# taz.de -- Katholikentag in Erfurt: Katholiken im Handgemenge | |
> Beim Katholikentag ging es um die Kirche in Ostdeutschland und das Recht | |
> auf Schwangerschaftsabbruch – und die Frage: Wie halten wir es mit der | |
> AfD? | |
Bild: Etwa 20.000 Teilnehmende kamen zum Katholikentag in Erfurt | |
Katholikentage und ihre evangelischen Pendants geben seit jeher Aufschluss | |
über das Verhältnis der Kirchen zur Gesellschaft. Auf dem [1][103. | |
Katholikentag, der von Mittwoch bis Sonntag in Erfurt] stattfand, sollten | |
in 500 Veranstaltungen die „Zeichen der Zeit“ gelesen werden. Ist die | |
katholische Kirche fähig, sich einem säkularisierten Umfeld verständlich zu | |
machen oder gar in gesellschaftliche Debatten einzugreifen? | |
Für die meisten Einwohner*innen Erfurts dürfte der Katholikentag eine | |
exotische Veranstaltung gewesen sein. Viele Menschen in seltsamen | |
Gewändern, die manchmal sogar laut singend und musizierend durch die | |
Straßen ziehen. Im Vorfeld des Katholikentags hatte es aufgrund dieser | |
Fremdheitserfahrung große Streitereien um den ‚ostdeutschen‘ Charakter des | |
Katholikentags gegeben. | |
Im Dezember 2023 war der ehemalige Erfurter Oberbürgermeister Manfred Ruge | |
(CDU) als Vorsitzender des Trägervereins öffentlichkeitswirksam | |
zurückgetreten. Ostdeutsche Themen seien im Programm unterrepräsentiert: | |
„Wir sitzen unten am Katzentisch. Unsere Geschichten dürfen wir nicht | |
erzählen“, sagte er der Thüringischen Allgemeinen. Die Diktaturerfahrung | |
der Ostdeutschen spiegle sich auf den Podien nicht in angemessener Weise | |
wider. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und das Bistum | |
Erfurt wiesen Ruges Kritik zurück. | |
Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr warf dem ehemaligen Vorsitzenden sogar | |
„vereinsschädigendes Verhalten“ vor. Schließlich bezeichnete Ruge den | |
Katholikentag in einem Interview mit dem Magazin Cicero sogar als eine „Art | |
Raumschiff“, das ohne Bezug zu den Menschen in Thüringen lande. Weniger als | |
fünf Prozent der Einwohner*innen Ostdeutschlands sind Mitglieder der | |
katholischen Kirche. In Thüringen waren es 2022 immerhin 7,2 Prozent. | |
Gleichzeitig existiert im Nordwesten des Bundeslands mit dem Eichsfeld eine | |
katholische Enklave, in der noch etwa 70 Prozent der Bevölkerung katholisch | |
ist. Ein Katholikentag in Erfurt ist demnach kaum mit einem in Freiburg, | |
Regensburg oder Stuttgart zu vergleichen. | |
Das Programm trug dem Rechnung: Neben einem großen Podium zum Thema „Wie | |
tickt der Westen? Wie tickt der Osten?“, das unter anderem von dem | |
ostdeutschen Soziologen Detlef Pollack bespielt wurde, stand immer wieder | |
das Schicksal verfolgter Christ*innen in der DDR im Fokus. Überdies | |
stellte sich der Katholikentag explizit in die ostdeutsche Tradition: | |
Bischof Neymeyr erwähnte schon in der Pressekonferenz zum Auftakt das | |
Friedensgebet in der Erfurter Lorenzkirche vom 7. Dezember 1978, mit dem | |
gegen die Einführung des Unterrichtsfachs „Wehrkunde“ protestiert wurde, | |
als Inspiration. Dieser Geste stand allerdings eine irritierende Spaltung | |
auf dem in der Stadt verteilten Gelände entgegen. Während sich Ostbistümer | |
wie Erfurt oder Berlin gemeinsam in der Erfurter Innenstadt gruppierten, | |
waren die westdeutschen Bistümer auf der Kirchenmeile am Domplatz | |
versammelt. | |
## Debatte um Recht auf Schwangerschaftsabbruch | |
Ein Podium sollte die Diskussion über die Abschaffung des Paragrafen 218 | |
weiterführen. Kornelia Schmidt, die Leiterin der Dresdner Beratungsstelle | |
des katholischen Vereins [2][donum vitae,] schilderte ihre Erfahrungen. | |
Sie möchte das Selbstbestimmungsrecht der Frauen wahren, stellt also auch | |
den Beratungsschein aus, der für einen Abbruch nötig ist. An der | |
verpflichtenden Beratung will sie aber festhalten, um Frauen einen Raum zur | |
Reflexion zu geben. Bundesfamilienministerin Lisa Paus und die | |
Verfassungsrechtlerin Laura Anna Klein plädierten dagegen für eine | |
Ausweitung „reproduktiver Freiheiten“. Auch nach einer Liberalisierung | |
