# taz.de -- Zauber-Historiker über zaubernde Frauen: „Eine wertvolle Traditi… | |
> Frauen haben immer schon gezaubert, sagt Wittus Witt, selbst | |
> Zauberkünstler und Museumsgründer. Zum Beleg gibt es nun eine Gala und | |
> eine Ausstellung. | |
Bild: Verblüffte auch schon amerikanisches TV-Publikum: Die Hamburger Zauberk�… | |
taz: Wittus Witt, wie kommt Ihr „Hamburger Zaubermuseum Bellachini“ zu | |
seinem Namen? | |
Wittus Witt: Bellachini war der berühmteste Zauberer im 19. Jahrhundert, | |
1827 bis 1885 hat er gelebt, Samuel Berlach hieß er eigentlich. Er wurde so | |
berühmt, dass sich nach meinen Forschungen mindestens 30 weitere Zauberer | |
„Bellachini“ genannt haben. Tatsächlich hat er eine Marke geschaffen. | |
[1][Ich bin nun sozusagen der letzte Bellachini]: So heißt [2][mein | |
Museum], weil ich dafür einfach einen schönen Namen wollte und es ein | |
kulturhistorisches Museum ist. | |
Was stellen Sie hier aus? | |
Die Tour fängt hier an mit einer Darstellung der frühesten Taschenspieler, | |
entstanden Ende des 19. Jahrhunderts: Die standen auf Straßen und Märkten, | |
hatten immer eine große Tasche um die Hüfte, aus der heraus sie die | |
Requisiten nahmen, und das Becherspiel zeigten – nicht zu verwechseln mit | |
dem Hütchenspiel, bei dem ihnen das Geld aus der Tasche gezogen werden | |
soll! Es ist wohl das berühmteste Zauberkunststück, noch heute. Denn darin | |
zeigen sich die drei wesentlichen Prinzipien eines Zaubertricks: | |
Erscheinen, Verschwinden, Verwandeln. So, und auf dieser frühen Grafik hier | |
sehen wir schon eine zaubernde Frau … | |
… das Thema Ihrer neuen Ausstellung. | |
Weiter geht es mit der Darstellung der Zauberkunst in Printmedien, also | |
Bücher von 1750 an. Da ging es nicht unbedingt ums How-to-do, sondern das | |
waren vielfach noch physikalische Spielereien: Wie kann ich heiße Kohle auf | |
der Hand tragen, solche Sachen. | |
Gibt es eine Hochphase, was die Publikationen angeht? | |
Das ist kontinuierlich so geblieben. Durch die neuen Medien, den digitalen | |
Druck erscheint sogar fast täglich irgendwo auf der Welt ein Buch. | |
Interessant. Ich hätte mir vorstellen können, dass sich das verlagert hat | |
hin zu Videoclips im Netz. | |
Was sich verlagert hat, ist das Kommerzielle, die ganze Händler-Szene, wo | |
früher die Tricks verkauft wurden. Hier in Hamburg gab es ein sehr | |
bedeutendes Zaubergeschäft, [3][Bartl am Neuen Jungfernstieg]. Und diese | |
Geschäfte sind durch das Internet in der Tat plattgemacht worden. Die | |
Zauberei ist ja die einzige Kunst, die man nicht alleine ausüben kann: Wenn | |
ich alleine zaubere, und bei mir verschwindet etwas, das ist nicht | |
spannend, denn ich weiß ja immer: Es ist noch da. Sie können alleine | |
fotografieren, alleine Artikel schreiben – aber alleine zaubern, das | |
funktioniert nicht. Das ist mir wichtig: zu zeigen, dass die Zauberkunst | |
eine Tradition hat, eine wertvolle Tradition. Dabei wird sie schnell als | |
Kindergeburtstags-Animation abgetan – aber kaum jemand weiß, wie toll die | |
Zauberkunst auch von ihrer Geschichte her ist. | |
Mit der kommenden Ausstellung – und einer Gala mit drei Künstlerinnen – | |
widmen Sie sich zaubernden Frauen. | |
Das ging mir schon lange durch den Kopf. Ich gebe seit über 20 Jahren eine | |
Zeitschrift heraus, für Zauberer: [4][die Magische Welt]. Die ist 1952 | |
gegründet worden, und in den ersten 50 Jahrgängen wurde darin eine einzige | |
Frau vorgestellt. Da habe ich gesagt: Das muss sich ändern. Dass es tolle | |
