# taz.de -- Designerin über Selbständigkeit: „Etwas Naivität hilft“ | |
> Um freier arbeiten zu können, hat Produktdesignerin Regina Winther in | |
> 2020 ihr eigenes Unternehmen gegründet. Und dann legte Corona die Welt | |
> lahm. | |
Bild: Hat vermeintliche Sicherheit gegen kreative Freiheit getauscht: Designeri… | |
wochentaz: Frau Winther, tragen Sie im Alltag eigentlich vor allem Ihre | |
selbst designten Rucksäcke und Taschen? | |
Regina Winther: Nein. Aber ich muss sagen, ich habe wirklich sehr, sehr | |
viele Taschen, weil ich natürlich an diesem Thema interessiert bin | |
wochentaz: Und was genau interessiert Sie daran? | |
Winther: Taschen sind schön, aber auch funktional. Sie sind eben nicht | |
reine Dekoration. | |
wochentaz: Könnten Sie ohne Taschen nicht leben? | |
Winther: Ohne Taschen leben kann, glaube ich, niemand. Aber es können sehr | |
viele Leute – gerade im Vergleich zu mir –mit nur sehr wenigen Taschen | |
leben. | |
wochentaz: Was hat Sie eigentlich ursprünglich zum Design gebracht? | |
Winther: Ich wollte kreativ arbeiten, aber auch etwas Praktisches machen | |
und mit meinen Händen arbeiten. | |
wochentaz: Und nach dem Abitur haben Sie sich mit einer Mappe an einer | |
Designhochschule beworben? | |
Winther: Ich bin auf einem Dorf in Niedersachsen groß geworden, da gab es | |
keine Mappenvorbereitungskurse. Aber in einem Nachbardorf gab es in einem | |
Kloster eine Nonne, die Zeichenunterricht gab. Das hatte sich | |
rumgesprochen. Da dachte ich, das wäre gut für eine Mappenvorbereitung. | |
Mehrere Wochen bin regelmäßig zu ihr geradelt. Um sechs Uhr morgens musste | |
ich da sein. Wir haben einen Tee getrunken und besprochen, was und woran | |
ich arbeite. Dann ist sie bis mittags verschwunden. Und als sie wiederkam, | |
hat sie meine Arbeiten kommentiert. Das war schon kurios. | |
wochentaz: Eine Nonne in Ordenstracht, die Zeichenunterricht gibt? | |
Winther: Ja, das gab dem Ganzen so eine Entschlossenheit und eine | |
Ernsthaftigkeit. Mit der Mappe wurde ich dann an der Hochschule in Hannover | |
angenommen und haben Produktdesign studiert. | |
wochentaz: Hat Ihre protestantische Zeichenlehrerin das mitbekommen? | |
Winther: Für sie war das alles Teil einer Routine. Ich habe ihr irgendwann | |
mal eine Karte geschrieben, aber dann bin ich weggezogen. Das Leben ging | |
weiter. | |
wochentaz: Und wie kamen Sie ausgerechnet auf Produktdesign? | |
Winther: Von Produktdesign hatte ich noch keine so genaue Vorstellung, aber | |
für mich klang es gut und am vielseitigsten. Im Studium habe ich schnell | |
festgestellt, dass klassisches Industriedesign recht nüchtern und nicht | |
ganz mein Ding ist. Durch ein paar Zufälle bin ich dann bei den Taschen | |
gelandet. Textile Produkte sind für mich ein spannendes Thema, weil man | |
rasch etwas ausprobieren kann. Man kann sich mit einfachen Papiermodellen | |
an die Form herantasten und schnell einen Prototyp nähen. | |
wochentaz: Vor ein paar Jahren haben Sie beschlossen, mit kaala Ihre eigene | |
Marke für Yogataschen zu gründen. | |
Winther: Ja, 2019 war die Vorbereitungszeit, also die Entwicklungsarbeit. | |
Das heißt, da habe ich das Konzept entwickelt, verschiedene Entwürfe | |
ausprobiert, einen Produzenten gesucht und einen Prototyp erstellt. 2020 | |
kam der offizielle Start der Marke mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne. | |
