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# taz.de -- Sensibilisierung für Kopfverletzungen: Erschütterung im Spiel
> Schwere Gehirnerschütterungen sind auch im Fußball keine Seltenheit. So
> zuletzt beim Spiel Schottland gegen Ungarn. Zeit für mehr
> Sensibilisierung.
Bild: Der ungarische Nationalspieler Barnabás Varga liegt verletzt am Boden
Stuttgart taz | Das einzige Tor des Abends in der Nachspielzeit war dann
nicht mehr wichtig. Alle dachten nur noch an diese Szene aus der 68.
Minute, und so schnappten sich ungarische Spieler nach dem Schlusspfiff
Trikots mit der Nummer 19: Barnabás Varga stand hinten auf dem Dress. Varga
befand sich zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Weg in ein Stuttgarter
Krankenhaus. Er war eine knappe halbe Stunde vorher mit Schottlands Torwart
Angus Gunn hart zusammengeprallt. Der 29-jährige Mittelstürmer der Ungarn
blieb am Fünfmeterraum bewusstlos liegen, seine Arme zeigten einen Spasmus,
sie ragten verkrampft nach oben, Zeichen eines schweren
Schädel-Hirn-Traumas.
Minutenlang wurde Varga behandelt, wenngleich die etwas behäbig
herbeieilenden Sanitäter erst von Spieler Dominik Szoboszlai angetrieben
werden mussten. Decken wurden als Sichtschutz um das Unfallopfer
hochgehalten, die Fußballfans fühlten sich an den [1][tragischen
Herzstillstand des Dänen Christian Eriksen] bei der EM 2021 erinnert;
damals bildeten die dänischen Spieler einen Paravent, hinter dem Eriksen
erfolgreich reanimiert wurde.
Nach dem Vorfall am Sonntagabend gab der ungarische Fußballverband MLSZ auf
der Plattform X nun vorsichtig Entwarnung. Der Angreifer von Ferencvaros
Budapest sei „stabil“, hieß es. Er habe „mehrere Knochenfrakturen im
Gesicht sowie eine Gehirnerschütterung“ erlitten, befinde sich im
Krankenhaus in Stuttgart und werde „höchstwahrscheinlich“ operiert.
Ungarns Nationaltrainer Marco Rossi sagte im Interview mit der BBC: „Das
Wichtigste ist, dass es Barni gut geht. Mal sehen, ob wir im Turnier
weiterkommen, aber er wird sicher nicht mehr bei uns sein.“ Nach dem
Zusammenstoß hatte im Stuttgarter Stadion lähmende Stille geherrscht.
Ungarns Szoboszlai kämpfte mit den Tränen. In der 73. Minute wurde Varga
auf einer Trage abtransportiert.
## Kritik am Umgang mit Kopfverletzungen
„Ich war einer der Ersten, der da war. Ich war schockiert. Ich habe
versucht, ihn auf die Seite zu drehen. Er wollte aufstehen, aber hat
irgendwie keine Luft bekommen“, sagte Liverpool-Profi Szoboszlai. Er
kritisierte das Protokoll der Uefa zum Umgang mit Kopfverletzungen und den
langsamen Einsatz der Rettungskräfte: „Wir müssen das schneller machen.
Jede Sekunde zählt.“ Last-Minute-Siegtorschütze Kevin Csoboth (90.+10)
hielt nach dem Spiel wie gesagt das Trikot mit der Nummer 19 in die Höhe,
Szoboszlai zog es über sein eigenes. Ungarn holte die drei Punkte,
verdrängte die Schotten vom dritten Platz in der deutschen Gruppe A und
hofft auf das Achtelfinale.
Gehirnerschütterungen sind nicht nur im American Football, Rugby und
Eishockey weit verbreitet, [2][sie kommen auch auf dem Fußballplatz häufig
vor.] In Luft- oder Kopfballduellen ist die Gefahr, mit den Schädeln
zusammenzustoßen, groß, hinzu kommt die leider zu lasch geahndete Unart,
die Ellenbogen auszufahren. Die Uefa startete erst 2019 eine „Kampagne zur
Sensibilisierung für Gehirnerschütterung“.
Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Ärzte und die Öffentlichkeit sollten über
Gehirnerschütterungen im Fußball aufgeklärt werden. Man kam überein, dass
jene drei Minuten, die im aktuellen Gehirnerschütterungs-Verfahren den
Teamärzten gewährt werden, um die Diagnose zu stellen, möglicherweise
unzureichend sein können und „dass Ärzte mit einer so begrenzten Zeit
übermäßigem Druck von Spielern und Teambeamten ausgesetzt sein könnten“.
Der Vorsitzende des medizinischen Komitees der Uefa, Tim Meyer, sagte: „Wir
müssen uns weiterhin mit der Frage befassen, wie Spieler mit
Gehirnerschütterungen das Spiel fortsetzen. Die Kernbotschaft der Uefa in
dieser Sensibilisierungskampagne zielt darauf ab, die Gesundheit der
Spieler zu schützen.“ Man kooperiert mit dem Weltverband Fifa und dem
Regelboard Ifab.
## Entscheidung innerhalb von drei Minuten
Mittlerweile gibt es sogar eine „Charta der Gehirnerschütterung“ der Uefa.
Klubs sind dazu angehalten, das Papier zu unterschreiben, und werden
„nachdrücklich ermutigt“, bei Wettbewerben, „wenn möglich, ein
medizinisches Videoüberprüfungssystem in ihren Stadien einzusetzen, um eine
sofortige und informierte Verletzungsbewertung zu ermöglichen“.
Ist ein Spieler auf dem Platz angeschlagen und benommen, obliegt es aber
nach wie vor allein dem Mannschaftsarzt, innerhalb von drei Minuten zu
entscheiden, ob es weitergeht. Die Spieler, [3][oft gefangen im typischen
Männlichkeitsbild der Branche], drängen meist zurück aufs Feld. Die
Sensibilisierung für das Thema befindet sich noch in den Anfängen. Warum
nicht über eine Rote Karte für jeden Ellbogencheck nachdenken, über den
verpflichtenden Einsatz eines Kopfschutzes, der auch die Wirkungstreffer
beim Kopfball abmildert?
Das Thema ist zu wichtig, um es im „Wird schon irgendwie“ – Modus zu
verwalten. Dutzende von NFL-Sportinvaliden, die unter den Folgen einer
chronisch-traumatischen Enzephalopathie leiden, sind ein mahnendes
Beispiel.
24 Jun 2024
## LINKS
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[3] /Sportpsychologin-ueber-Fussball/!6014114
## AUTOREN
Markus Völker
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