könne die Konfliktberatung beibehalten werden, so Paus. Obwohl die Debatte | |
keinen Konsens hervorbrachte, zeigt sich der Katholikentag hier als ein | |
Raum, der Verständigung ermöglicht. | |
Währenddessen setzten radikale Abtreibungsgegner*innen auf | |
Konfrontation. Am Samstagnachmittag schlängelte sich ein spontaner „Marsch | |
für das Leben“ durch die Erfurter Innenstadt. Die mit Holzkreuzen und | |
kleinen Schildern bewaffneten Teilnehmer*innen forderten einen | |
„eindeutigen Einsatz für den Lebensschutz“. Auf der kleinen Veranstaltung | |
stach die sichtbare Beteiligung der rechtskatholischen Initiative Maria 1.0 | |
hervor. Clara Steinbrecher, Leiterin der Initiative, lief neben einer | |
großen Fahne der Organisation her und betete den Rosenkranz. Maria 1.0 | |
versteht sich selbst als romtreue Gegenbewegung zur Reformbewegung Maria | |
2.0 und fällt durch provozierende Postings in den sozialen Medien auf. | |
Zum Beispiel bezeichnete die Organisation eine künstlerische Performance | |
von Missbrauchsbetroffenen, die während der fünften Synodalversammlung des | |
Synodalen Wegs 2023 aufgeführt wurde, als „satanisch“. Darauf distanzierten | |
sich nicht nur der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz | |
(DBK), der Aachener Bischof Helmut Dieser, sondern auch der Passauer | |
Bischof Stefan Oster, der die sogenannte Lebensschutzbewegung in der | |
Vergangenheit immer wieder gelobt hatte. | |
Allerdings ist nicht klar, ob hinter Maria 1.0 eine nennenswerte Zahl von | |
aktiven Personen steht oder die Initiative nur einem kleinen Kreis um | |
Steinbrecher als Instrument zur Durchsetzung kirchenpolitischer Ziele | |
dient. Hinter Steinbrecher schlossen zwei Personen mit Fahnen von | |
Hans-Georg Maaßens Werteunion die Demonstration ab. Für PassantInnen war | |
nicht klar, dass es sich nicht um eine zum Katholikentag gehörende | |
Prozession handelte. Am Rande des Marsches sagte eine Vertreter*in der | |
Katholischen jungen Gemeinde (KjG) der taz, dass es nötig sei, „klare Kante | |
gegen die katholische Rechte“ zu zeigen. | |
Bischof Ulrich Neymeyr wies vor Eröffnung des Katholikentags darauf hin, | |
dass [3][keine AfD-Politiker*innen auf den Podien] vertreten sind: „Wir | |
haben die Erfahrung gemacht, dass mit den Vertretern der AfD kein | |
fruchtbares Gespräch möglich ist“, sagte Neymeyr. Allerdings stellt sich | |
die Frage, wie die Kirche mit Personen umgeht, die keine explizite | |
Verbindung zur AfD haben, aber ähnlich auftreten. Auch in diesen Fällen | |
müsste die Erklärung der deutschen Bischöfe zur Unvereinbarkeit von | |
völkischem Nationalismus und Christentum Anwendung finden, die im Februar | |
veröffentlicht wurde. Hierunter könnten einige traditionalistische | |
Vereinigungen oder politischen Verbände fallen, die momentan noch innerhalb | |
der katholischen Kirche tätig sind. | |
## Positives Fazit abseits der Querelen | |
Abseits dieser Querelen zogen die Veranstalter*innen ein positives | |
Fazit. Der Katholikentag habe die „Erwartungen bereits übertroffen“, sagte | |
ZdK-Vizepräsident Thomas Söding in einer Pressekonferenz am Samstag. Die | |
Erfahrungen in Erfurt mahnten die katholische Kirche dazu, „ihre eigenen | |
Hausaufgaben zu machen“ und zum Beispiel das Reformprojekt Synodaler Weg | |
weiterzutreiben. | |
Aus Rom kommt dafür wenig Rückenwind. Papst Franziskus drückte in seiner | |
Botschaft zur Eröffnung des Katholikentags zwar seine Wertschätzung für den | |
Katholikentag als „Ort des ökumenischen Miteinanders und des | |
interreligiösen Dialogs“ aus. Der Apostolische Nuntius Nikola Eterović | |
bekräftigte aber in einem Interview mit der rechtskatholischen Tagespost, | |
dass die Sehnsucht nach weiteren Reformen wie der Zulassung von Frauen zum | |
Diakonat oder Priestertum verfehlt sei. Ohne Glaube würden sie nichts | |
bewirken. Vielen Besucher*innen des Katholikentags oder gar säkularen | |
Ohren dürfte eine solche Position schwer zu vermitteln sein. | |
2 Jun 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Louis Berger | |
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