# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Die Lächerlichkeit der Repression | |
> Der deutsche Umgang mit Palästinasolidarität verteidigt vor allem das | |
> nationale Ehrgefühl. Es gilt, gegen die Erosion des Rechtsstaats zu | |
> kämpfen. | |
Bild: Die deutsche Staatsräson hat schlagkräftige Argumente | |
Wenn ein Staat autoritär agiert, bedeutet das für Betroffene erst einmal | |
Einschüchterung, Zensur und Gewalt. Nichts daran ist lustig. Und doch hat | |
das autoritäre Gehabe immer auch etwas Komisches, Lächerliches. Zum | |
Beispiel, wenn ein Staat sich auf eine bestimmte Sichtweise verkrampft hat. | |
Polizist:innen setzen dann die abstrusesten Verbote mit immer | |
lächerlicheren Mitteln durch. Der Staat wird paranoid, schlägt um sich und | |
fällt dabei auf die Nase wie ein Clown, der im Zirkus von einem | |
Missgeschick ins nächste tappt. | |
Ironischerweise beschwört die Staatsmacht dabei die verbotene Sichtweise | |
umso mehr, je mehr sie sie unterdrückt. Es hätte wohl kaum jemand | |
mitbekommen, was ein paar Linke auf dem Palästina-Kongress besprechen, | |
hätte der Staat die Sache einfach laufen lassen. Aber dazu war er nicht | |
mehr in der Lage. Denn Deutschland hat die unbeschränkte Solidarität mit | |
Israel zur Staatsräson erklärt. Wer die blutigen Konsequenzen dieser | |
Entscheidung kritisiert, beschmutzt deshalb das patriotische Ehrgefühl – | |
weshalb mit geballter Staatsmacht dagegen vorgegangen werden muss. | |
Nun könnte man sagen, der Kampf gegen Antisemitismus als Staatsräson, das | |
ist doch eine gute Sache. Man darf aber skeptisch sein, ob es wirklich vor | |
allem um Antisemitismus geht. Ginge es um Antisemitismus, hätte die Polizei | |
wohl auch die Stromzufuhr zu dem TV-Duell gekappt, wo der Möchtegern-Führer | |
der deutschen Faschisten gerade seine Propaganda verbreitete. Aber Höcke | |
durfte reden, anders als die Angehörigen und Unterstützer:innen | |
derjenigen, die in Gaza auch mit deutschen Waffen ermordet werden. Offenbar | |
verstößt Palästinasolidarität mehr gegen die Staatsräson als Faschismus. | |
Das heißt nicht, dass man nicht über Antisemitismus und die [1][politische | |
Nähe einiger Teilnehmer:innen zu Islamist:innen] sprechen müsste. | |
Doch verhindert ausgerechnet die Instrumentalisierung dieses Kampfes durch | |
die Iris Sprangers und Nancy Faesers dieser Welt, vernünftig darüber zu | |
reden. Der notwendige Kampf wird völlig ausgehöhlt, wenn damit plötzlich | |
gemeint wird, mit klar unrechtsstaatlichen Mitteln grundsätzlich gegen | |
Palästinasolidarität vorzugehen und Waffen an eine rechtsextreme Regierung | |
zu liefern, die offensichtlich Kriegsverbrechen begeht. | |
## Empathie für die Unschuldigen | |
Ein erster Schritt aus dieser Misere könnte es sein, sich die Gewalt zu | |
vergegenwärtigen, in der die Palästinenser:innen leben. Hinzugucken, | |
wenn Menschen erschossen, zerbombt und ausgehungert werden – und die | |
deutsche Mitschuld an diesen Verbrechen anzuerkennen. Und auch | |
anzuerkennen, dass Angehörige grundsätzlich ein Recht auf emotionale und | |
laute Anklage haben. So ließe sich vielleicht aus der Verkopftheit der | |
deutschen Debatte heraustreten, in der Vorwürfe wie Völkermord von | |
vorneherein verworfen werden, ohne sich überhaupt mit den Fakten zu | |
befassen. | |
Dafür müssen die Palästinenser:innen zunächst aus einer Statistik zu | |
realen Menschen werden. Helfen kann dabei zum Beispiel die | |
Spoken-Word-Kunst von Faten El-Dabbas. Die Künstlerin tritt in der | |
Maigalerie der Zeitung Junge Welt auf, um unter dem Titel | |
[2][„Lebens(T)räume – Zwischen Gaza und Berlin“] für mehr Empathie, | |
Humanität und Gerechtigkeit werben. Der Eintritt beträgt 10 Euro (ermäßigt | |
5 Euro). Um Anmeldung [3][per E-Mail] wird gebeten (Donnerstag, 18. 4., | |
Torstr. 6, 18 Uhr). | |
