Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Alterswerk der Pet Shop Boys: Schon immer da
> Falten, Glatze, Pop: Die Pet Shop Boys und ihr Alterswerk „Nonetheless“,
> mit Songs über abstrakte Sehnsucht und unerfüllte Leidenschaft.
Bild: Stellen ihr Spätwerk vor: Die Pet Shop Boys
„Kunst will das, was noch nicht war, doch alles, was sie ist, war schon“,
hat der Philosoph Theodor W. Adorno einst geschrieben. Und sein Aphorismus
trifft noch immer ziemlich gut auf das zu, was das Spätwerk der Pet Shop
Boys (PSB) darstellt. Wahrhaftige Kunst ist das, was sie zwar bereits seit
Anfang der 1980er auf musikalischer, textlicher und visueller Ebene
produzieren, in jedem Fall, auch wenn ihr leichtgängiger Sound früher
bisweilen als Fahrstuhlmusik diskreditiert wurde.
Nun erscheint mit „Nonetheless“ ein neues, ihr sage und schreibe 15. Album,
mit dem sie zum früheren Majorlabel Parlophone zurückgekehrt sind. Kinder,
wie die Zeit vergeht! Die Veröfentlichung ihrer Debütsingle „West End
Girls“ liegt mittlerweile 40 Jahre zurück. Viele ihrer alten
Kolleg:Innen hat es längst zerlegt. Nicht so das britische Duo Neil
Tennant und Chris Lowe, die beide ihren Dienst im Popgeschäft souverän und
aber auch korrekt, fast ein bisschen so wie Beamte auf Lebenszeit erfüllen.
Für die Pet Shop Boys gilt mittlerweile keine Trennung zwischen E- und
U-Kultur mehr. Zumindest in Großbritannien, in ihrer Heimat wurden ihnen
bereits Ausstellungen gewidmet. Von Studierenden werden sie mittlerweile in
Seminaren und Doktorarbeiten analysiert.
Bezeichnend dafür ist, dass sie im Juli auch an fünf Abenden im
renommierten Londoner „Royal Opera House“ auftreten. Alle fünf Konzerte
waren im Nu ausverkauft, obwohl das Duo dort schon seit einigen Jahren
regelmäßig konzertiert. Das Publikum dreht zu diesen Anlässen verlässlich
durch. Eine Popband in einem deutschen Opernhaus? Eher unwahrscheinlich.
## Grandseigneur des britischen Pop
Neil Tennant wird im Juli 70 und ist ohne große Pose oder Getue Elder
Statesman und Grandseigneur des britischen Pop. „Es gibt keine
Altersdiskriminierung im Pop mehr“, äußerte er kürzlich im Guardian. Denn:
„Das Alter scheint keine Rolle mehr zu spielen, weil die Musik nicht
gealtert zu sein scheint.“
Tennant und sein Partner Chris Lowe waren von jeher alterslose Wesen, was
durch eine raffinierte Imagestrategie mit den versiertesten Grafikdesignern
eisern durchexerziert wird. Ähnlich wie man das vielleicht von Kraftwerks
Robotern kennt. Sei’s drum, dass die beiden mittlerweile ihre Haare offen
tragen und zusätzlich ein paar Falten. Wird das Ganze eben mit Photoshop
für die Promofotos entsprechend aufgehübscht.
Auf dem Cover von „Nonetheless“ tragen beide schwarze Jacketts, schwarze
Krawatten und weiße Handschuhe. Die größte Sensation ist vermutlich, dass
der notorisch mysteriöse Chris Lowe diesmal auf eine Kopfbedeckung
verzichtet!
Das passt irgendwie zur weitgehend unaufgeregten Bandgeschichte: Nie
nervten Pet Shop Boys mit Homestories, Liebeswirrwarr, und sie gehen auch
nicht mit ihrem exzellenten Kunstgeschmack hausieren. Sie machen einfach
ihr Ding. Seit Jahren touren sie äußerst erfolgreich mit der „Dreamworld:
The Greatest Hits Live“-Tour, die vermutlich schon in jeder großen Stadt
der Welt zu sehen war.
## Bekannter Sound, keine Experimente
Musikalisch kann „Nonetheless“ nicht an die Einzigartigkeit von „Super“
anknüpfen, dem letzten richtig guten Album (2016). Der Sound ist bekannt,
keine Experimente, es bleibt bei eingängigem Pop. Am ehesten klingt der
Geist von Meisterwerken wie „Behaviour“ noch in dem Song „Bullet for
Narcissus“ durch, einem melancholischen Lied über das, wovon die meisten
Songs auf dem Album handeln, nämlich von abstrakter Sehnsucht und
unerfüllter Leidenschaft, was stets das Schlüsselthema der PSB war.