Frauen gibt, wusste ich. Ich habe dann aber recherchiert und vieles | |
entdeckt, das noch nicht so bekannt war. Ich habe auch eine richtige | |
empirische Untersuchung mit den Kollegen gemacht. | |
Wie denn das? | |
Wir haben 120 Fragebögen verschickt, und fast die Hälfte hat geantwortet. | |
Frauen, die gezaubert haben, hat es tatsächlich immer schon gegeben. Nur | |
waren die Männer dominierend, wie in den anderen Bereichen auch. Von daher | |
ist das für mich eine ganz tolle Geschichte, jetzt die Frauen in der | |
Zauberkunst zu würdigen. Es gibt dazu einen schönen Katalog, ich hab eine, | |
sie sagt selbst: „Spätfeministin“ kennengelernt, [5][Natascha Würzbach], | |
Literaturwissenschaftlerin, die wollte unbedingt das Vorwort schreiben. | |
weil das auch dann natürlich ihr Anliegen war, und das ist also eine große | |
Sache. | |
Und noch vor der Vernissage veranstalten Sie nun eine Gala mit drei | |
zaubernden Frauen. | |
Ich hab eine Zauberkünstlerin eingeladen, die ich vor 20 Jahren in Amerika | |
kennengelernt habe, [6][Belinda Sinclair]. Die kommt zum ersten Mal | |
überhaupt nach Deutschland. Sie gibt dann auch gleich noch ein paar Mal ihr | |
Solo-Programm „Parlour Magic“. | |
Ein Programm nur mit Frauen, das ist die Ausnahme? | |
Ja, genau. | |
Wenn eine Frau dann zaubert, sieht sie sich regelmäßig auf ihre Optik | |
reduziert, muss bestimmten Schönheitsvorstellungen entsprechen, sich sexy | |
kleiden auf der Bühne … die Männer dagegen können aussehen, wie sie wollen… | |
Das Geleitwort für den Katalog hat mir auch eine Zauberin geschrieben, | |
Michelle Spillner … | |
… die nun auch auftrìtt. | |
Sie schreibt: Bei einem Mann kümmert man sich doch nicht darum. Schauen Sie | |
sich Schauspieler an: Für Orson Welles war sein Wanst kein Problem, beim | |
Tatort aus Münster hat der Kommissar auch keine Model-Qualitäten … Wissen | |
Sie, Frauen gehen viel künstlerischer an die Zauberei heran als Männer. | |
Wenn Frauen über eine Darbietung nachdenken, fragen sie sich: Was kann ich | |
für ein Bild zeigen? Was kann ich für eine Atmosphäre schaffen? Der Mann | |
dagegen denkt viel mehr an seine Technik, an das Tricktechnische und | |
versucht daraus eine Nummer zu machen. | |
Wer schon Männer hat zaubern sehen, würde nun also Unterschiede bemerken? | |
Ja! | |
Wie ist das mit dem Repertoire: Gibt es eine Art Pool mit Tricks, aus dem | |
sich dann im Prinzip alle bedienen? | |
Das ist wie mit der Musik: Es gibt zwölf Grundtöne, mit denen spielt jeder, | |
aber wie die genau zusammengestellt werden … | |
… da kann man Stockhausen werden oder Beethoven … | |
Genau. | |
Würden Sie sich dazu hinreißen lassen, eine Einschätzung abzugeben: Wie | |
verhält sich das mit den Geschlechtern heute bei Zaubernden? | |
Das kann ich sogar ziemlich genau sagen: [7][etwa ein Drittel Frauen zu | |
zwei Dritteln Männer]. | |
Und im Publikum? | |
Das hat sich in letzter Zeit geändert, aber es sind heute ungefähr 50 zu | |
50. | |
So wie in der Bevölkerung insgesamt also auch. Gibt es das typische | |
Publikum? | |
So wie bei jedem Theaterstück: Das eine reizt den einen mehr, das andere | |
weniger. Ich habe hier ein ganz junges Publikum, ich habe älteres, auch | |
Kinder. Seit zwölf Jahren kuratiere ich Zaubernächte, und ich habe gemerkt: | |
Zauberpublikum ist nicht automatisch Theaterpublikum. Das ist ein wenig | |
wie: Ich gucke mir nur Komödien an, gehe nicht in Tragödien. Oder: Ich mag | |
kein Musical, sondern sehe lieber eine Oper. | |
1 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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