| # taz.de -- Als Flüchtling in Gaza: „Jeden Tag wächst die Ungewissheit“ | |
| > Die Lehrerin Hend Al Qataa schreibt über ihr Leben in Zawaida im | |
| > mittleren Gazastreifen. Sie kämpft darum, ausreisen zu können. | |
| Bild: Ein durch das israelische Militär zerstörtes Haus in Zawaida im Gazastr… | |
| Hend Al Qataa, 32, ist als Lehrerin für das UN-Hilfswerk für | |
| Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) tätig. Nach Beginn des Krieges | |
| lebte sie in Zawaida im mittleren Gazastreifen. Kurz nachdem sie uns diese | |
| Erfahrungen von der Flucht in den Süden schilderte, konnte sie nach Kairo | |
| ausreisen. | |
| Am Morgen des 13. Oktobers machte ich mich mit meiner Familie auf den Weg | |
| in den Süden des Gazastreifens, ohne zu wissen, wohin genau wir fahren | |
| würden. Ursprünglich wollten wir nach Rafah zu einem Freund, aber meine | |
| Schwester bestand darauf, zum Haus ihrer Schwiegerfamilie in Zawaida zu | |
| fahren. | |
| Wir zogen mit nichts als unseren wichtigsten Dokumenten und etwas Geld in | |
| eine Wohnung mit 22 Personen, darunter meine Eltern, Geschwister und die | |
| Familie meiner Tante. | |
| ## Von allem zu wenig | |
| Der Aufbau eines neuen Lebens erwies sich als mühselig. Zunächst gelang es | |
| uns nur, das Nötigste zu besorgen, Mehl, Zucker, Snacks und Konserven, | |
| bevor die Märkte fast leer gekauft waren. Die gesamte Zeit waren wir mit | |
| Mangel konfrontiert – Lebensmittel, Wasser, Gas, Treibstoff, Strom, | |
| Internet, von allem gab es zu wenig, und die Preise für alles, was | |
| verfügbar war, waren unangemessen hoch. | |
| Wir versuchten, irgendwie unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen, allein | |
| dafür haben wir seit Beginn des Konflikts den größten Teil unserer | |
| Ersparnisse ausgegeben. Ein menschenwürdiges Leben aber ist so kaum | |
| möglich. | |
| „Halte immer einen Koffer mit den wichtigsten Dokumenten bereit“, diese | |
| Lektion wurde uns immer gelehrt. Man sollte die Dokumente immer mitnehmen, | |
| wenn man in Kriegszeiten das Zuhause verlässt, um sich dank ihrer in | |
| Sicherheit bringen zu können. | |
| Aber was hat uns dieser Koffer gebracht? Nichts! Denn wir haben so viel | |
| verloren – unser früheres Leben im Norden, unser luxuriöses Haus, unser | |
| Vermögen, unsere Geschäfte und Autos, unseren Alltag. Der Koffer ist uns | |
| geblieben, aber die Dokumente erzählen nur von unserer ungewissen Zukunft. | |
| Alles zurückzulassen und doch noch am Leben zu sein: das fühlt sich an, als | |
| gehe man dem Tod entgegen. | |
| Wir hoffen auf ein Ende unseres Leidens, doch werden die Angst und die | |
| Ungewissheit mit jedem Tag größer, vor allem, was unsere Kinder betrifft. | |
| Seitdem der Krieg begonnen hat, sind die Schulen geschlossen. Unterricht | |
| findet nicht statt – was wird aus ihnen? Die ständige Gefahr macht ihnen | |
| Angst, einfachste Freuden sind ihnen verwehrt. | |
| ## „Meditation hilft mir“ | |
| Spielen, draußen sein – das trauen sie sich nicht. Alles, wonach sich | |
| unsere Kinder sehnen, ist die Rückkehr zur Normalität. Da sich unsere Lage | |
| immer mehr zuspitzt und es an Lebensmitteln fehlt, ist das Verlassen des | |
| Gazastreifens unsere letzte Hoffnung, wenn wir überleben wollen. | |
| Am 23. Februar verspürte ich dann den plötzlichen Drang, eine | |
| vorübergehende Zuflucht außerhalb des Gazastreifens zu suchen, und wurde | |
| aktiv. Die Mittel für eine sichere Ausreise zu beschaffen, ist aber eine | |
| gewaltige Aufgabe. Ich könnte zwar allein gehen, aber ich würde meine | |
| Familie in dieser schlimmen Situation niemals hier zurücklassen. | |
| Bei der Suche stieß ich auf der GoFundMe-Website auf | |
| Crowdfunding-Kampagnen, die von Menschen aus Gaza initiiert worden waren, | |
| um Geld für die Evakuierung in Sicherheit zu sammeln. Und zusammen mit | |
| meiner Zwillingsschwester und meiner Schwägerin, die in Deutschland lebt, | |
| startete auch ich eine Kampagne, um aus dem Kriegsgebiet zu entkommen. | |
| Das war keine leichte Entscheidung für mich. Es fiel mir schwer, mich damit | |
| abzufinden, um Hilfe zu bitten, insbesondere um finanzielle Unterstützung. | |
| Während meine Familie es eigentlich gewohnt war, Bedürftigen zu helfen, | |
| sind wir nun aufgrund des Konflikts selbst auf Unterstützung angewiesen. | |
| Einige Tage nach dem Start der Kampagne wurde ich sehr traurig. Ich | |
| verbrachte mehrere Tage im Bett und fühlte mich niedergeschlagen und | |
| lustlos. Nachdem ich jedoch von einem lieben Freund ermutigt wurde und in | |
| mich gegangen war, fand ich Trost in den Lehren des tibetanischen | |
| Buddhisten Yongey Mingyur Rinpoche. Seine Worte inspirierten mich, den | |
| Wandel anzunehmen. | |
| Durch die Meditation bin ich offener geworden, ich „lege Holz ins Feuer“, | |
| wie Rinpoche es nach einem geflügelten Wort in Tibet nennt. Das bedeutet in | |
| etwa: Seine Ängste überwinden, indem man den neuen Herausforderungen | |
| offensiv begegnet. Für mich heißt es, mein Wohlbefinden zu erhalten und | |
| meine unschuldige, friedliebende Familie zu schützen. | |
| Übersetzung: Jens Uthoff | |
| 17 Apr 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Hend al Qataa | |
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