Anschließend gilt es, den Kampf gegen deutsche Waffenlieferungen in die | |
Krisenherde dieser Welt aufzunehmen. Denn mit deutschen Waffen wird nicht | |
nur in Gaza gemordet. Auch die Türkei hat sich jahrelang mit deutschen | |
Waffen eingedeckt – obwohl Erdoğan immer wieder völkerrechtswidrig die | |
kurdischen Gebiete in Rojava bombardiert. Ein [4][Vortrag mit Diskussion] | |
des [5][Netzwerks Defend Kurdistan] und der [6][Internationalistischen | |
Jugendkommune Berlin] befasst sich näher mit der Rolle Deutschlands in | |
diesem Krieg (Donnerstag, 18. 4., Jugendkulturzentrum Königstadt, | |
Saarbrücker Str. 24, 18 Uhr). | |
## Abgesänge auf die Szene | |
Notwendig, um in der linken Szene dieser Tage nicht wahnsinnig zu werden, | |
ist sicherlich auch eine gute Portion Humor. Eine Möglichkeit, Dampf | |
abzulassen, bietet der Lesungsabend [7][„Publikumsbeschimpfungen – | |
Abgesänge auf die Szene“]. In einem wilden Mix aus Texten der | |
Punk-Geschichte wird sich wohl längst nicht nur über die Nahostpositionen | |
der Szene (welche Szene?) ausgelassen werden (Donnerstag, 18. 4., | |
Regenbogencafé, Lausitzer Str. 22, 19 Uhr). | |
Ein Beispiel für eine Bewegung, die sich unnötig über den Nahostkonflikt | |
zerfetzt hat, ist die Klimabewegung. So ruft Fridays for Future Deutschland | |
wegen Streit in der Palästinafrage nicht zum internationalen Klimastreiktag | |
an diesem Freitag (19. 4.) auf. Protestieren wollen aber die [8][BIPoCs for | |
Future], die der Dachbewegung schon länger Rassismus und eurozentristische | |
Perspektiven vorwerfen. Los geht es am Freitag (19. 4.) um 13 Uhr im | |
Invalidenpark. | |
Im Übrigen bröckelt die deutsche Rechtsstaatlichkeit nicht erst seit | |
vergangenem Wochenende. Die Rechte von Geflüchteten werden seit Jahren | |
abgewickelt, mit der europäischen GEAS-Reform hat die selbsternannte | |
Fortschrittskoalition das Individualrecht auf Asyl mitbeerdigt. Umso | |
dringender brauchen Geflüchtete Support. Die [9][Initiative Balkanbrücke] | |
lädt zu Soli-Crêpes und Drinks, um [10][eine Reihe von Projekten] entlang | |
dieser Route zu finanzieren. Die Nothilfe für Geflüchtete [11][Wir packen's | |
an] ist auch am Start und bittet um Sachspenden – eine Liste gebrauchter | |
Dinge [12][findet sich hier] (Freitag, 19. 4., Wagenplatz Lohmühle, | |
Lohmühlenstraße 17, ab 18 Uhr). | |
Die Erosion des Rechtsstaates wird aber auch im Inneren vorangetrieben. | |
Politiker:innen werfen zum Beispiel gerne mit dem Begriff der | |
„Clankriminalität“ um sich, obwohl dieser denkbar vage definiert ist. Sie | |
schüren damit Ängste, um ihre rassistische Politik voranzutreiben. So | |
forderte etwa Innenministerin Nancy Faeser kürzlich die Abschiebungen | |
angeblicher Clanangehöriger, selbst wenn sie für gar keine Straftaten | |
verurteilt wurden. [13][In der B-Lage] lesen [14][Mohammed Chahrour] und | |
Janine Schulz aus dem Buch „Generalverdacht“, anschließend gibt es eine | |
Diskussion (Mittwoch, 17. 4., Mareschstr. 1, 19:30 Uhr). | |
17 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Palaestina-Kongress-in-Berlin/!5997635 | |
[2] https://stressfaktor.squat.net/node/304986 | |
[3] /[email protected] | |
[4] https://asanb.noblogs.org/?event=deutsche-waffen-deutsches-geld | |
[5] https://www.instagram.com/defendkurdistandeutschland/ | |
[6] https://www.instagram.com/jugendkommune.berlin/ | |
[7] https://stressfaktor.squat.net/node/304814 | |
[8] https://www.instagram.com/bipocforfuture.de/ | |
[9] https://balkanbruecke.org/ueber-uns/ | |
[10] https://balkanbruecke.org/spendenprojekte/ | |
[11] https://wir-packens-an.info/ | |
[12] https://wir-packens-an.info/sammelaktion/ | |
[13] https://b-lage.de/events/lesung-generalverdacht-wie-mit-dem-mythos-clankri… | |
[14] /Was-ist-Clankriminalitaet/!5972037 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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