wochentaz: Da waren Sie Anfang 40. | |
Winther: Ja. | |
wochentaz: Fühlt man sich da in der Start-up-Szene nicht schon ganz schön | |
alt? | |
Winther: Bei den klassischen Start-up-Veranstaltungen schon. Aber ich hatte | |
vorher zum Gründen schlicht keine Zeit. Ich habe studiert, angestellt und | |
freiberuflich gearbeitet und zwei Kinder bekommen. Natürlich hat es auch | |
Vorteile für eine eigene Markengründung, wenn man so ein bisschen | |
Berufserfahrung gesammelt hat. | |
wochentaz: Welche zum Beispiel? | |
Winther: Ich habe viel über Produktionsprozesse gelernt, bin selbst zu | |
Produktionsstätten in Fernost und Portugal gereist und habe wertvolle | |
Kontakte zu Produzenten geknüpft. Auch die Zusammenarbeit mit Start-ups als | |
Designerin war eine gute Vorbereitung für das eigene Vorhaben, weil ich so | |
Einblicke bekommen habe, was alles dazugehört eine Marke aufzubauen. | |
wochentaz: Was war denn Ihre Motivation, eine eigene Marke zu gründen? | |
Winther: Nachdem ich mehrere Jahre angestellt gearbeitet hatte, habe ich | |
mich als Freelancer selbstständig gemacht. Ich hatte davor die Vorstellung, | |
selbstbestimmter zu arbeiten, fand aber die ganze Situation nicht zu 100 | |
Prozent zufriedenstellend. In meinen kreativen Arbeiten war ich doch nicht | |
so eigenständig, wie ich gedacht hatte. Daher kam mein Impuls, etwas | |
Eigenes zu gründen. | |
wochentaz: Das ist ein ganz schön mutiger Schritt. | |
Winther: Etwas Naivität hilft auch, den ersten Schritt zu wagen. Wenn ich | |
zu lange darüber nachgedacht hätte, was alles schiefgehen könnte, hätte ich | |
es vielleicht gar nicht gemacht. | |
wochentaz: Hatten Sie denn dabei schon konkret an ein Taschenlabel gedacht? | |
Oder hätten Sie auch ein Café eröffnet? | |
Winther: Ich wollte in erster Linie etwas Eigenes machen. Und habe über | |
sehr viele verschiedene Richtungen der Gründung nachgedacht. Ich war ein, | |
zwei Jahre in der Findungsphase. In der Zeit habe ich viele Workshops | |
besucht und lange überlegt. Aber mich dann dafür entschieden, etwas zu | |
machen, womit ich mich auskenne. Und so habe ich dann die Taschenmarke | |
gegründet. | |
wochentaz: Ist es nicht super teuer, zu gründen? | |
Winther: Während der Workshops habe ich viele unterschiedlichen Leute | |
kennengelernt, die mir Mut gemacht haben und die mich auch auf die Idee des | |
Crowdfundings gebracht haben. Für die Crowdfunding-Kampagne ist dann meine | |
Gründungspartnerin Carolin van Eupen mit eingestiegen. Das war 2020. | |
wochentaz: Und in diesem Jahr kam Corona … [1][Yoga-Kurse wurden abgesagt] | |
oder fanden nur online statt. Wie haben Sie diese Krise erlebt und | |
bewältigt, die Sie ja so gar nicht steuern konnten? | |
Winther: Rückblickend würde ich sagen, es ist besser, man durchlebt so eine | |
Krise gleich zu Beginn einer Gründung. Uns hat sie auf eine Art auch | |
positiv ausgebremst: Wir haben immer nur die kleinsten möglichen Schritte | |
gemacht und die Kosten gering gehalten. Unser Produktionspartner, der uns | |
sehr entgegengekommen ist, hat für uns Minimengen produziert. Und da wir | |
auf keine Messe gehen konnten, hatten wir erst mal nur ein paar Läden in | |
Hamburg, wo unsere Rucksäcke vertreten waren. Und wir haben | |
unterschiedliche Onlinekanäle genutzt. Außerdem hatten wir in der | |
