# taz.de -- Alltag in Gaza: Der Klang von Musik und Raketen | |
> Unser Autor schreibt Gedichte und liebt Musik. Doch der Krieg hat die | |
> Klänge im Gazastreifen verändert. | |
Bild: „Warum sollte ich lachen, wenn mich nichts amüsiert?“ – Esam Hani … | |
Esam Hani Hajjaj (27) kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und | |
Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch ist er in | |
den südlichen Gazastreifen nach al-Fuchari geflohen. | |
Als ich heute aufwachte, machte ich mich wie üblich von meinem Schlafplatz | |
in der Schule auf den Weg zum Europäischen Krankenhaus, wo mein verletzter | |
Vater liegt. Das Krankenhaus liegt wie die Schule in al-Fuchari, zwischen | |
Rafah und [1][Chan Junis]. Ich brauchte etwa fünf Minuten, und als ich | |
durch die Marktstraße des Krankenhauses ging, erinnerte ich mich an einen | |
Verkäufer, der dort jeden Tag Musik spielt. Also ging ich zu ihm und sprach | |
ihn an. | |
„Salam, Sie spielen doch jeden Tag im Innenhof des Krankenhauses Musik?“ Er | |
sah mich ängstlich an und sagte: „Wenn die Musik Sie stört, ist es das | |
letzte Mal.“ „Überhaupt nicht“, lachte ich, „ich war nur neugierig. Ich | |
komme heute Abend nochmal wieder, um mit Ihnen zu sprechen, weil es jetzt | |
sehr heiß ist, aber eines möchte ich jetzt doch schon wissen: Was bringt | |
Sie als Einzigen dazu, auf dem Markt laut zu musizieren?“ Der Mann gluckste | |
und sagte: „Um die Leute glücklich zu machen!“ | |
Damit ging ich. Ich verstand, warum der junge Mann verwirrt war. Ich war | |
die Straße mit strenger Haltung entlanggegangen. [2][Warum sollte ich | |
lachen, wenn mich nichts amüsiert?] Der junge Mann hatte mich für einen | |
Sicherheitsbeamten mit strengen Gesichtszügen gehalten, für einen, der die | |
Musik aus Respekt vor den Märtyrern und ihren Familien stoppen wollte. Aus | |
Respekt vor ihren Gefühlen. | |
## Atempause vor den Mühen des Lebens | |
Dass mir der Verkäufer heute in den Kopf kam und ich zu ihm ging, um mit | |
ihm zu sprechen, lag wohl daran, dass ich an meine Freunde aus al-Nusairat | |
gedacht hatte. Daran, wie wir auf der Dachterrasse des Schriftstellers und | |
Oud-Spielers Mohammed Ghanem saßen und gemeinsam sangen. | |
Jede Woche trafen wir uns dort mit einer Gruppe von Freunden. Die meisten | |
von ihnen hatten wunderschöne Stimmen, die anderen schrieben Gedichte und | |
spielten Musikinstrumente. Diese Zeiten waren wie eine Atempause von den | |
Mühen des Lebens. Es gab einen Ausspruch von Mohammed, an den ich mich | |
lebhaft erinnere: „Wir müssen die Stimme der Welt senken und die Musik | |
erklingen lassen.“ | |
Ich vermisse auch die Abende, die wir mit dem Schreibteam einer Einrichtung | |
organisierten, in der ich als Dozent für kreatives Schreiben arbeitete. | |
Alle drei Monate gab es eine musikalische Veranstaltung. Jeder im Team | |
bereitete seine Gedichte vor, und Mohammed und ein anderer Freund stimmten | |
die Musik auf die Texte ab. Wir brauchten etwa eine Woche für die | |
Vorbereitungen, von der Bearbeitung der Texte über die Auswahl der | |
passenden Musik bis hin zur Vorbereitung auf den Auftritt vor dem Publikum. | |
Diese Zeit war anstrengend, aber angenehm, und sie verging schnell, weil | |
sie schön war. Die Veranstaltungen endeten mit großer Bewunderung des | |
Publikums für das Team. Unser Leben war erfüllt von Musik, Schönheit und | |
Poesie. Jetzt hört jeder in Gaza den Klang von Raketen, die auf ihn | |
niedergehen. | |
## Angst vor dem Klang ihrer Musik | |
Am Abend ging ich wie vereinbart zu dem Verkäufer, aber ich fand nicht ihn | |
vor, sondern seinen Bruder. Ich stellte mich vor und stellte ihm dieselbe | |
Frage, aber seine Antwort war völlig anders. Er sagte, er spiele Musik, | |
weil er sich bei der Arbeit langweile und er die Zeit schnell vergehen | |
lassen wolle. Ich fragte ihn nach seinem Namen. „Chaled“, antwortete er. | |
Chaled hat seinen Laden von neun Uhr morgens bis ein Uhr nachts geöffnet. | |
Ich fragte ihn, ob es in seiner Familie Märtyrer gebe und er bejahte. Dann | |
wurde er seltsam still. Ich weiß nicht, warum Chaled und sein Bruder Angst | |
vor dem Klang ihrer Musik haben. Warum überhaupt soll Musik verdächtig | |
sein? Etwas, wofür man angehalten wird? | |
Übersetzung aus dem Englischen: Judith Poppe | |
1 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Esam Hani Hajjaj | |
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