# taz.de -- Karriereende von Toni Kroos: Relaisstation und Seidenfuß | |
> Toni Kroos ist ein Spielgestalter. Zum Hype der Fußballscheinwelt hält er | |
> Distanz. Nun soll er zum Karriereende den EM-Titel ins Land holen. | |
Bild: Zieht sich lieber mit der Familie zurück als das Feierbiest zu geben: To… | |
Während der WM in Südafrika hat die taz mal [1][ein Interview mit Toni | |
Kroos] geführt. Die Erde war rot. Die Sonne brannte über dem Velmore Grand | |
Hotel in der Nähe von Pretoria. Einen Steinwurf entfernt wurde ein Feld | |
abgefackelt, es roch etwas brenzlig, und Toni Kroos war verfügbar, weil ihn | |
niemand sonst angefragt hatte. Nur ein Kollege aus dem Osten kam später | |
dazu. | |
Beim Turnier 2010 war Kroos nur Ersatz – für Bastian Schweinsteiger, der | |
als Sechser vor der Viererkette spielte. Kroos, der Kreative, sollte also | |
im Falle des Falles den Abräumer vor der Abwehr geben. Das wäre schon | |
irgendwie gegangen, aber ebenso gut hätte man einen Spitzenklöppler am | |
Dampfhammer einsetzen können. Und es illustriert, wie sehr Toni Kroos für | |
seine Emanzipation als Fußballer kämpfen musste. Bis das Supertalent mit | |
Schmackes durch eine Papierwand ging, rannte er gegen viele Ziegelmauern. | |
Profi mit metronomischer Präzision, Seidenfuß für besondere Momente, | |
Relaisstation im Netz der Pass-Stafetten – all das formte das Selbstbild | |
des Greifswalders damals schon, und er litt sehr daran, sich noch nicht | |
frei entfalten zu können. Recht lang dauerte es, bis Kroos ungebremst | |
aufspielen durfte, erst musste er die Entscheider von seinen so | |
offensichtlichen Vorzügen als Spielgestalter überzeugen. Ein nie wirklich | |
ausformuliertes Ressentiment begleitete das Supertalent aus dem Nordosten, | |
und am deutlichsten blitzte dieses Fußballspießertum bei den | |
FC-Bayern-Patriarchen Uli Hoeneß und Karl-Heinz-Rummenigge durch. | |
Sie schienen zu ahnen, dass dieser geradlinige Typ die ganze | |
FC-Hollywood-Großattitüde insgeheim verabscheute – und das ließen sie ihn | |
spüren. Hoeneß verbrämte seine Kroos-Skepsis als Fürsorglichkeit: Das junge | |
Talent, das 2006 als 16-Jähriger von Hansa Rostock nach München gekommen | |
war, müsse geschützt werden, ereiferte sich Hoeneß immer wieder rotköpfig, | |
und der Schutz war dann so umfangreich, dass die Biedermänner den jungen | |
Kroos erst 2009 für ein Jahr zu Bayer Leverkusen ziehen ließen und 2014 | |
schließlich zu Real Madrid. | |
## Ein stiller Stratege | |
Was für ein Eigentor! Was für eine Dummheit! Und: Was für ein Glück für | |
Toni Kroos, der aus der deutschen Enge ausbrechen konnte! Hoeneß und | |
Rummenigge hatten es ja tatsächlich geschafft, aus Toni Kroos den | |
„Querpass-Toni“ zu machen, den „Stehgeiger“ und „Tempoverschlepper“… | |
kolportiert von der Münchner Presse und sogar von Marcel Reif, der diesen | |
Fehler immerhin eingestand. | |
Ja, schon, Toni Kroos verhält sich auf dem Feld manchmal wie ein guter | |
Schiedsrichter: Der ist am besten, wenn er nicht auffällt. Kroos scheint im | |
Spielfluss aufzugehen, ein- und unterzutauchen, gleichwohl auch da ein | |
Muster an Effektivität und spielerischer Tiefenwirkung. | |
In Südafrika im Jahr 2010 erklärte Kroos, lässig unterm Sonnenschirm | |
sitzend, seine Spielidee anhand des Franzosen Johan Micoud von Werder | |
Bremen: „Micoud habe ich bewundert, ja. Er war ein unheimlich eleganter | |