Aufbauphase noch keine Angestellten und damit auch keine | |
Personalverantwortung. | |
wochentaz: Welche Erfahrungen haben Sie aus der Krise mitgenommen? | |
Winther: Sie hat uns selbstbewusster gemacht, weil es trotzdem immer weiter | |
ging, obwohl die Bedingungen so extrem schwierig waren. | |
wochentaz: Haben Sie während der Coronakrise den Schritt mit der Gründung | |
bereut? | |
Winther: Nö. Man denkt ja oft, ein angestellter Job bedeutet Sicherheit und | |
ein eigenes Unternehmen bedeutet vor allem Risiko, aber gerade während der | |
Pandemie hat man ja erlebt, dass das Angestelltsein gar nicht so sicher | |
ist. Viele Menschen mussten in Kurzarbeit gehen oder haben sogar ihre Jobs | |
verloren. Mit einem eigenen Unternehmen ist man in einer aktiveren Rolle | |
und weniger abhängig. Man kann selbst mehr Einfluss nehmen. | |
wochentaz: Was war oder ist für Sie als Gründerin dabei die größte | |
Herausforderung? | |
Winther: Wenn man ein eigenes Label gründet, dann deckt man als | |
Produktdesigner nur ein kleines Spektrum ab. Die Anfangsphase, also die | |
Entwicklungsarbeit, war vertrautes Terrain, aber danach kommt erst der | |
riesige Aufgabenbereich rund um Vertrieb, Marketing und Finanzpläne. Ich | |
habe es dann einfach andersherum gedacht: Jemand, der BWL studiert hat und | |
für den das selbstverständlicher ist, [2][was Eigenes zu gründen], holt | |
sich ja auch die fehlenden Kompetenzen dazu. Und wenn das so rum | |
funktioniert, muss es auch umgekehrt funktionieren. Die größte | |
Herausforderung dabei war, dass man sich erst mal in alles selbst | |
einarbeiten muss. Ich konnte ja nicht gleich Leute einstellen. | |
wochentaz: Und was war für Sie die größte Überraschung oder auch die größ… | |
Erkenntnis, jetzt, vier Jahre später? | |
Winther: Als Designerin dachte ich immer, wir und die Produzenten machen | |
doch eigentlich den größten Teil der Arbeit. Dieser ganze Apparat, der in | |
den Unternehmen drinsteckt, also der ganze Vertriebs- und Marketingapparat, | |
den braucht es nicht wirklich, damit dieses Produkt entsteht. Und jetzt | |
weiß ich, dass es genau andersherum ist. Das hätte ich allerdings nicht | |
gerne vorher gewusst. Es hätte mich sicherlich abgeschreckt. | |
wochentaz: Und wie sieht Ihr Leben als Gründerin inzwischen aus? Ist es so | |
selbstbestimmt, wie Sie sich das vorstellt haben? | |
Winther: Ja, mir gibt es schon ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, ein | |
eigenes Label in die Welt gesetzt zu haben. Inzwischen habe ich mit Carolin | |
van Eupen eine Unternehmenspartnerin und wir sind in Läden in ganz | |
Deutschland zu finden. Wir haben sogar einen Distributor in Japan. Wenn ich | |
unseren Namen google, dann taucht die Marke in ganz vielen anderen | |
Online-Shops auf. Wenn wir auf Messen sind, kommen oft auch mal Kunden | |
direkt zu uns und geben uns Feedback. Etwas, das 2019 nur eine vage Idee | |
war, hat nun langsam Gestalt angenommen. Das ist ein gutes, ein sehr gutes | |
Gefühl. | |
wochentaz: Sie reisen zu Sport- und Yoga-Messen, um dort Ihre Produkte zu | |
präsentieren. Das ist vermutlich auch eine ganz neue Erfahrung. | |
Winther: Wenn wir persönlich auf einer Messe stehen, können wir tatsächlich | |
am besten potenzielle Käufer überzeugen. Sie sehen, dass da zwei Personen | |
