftaucht und noch die kleinsten Gräben staut, | |
verwandeln sich aufgeräumte Fluren in ein wildes Mosaik ökologischer Fülle. | |
Der Nager verändert die Landschaft in großem Stil. Er setzt Äcker unter | |
Wasser, kappt Obstgehölze und verstopft Klärabflüsse“, schreibt der Biologe | |
Andreas Weber über den „gemütlichen Anarchisten“ auf geo.de. | |
## Mit Messern und Äpfeln | |
Biber sind jedoch nicht überall wohlgelitten: Schon so manche „Biberburg“ | |
wurde von Bauern mit dem Traktor zerstört und auch schon der eine oder | |
andere Biber getötet – entweder von Dumpfbeuteln, die sie mit Bisamratten | |
verwechselten, oder von Obstbauern, denen die Biber ihre Apfelbäume | |
fällten. | |
In Spandau wurden gerade zwei junge Biber von Hunden getötet und einem | |
weiteren der Kopf mit einem Messer abgetrennt. Auf der anderen Seite mehren | |
sich aber auch „Biber-Flüsterer“: Zum Beispiel Leopold Kanzler, der seit | |
zehn Jahren eine Biberfamilie am Marchfeldkanal in Österreich mit Äpfeln | |
füttert und ein gern gesehener Gast bei ihnen ist. | |
## Biber am Stammtisch | |
Die Journalistin Anja Rützel besuchte einen Kurs in „Bibermanagement“ und | |
berichtet darüber in ihrem Buch „Saturday Night Biber“ (2017). Gleich auf | |
der ersten Folie des Kursleiters stand: „Bibermanagement ist | |
Menschenmanagement“. Dazu gehöre auch ein sensibler „Bibertourismus“, der | |
die Tiere nicht stört oder vertreibt. „Das Schlimmste, was passieren kann, | |
ist, wenn ein Biberproblem am Stammtisch landet“, meinte der Kursleiter. | |
Zur Not müsse man eine „Biberumsiedlung“ vornehmen, was rund 7.000 Euro pro | |
Tier koste. | |
In Weißrussland, wo es in den riesigen Pripjet-Sümpfen besonders viele | |
Biber gibt, hat man umgekehrt einige Menschen umgesiedelt, denen die Biber | |
mit ihren Dammbauten die Grundstücke unter Wasser setzten. Das Land hat | |
sich den Biber als Wappentier gewählt. An der Weichsel bei Warschau hat ein | |
arbeits- und obdachloser Funktionär eine Hütte im Schilf gebaut und sich | |
als „Biberwart“ eine neue Aufgabe geschaffen; eine rumänische Künstlerin | |
widmete ihm eine Ausstellung. | |
## Vom Jäger zum Schützer | |
In Kanada hatten Pelzjäger den Biber in den Zwanzigerjahren fast | |
ausgerottet, sodass die Naturschutzbehörde ein Ehepaar an einem See in | |
Saskatchewan als „Biberschützer“ anstellte. Im See gab es noch eine | |
bewohnte Biberburg, zudem bezog das Paar mit zwei zahmen Bibern dort ein | |
Blockhaus, eine „Beaver Lodge“. Ihre Biber nagten sofort ein Loch in den | |
Holzboden und gruben einen Tunnel zum See. Über und von den beiden | |
„Biberschützern“ gibt es viele Bücher. Er war ein Schotte, der Archibald | |
Belaney hieß, lange bei den Ojibwa lebte und sich Wäscha-kwonnesin (Graue | |
Eule) nannte. Sie war eine Mohawk, die Anahareo genannt wurde. Ihre Biber | |
hießen McGinnis und McGinty. | |
Bevor Belaney „Biberschützer“ wurde, war er Pelzjäger gewesen. Als er | |
einmal ein Biberweibchen in einer Falle gefangen hatte, die dabei ertrunken | |
war, rettete Anahareo ihre zwei Jungen und zog sie groß. Auf Drängen seiner | |