Fußballer. Der hat immer vorher schon gewusst, was er mit dem Ball | |
anstellen will. Dieses vorausschauende Spiel wollte ich mir zu eigen | |
machen.“ Und so schaffte es Kroos peu à peu, das Spiel wie ein | |
Schachspieler zu lesen, hat, die nächsten Züge schon geplant, den Kopf bei | |
Dribblings immer oben, seine Anspielstation taxierend. | |
Toni Kroos ist ein stiller Stratege, dessen Präzision sich bisweilen gegen | |
ihn wendet – wenn er einen folgenreichen Fehler begeht, der doppelt schwer | |
wiegt, weil er im Kroos-Kabinett so sichtbar ist wie Tapete, die sich von | |
der Wand löst. Wie [2][2018 im WM-Spiel gegen Schweden,] als sein | |
Ballverlust zum 0:1 führte. Aber was passierte dann? In der Nachspielzeit | |
netzte Kroos einen ikonischen Freistoß zum Sieg ein. Noch schöner ist | |
freilich eine Kompilation von Kroos’ feinsten Flachschüssen, bei denen er | |
aus 20, 22 Metern den Ball in den Kasten zirkelt. | |
## Distanz zum Glamour und Glitter | |
Weil er früh wusste, was er kann, trägt Kroos ein gigantisches | |
Selbstbewusstsein, oder eher: ein großes Selbstvertrauen auf den Platz. | |
Eines, das andere Fußballer mit ins Privatleben nehmen und bisweilen als | |
Ego-Exzess und Unsympathlertum ausleben. Nicht so Toni Kroos. Er zieht sich | |
bei jeder Gelegenheit in seine Villa bei Madrid zurück, geht in der Familie | |
auf. Wenn andere über ihn sprechen, fällt fast immer das Attribut | |
„zurückhaltend“, und als die Mannschaft 2014 nach dem WM-Titelgewinn in der | |
Kabine mit Kanzlerin Angela Merkel und Pokal poste, saß Toni Kroos wie ein | |
Schichtarbeiter abseits vor seinem Spind: allein, müde, in sich gekehrt. Er | |
hat dann fast entschuldigend gesagt, ihm sei der Beitrag zum Sieg wichtig, | |
nicht so sehr jener zur Party, und das glaubt man ihm aufs Wort. | |
Kroos hat die gesündeste Distanz zum Glamour und Glitter der | |
Fußballscheinwelten, zum Hype und der absurden Heldenverehrung. Diese | |
Szenen der Überhöhung betrachtet er skeptisch wie ein Außenstehender, wie | |
jemand, der da eigentlich nicht dazugehört und nur wegen seiner | |
exzeptionellen Fähigkeiten reingestolpert ist. Muss er halt durch das | |
Gedöns, durch den Flitter, aber eigentlich geht es ihm nur um das Spiel und | |
diese neunzig Minuten, sein Ding halt. | |
„Er liebt das Spiel“, sagte Zinedine Zidane einmal, „so wie ich das Spiel | |
geliebt habe“, und über die beschränkten Bayernführer lacht der | |
französische Weltmeister noch heute, denn bei Real Madrid wurde Toni Kroos | |
zum ganz Großen. In diesem Zirkusensemble, das stets die Besten der Besten | |
in die kastilische Manege führt, machte er norddeutsche Kühle, Greifswalder | |
Wertarbeit hoffähig. Kroos wurde zur zentralen Figur, deren Erscheinen auf | |
dem Grün allein schon Sicherheit vermittelte, Siegesgewissheit: Mit ihm | |
wird das schon. ¡Todo está bien! | |
Der Mann mit den stets weißen und gut gewienerten Fußballschuhen (macht er | |
übrigens selbst) steht auch deshalb und so kurz vor seinem Karriereende | |
wieder in der Nationalmannschaft, weil der Alte garantieren soll, dass bei | |
der Euro im eigenen Land Siege eingefahren werden. Danach ist Schluss. Das | |
Ende ist so mustergültig gut getimt wie seine Karriere: Er hört auf, wenn | |
das Panorama noch weit ist. | |
11 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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