sind, die diese Marke allein aufgebaut haben und die Idee und die Produkte | |
gut erklären können. | |
wochentaz: Und wie sieht Ihr Messestand aus? | |
Winther: Vor unserem ersten Messeauftritt haben wir bei Etsy ein | |
Standsystem gekapert, das wir, wenn wir zusammen unterwegs sind, in fünf | |
Taschen verpacken können. Die kriegen wir sogar in einen ICE oder einen VW | |
Bus, den wir bis unters Dach voll packen. Wir haben beide schon ein Auge | |
dafür, wie wir einen Messestand auch mit wenigen finanziellen Mitteln zu | |
einem ganz attraktiven Stand machen. Egal, wo und auf welcher Messe wir | |
sind, wir haben natürlich den kleinstmöglichen Stand – meistens sind das so | |
vier Quadratmeter. | |
wochentaz: Taschen sind ja erst mal etwas völlig Leeres, das seinen Sinn | |
erst suchen muss – und Taschen sind trotzdem als rein äußerliches | |
Accessoire modisch aufgeladen. Daher sind Taschen auch immer ein Zeichen | |
ihrer Zeit. In den 90er Jahren war die Kurier- und Umhängetasche ein Muss, | |
dann kam die Bauchtasche, dann der eher kleine Rucksack. Gerade sieht man | |
im Alltag sehr viele Alles-Könner-Fahrradtaschen. | |
Winther: Taschen drücken immer auch etwas über die Persönlichkeit | |
desjenigen aus, der sie trägt. Ob jemand mit einer robusten Fahrradtasche | |
unterwegs ist, der dann bestimmt auch eine gute Regenhose besitzt, oder mit | |
einer teuren Clutch – für jedes Outfit eine andere – oder mit einem | |
Stoffbeutel, der ja eigentlich eine Nicht-Tasche ist, aber schon lange ein | |
klares Fashion-Statement. Taschen sind immer auch Codes, um sich einer | |
bestimmten Gruppe zugehörig zu fühlen. Im Augenblick geht es aber auch sehr | |
um die Multifunktionalität einer Tasche. Und Fahrradtaschen sind ein großes | |
Thema – Mobilität in der Stadt generell. Auch jede technische Entwicklung | |
hat Auswirkungen auf das Taschendesign. Taschen werden immer so | |
konstruiert, dass die neu entwickelten Geräte gut transportiert werden | |
können – mit Fächern für Tablets, Handys, Laptops … | |
wochentaz: Taschen halten einerseits sehr lang, sind aber andererseits den | |
wechselnden Trends unterworfen. Oder aber die Technik, die wir mit uns | |
herumtragen, passt nicht mehr in sie rein. Wie schaffen Sie mit ihren | |
Produkten diesen Spagat? | |
Winther: Unsere Idee war, etwas Bewährtes zu machen und gleichzeitig eine | |
Nische zu finden. Yoga ist mittlerweile ein Volkssport geworden und man | |
sieht immer wieder Leute mit Taschen und einer separaten Matte, die sie | |
sich umgehängt haben, und die das Ganze dann umständlich auf dem Fahrrad | |
jonglieren. Das zu optimieren war unser Ansatzpunkt. Es sollten aber auch | |
keine Taschen sein, die man jetzt nur für diese eine Gelegenheit, den Weg | |
zur Yogaklasse, nutzen kann. Deswegen das Laptopfach, damit man die Tasche | |
auch mit zur Arbeit nehmen kann. | |
wochentaz: Haben Sie an eine bestimmte Zielgruppe gedacht? | |
Winther: Wir haben uns den Markt und die wichtigsten Lifestyle-Trends | |
angeschaut und so unsere Zielgruppe analysiert. Aber aus eigener | |
Beobachtung würde ich sagen, es sind Menschen, die in der Stadt leben und | |
etwas Schlichtes und Alltagstaugliches brauchen. Also etwas ohne | |
Batikmuster oder Mandalas. | |
5 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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