Frau gab Belaney die Pelzjagd auf und fing an, erst Zeitungsartikel und | |
dann Bücher zu schreiben – über Biber und seine Wandlung vom Biberjäger zum | |
Biberschützer. Seine Bücher waren so erfolgreich, dass man ihn in England | |
und in den USA zu Vorträgen einlud. | |
Eines seiner ungewöhnlich selbstkritischen Bücher heißt auf Deutsch | |
„Kleiner Bruder“ (1937), ein Kinderbuch von ihm „Sajo und ihre Biber“ | |
(1935). Konrad Lorenz nannte sie 1949 „wundervolle Bibergeschichten“. Nach | |
dem Tod ihres Mannes schrieb Anahareo ein Buch über ihn und ihr Leben: | |
„Devil in Deerskins: My Life with Grey Owl“, das 2014 vom Verlag der | |
Universität von Manitoba veröffentlicht wurde – das erste einer neuen Reihe | |
mit Texten von Indigenen. Für ihr Engagement zum Schutz nicht nur der Biber | |
bekam sie 1979 einen Orden der Internationalen Liga für Tierrechte und 1983 | |
einen Orden vom kanadischen Staat. | |
1995 veröffentlichte ein Deutschlehrer an der Universität von Toronto, | |
Walter Bauer, eine Biografie über Belaney: „Wäscha-kwonnesin – der weiße | |
Indianer“. Darin beschreibt er, wie unglücklich Anahareo war, die oft | |
tagelang alleine in einer Hütte lebte, während ihr Mann durch die Wälder | |
streifte, um Tiere zu töten, deren Pelz er an die Hudson’s Bay Company | |
verkaufte. Für Anahareo waren erbeutete Wildtiere noch eine Gabe, keine | |
Ware. Ihre Rettung der kleinen Biber gegen Belaneys Willen eröffnete beiden | |
eine andere Perspektive. | |
## Liebenswert hartnäckige Ausreißer | |
Walter Bauer schreibt: „Diese beiden winzigen Wesen veränderten das Leben | |
in der Hütte, ohne dass seine Bewohner es zuerst gewahr wurden. Dann | |
spürten sie es beide.“ Die zwei Biber „waren lebhaft, unberechenbar, | |
hartnäckig und liebenswürdig. McGinty, das Weibchen, hing zärtlich an | |
Anahareo, McGinnis zeigte vor allem Grey Owl seine Zuneigung. Was ihnen die | |
beiden Tiere bedeuteten, wie tief sie in ihr Leben eingedrungen waren, | |
merkten beide, als die zwei Biber eines Morgens verschwunden waren. | |
Plötzlich war die Hütte leer, das Leben erloschen. Sie suchten im Wald, sie | |
fuhren im Kanu das Ufer des Sees ab. Schließlich, nach einem ganzen Tag und | |
der Nacht, gaben sie die Suche auf und kehrten zur leeren Hütte zurück. Da | |
waren sie! Die beiden Biber saßen auf dem Bett, als wären sie gerade von | |
einem nassen Ausflug nach Hause gekommen.“ | |
„Jetzt verstand Grey Owl, warum die Indianer Biber liebten und sie ‚kleine | |
Indianer‘ und ‚sprechende Brüder‘ nannten.“ Er schrieb: „Sie können… | |
sie sind warmherzig, sie wissen, was es heißt, glücklich zu sein oder sich | |
einsam zu fühlen.“ | |
1999 drehte Richard Attenborough einen Spielfilm über ihn, Anahareo und die | |
Biber mit dem Titel „Grey Owl“. In ihrem Buch „Beastley – A New History… | |
Animals and US“ (2023) schreibt die englische Autorin Keggie Carew: „Grey | |
Owl wurde Kanadas berühmtester indigener Umweltschützer und die beiden | |
Biber internationale Berühmtheiten.“ | |
15 Jul 2024 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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