Der Albumtitel, übersetzt „trotz alledem“ oder „nichtsdestotrotz“, ist
übrigens weder als Kampfansage noch als Wutbürger-Manifest gemeint, sondern
er steht einfach als Worthülse für: gar nichts. Höchstens dies,
Ein-Wort-Albumtitel haben bei der Londoner Band Tradition; in sie lässt
sich nichts, aber auch rein gar nichts reingeheimnissen. Pop als pure
Oberfläche, das ist allenfalls die Aussage.
Die erste Single „Loneliness“ dümpelt ein wenig unmotiviert dahin, klingt
dennoch sehr catchy und setzt sich mit Corona und den Auswirkungen auf
ältere Menschen auseinander: „Wherever you go / You take yourself with you
/ There’s nowhere you can hide from the loneliness / That’s haunting your
life / The sense of wounded pride / Everybody needs time to think / Nobody
can live without love.“
## Alterswerk eines routinierten Duos
Einen instant classic wie aus der „imperialen“ Phase in den 1980er Jahren,
die später noch auf dem [1][besten Album seit 2000, „Yes“], durchschimmert,
sucht man auf „Nonetheless“ vergeblich, aber das ist gar nicht der Punkt.
Die Musik klingt exakt so, wie man sich das gelassene Alterswerk eines
routinierten Duos vorstellt, das sich nichts mehr beweisen muss, auch wenn
das selbst wie ein Klischee klingt.
Doch wer Neil Tennant und Chris Lowe einmal getroffen hat, weiß, dass sie
tatsächlich die britische Tongue-in-cheek-Attitüde leben. Sie waren einfach
schon immer da, und ob das, was sie veröffentlichen, im Gesamtwerk auf der
oberen oder unteren Skala rangiert, ist letztlich egal, weil ihre
Reputation sowieso safe ist und kommerzieller Erfolg für die Band keine
Relevanz mehr hat.
Letzthin las man, dass [2][Tennant in Berlin, der Stadt, die die beiden zum
Zweitwohnsitz auserkoren haben], mit der U5 zur Samariterstraße nach
Friedrichshain fuhr, anschließend über die Frankfurter Allee spazierte, um
dort in der kleinen Galerie von Jan Linkersdorff die Kunstwerke des
DDR-Malers Jürgen Wittdorf zu bestaunen. Von ihnen besitzt der Brite als
passionierter Kunstsammler und enger Freund des Fotografen Wolfgang Tilmans
einige. Dass ihn jemand erkannt habe, glaubt man kaum.
## Glühwein, Wurst and Sauerkraut
Ihre Affinität zu Deutschland merkt man ebenfalls im Song „The Schlager Hit
Parade“. Textlich ist das nicht direkt Tennants beste Leistung, aber
dennoch ganz ulkig: „If you think you’re going down in hazel / Black and
brown / You need some happy music / When winter comes around / Glühwein,
Wurst and Sauerkraut / Sun and sangria.“ Ein prototypischer Song, der
sowohl im alkoholgeschwängerten Umfeld einer Dorfdisco als auch an einem
Partystrand funktioniert und sogar in akademischen Zirkeln als nonchalante
Gesellschaftsbeobachtung diskutiert werden kann.
„Nonetheless“ beweist, das Spiel zwischen Ernst und Ironie beherrschen die
Pet Shop Boys immer noch perfekt.
3 May 2024
## LINKS
[1] /Neue-Pet-Shop-Boys-Platte/!5165589
[2] /Neues-Pet-Shop-Boys-Album-Hotspot/!5659101
## AUTOREN
Annette Walter
## TAGS
wochentaz
Pet Shop Boys
Neues Album
Popmusik
Leidenschaft
Musik
London
Pet Shop Boys
Pet Shop Boys
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von Double Deüce: Warmer Schinken und Eis am Stil
Das erste offiziell gemeinsame Album von Toby Goodshank und Angela Carlucci
hat Humor. Seine wärmende Botschaft: The kids are alright.
Serie „It’s A Sin“: Immer mit Lust
Die Serie „It’s A Sin“ auf ZDFneo erzählt die schwulen 80er-Jahre in
London. Glänzend, glamourös, sexy – und vor allem stets nah an der
Wahrheit.
Neues Pet Shop Boys-Album „Hotspot“: Tiefgründig ist nicht nur der Bass
Sie sind Superheroes und Superqueeros. Das britische Popduo Pet Shop Boys
kehrt mit seinem teils in Berlin entstandenen Album „Hotspot“ zurück.
Pet Shop Boys über Berlin: Von Suburbia nach Hotspot
Grooven que(e)r durch die Stadt: Die britischen Popveteranen machen ihr
neues Album „Hotspot“ zur Hommage an Berlin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.