| # taz.de -- Geruchserlebnisse im Zugabteil: So raumgreifend wie Musik | |
| > Wir saßen im behaglichen Sechserabteil und schlummerten. Dann kamen die | |
| > Schäferhunde, danach der starke Raucher. An Schlaf war nicht mehr zu | |
| > denken. | |
| Bild: Riechen und gerochen werden: Im Zugabteil können Hunde kräftige Ausdün… | |
| Ein Sechser-Abteil mit zwei schlafenden Frauen. Eine lehnt ihren Kopf an | |
| das Fenster, die andere schräg gegenüber an die Gangtür. Beide sind jung | |
| und sehen aus, als würden sie sehr tief schlafen. So wie Kinder schlafen. | |
| Schwer und hingebungsvoll. | |
| Die Atmosphäre im Abteil hat etwas Behagliches. Es ist warm und ruhig, ich | |
| fühle mich sicher und geborgen, umhüllt vom Schlaf der Frauen. Kurz darauf | |
| schlummere ich auch ein. Keine von uns kennt sich. Wir schlafen jede für | |
| uns in unserer Welt, während die Landschaft an uns vorbeirauscht. | |
| Als ich aufwache, fühle ich, dass ich etwas geträumt habe, an das ich mich | |
| nicht mehr erinnern kann. Die Abteiltür geht auf. Die zwei anderen Frauen | |
| wachen auch auf. Ein Mann in Zimmermannshose mit zwei großen schwarzen | |
| Schäferhunden steht im Türrahmen. Fast ist es wie in einem Traum, wie die | |
| schwarzen Hunde uns anblicken: „Ist es für euch okay, wenn ich mit den | |
| Hunden dazukomme?“ | |
| Wir nicken. Der Mann setzt sich auf den Platz an der Tür, die Hunde sinken | |
| neben ihn und füllen den ganzen Abteilboden aus. Sofort breitet sich ein | |
| Geruch von nassem Hund aus. Ein intensiver Duft, der sich wie eine Decke | |
| über alles legt. Als der Mann die Abteiltür wieder zumachen will, sage ich | |
| schnell: „Lass ruhig ein bisschen Luft durchziehen.“ | |
| ## Eine Hose voller Hundehaare | |
| So sitzen wir zusammen im Geruch der Hunde. Als der Mann aufsteht und aus | |
| dem Abteil Richtung Bordrestaurant geht, steht einer der beiden [1][Hunde] | |
| auf und sieht ihm starr im Gang hinterher, ohne ihm nachzulaufen. Er | |
| scheint genau zu wissen, was er darf. Die Hunde sind nun ohne Herrchen. Ein | |
| anderer Fahrgast drückt sich respektvoll an dem Hund im Gang vorbei. | |
| Als der Mann mit einem großen Kaffee zurückkommt, wedelt der Hund mit dem | |
| Schwanz. Der Mann greift in das Fell des Hundes und krault ihn mit | |
| kräftigen Händen: „Sie ist so. Sie ist immer ganz wachsam, wenn ich | |
| weggehe“, sagt er. Seine Zimmermannshose ist voller Hundehaare. Die Hunde | |
| scheinen sehr eng mit ihm zu leben. | |
| Keine von uns schläft nun wieder ein. Dazu riechen die Hunde vielleicht zu | |
| stark. Der Geruch ist fast so deutlich, als ob [2][Musik] spielen würde. | |
| Doch auch mit den Hunden im Abteil ist die Atmosphäre friedlich. | |
| Schließlich steigt der Mann mit den Hunden aus. Eine Weile noch hängt der | |
| Geruch wie ein Zitat im Raum. Dann verflüchtigt er sich. | |
| An der nächsten Station steht eine Zugbegleiterin in der Tür. Sie will | |
| wissen, ob bei uns noch Platz für einen Mann wäre. In der Art, wie sie für | |
| ihn fragt, erwarte ich nun einen Jungen oder einen hilflosen Menschen. | |
| Als wir bestätigen, nickt sie den Gang hinunter. Ein kräftiger Mann steigt | |
| zu uns. Auch er macht die Schiebetür hinter sich zu. Als er sich hinsetzt, | |
| verändert sich sofort die Energie im Raum. Ein Geruch von Rauch breitet | |
| sich aus. Der Mann scheint gerade auf dem Bahnsteig geraucht zu haben. Und | |
| er scheint auch sonst ein starker Raucher zu sein. Der Rauch weht um ihn, | |
| er dünstet ihn aus. | |
| Der Geruch hat etwas Festes, Kompaktes. Er bestimmt den Raum. Als würden | |
| die Duftmoleküle die Luft im Abteil zusammenpressen. Der Mann bewegt sich | |
| höflich und leise. Doch [3][sein Geruch hat etwas Übergriffiges]. Manchmal | |
| ist der Geruch von Menschen wie ein Schrei. Ein Signal, wer sie sind, was | |
| sie tun, lieben oder vernachlässigen. | |
| Im Nachhinein erscheint es mir richtig, dass die Zugbegleiterin extra für | |
| den Mann gefragt hat, ob er dazusteigen könne, auch wenn ihr der Rauch | |
| vielleicht gar nicht bewusst war. Unvorstellbar wäre es, in diesem Raum | |
| wieder einzuschlafen. | |
| Ich blicke auf die beiden Frauen. Der [4][Geruch] scheint sie nicht zu | |
| stören oder sie zeigen es nicht. So sitzen wir zusammen. Fast ist es, als | |
| würde nun ein drittes Kapitel der Fahrt beginnen. Wir sind nicht mehr | |
| verbunden im Schlaf. Und im Geruch des Hundes. Nun sind wir vereint im | |
| Rauch. | |
| 25 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christa Pfafferott | |
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