| # taz.de -- Neue Mondmission „Artemis“: 38 Millionen km², Küche, Bad | |
| > Während auf der Erde Bomben fallen, Lebenskosten steigen und Flammen | |
| > durch die Zukunftsvision züngeln, plant die Nasa eine feste Mondstation. | |
| > Wie absurd. | |
| Bild: Aber hier leben, ja bitte? Der Mond von Schwerin aus gesehen | |
| Eine feste Station auf dem achten Kontinent, [1][dem Mond]. Das, sagt der | |
| deutsche Astronaut Alexander Gerst der „Tagesschau“, sei das Ziel der | |
| Mission des Nasa-Projekts „Artemis“. | |
| Nachdem Artemis I, ein [2][unbemannter Flug] um den Mond, glückte, ist nun | |
| für September 2025 Artemis II geplant, bei der das Raumfahrzeug Orion mit | |
| vier Astronaut_innen einmal den Mond umrunden soll. Wenn alles glatt läuft, | |
| folgt mit Artemis III ([3][in Zusammenarbeit mit Elon Musks SpaceX und Jeff | |
| Bezos’ Blue Origin]) die Rückkehr des Menschen auf der silbernen | |
| Himmelskugel. Ein halbes Jahrhundert nachdem der US-amerikanische Astronaut | |
| Eugene Cernan 1972 als letzter Mensch dort herumspazieren durfte. | |
| Schätzungen der Nasa zufolge wird die Mission bis 2025 etwa 93 Milliarden | |
| Dollar gekostet haben. Das Ziel? „Wissenschaftliche Entdeckungen zu machen, | |
| Technologie voranzutreiben und zu lernen, wie man in einer anderen Welt | |
| lebt“, [4][so die Nasa]. Während wir die allgegenwärtigen Missstände auf | |
| Erden im Rauschen des Weltalls überhören dürfen. | |
| Bereits nach der Mondmission 1969 fiel dem Lyriker und Musiker Gil | |
| Scott-Heron die Absurdität dessen auf, welche Mittel der Staat im Namen der | |
| Wissenschaft bereit ist aufzugeben, während die irdischen Zustände nervige | |
| Plagen bleiben, die das Individuum selbst tragen muss. Dafür darf sich | |
| Astronaut Armstrong mit seinen Kumpels ins Weltrall jagen. Betroffen von | |
| den Problemen, die Scott-Heron in seinem Gedicht „Whitey on the Moon“ | |
| anklagt, waren besonders arme und Schwarze Menschen in den USA. | |
| „Ich kann meine Arztrechnungen nicht zahlen“ | |
| „Mein Vermieter hat gestern die Miete erhöht“ | |
| „Kein warmes Wasser, keine Toiletten, kein Licht“ | |
| „Die Steuern fressen meinen ganzen Lohn auf“ | |
| „Die Preise für Nahrungsmittel steigen“ | |
| ## 50 Jahre „Fortschritt“ | |
| Nach jeder dieser Klagen folgt der Satz „und der weiße Mann ist auf dem | |
| Mond“. Obwohl mit der Artemis-Mission das erste Mal ein Schwarzer | |
| Astronaut, Victor Glover, auf dem Mond landen soll, besteht das, was | |
| Scott-Heron beschreibt, fort. | |
| Mit mehr als 50 Jahren Fortschritt zwischen der letzten und der nächsten | |
| Mondmission bleibt das Leiden armer Menschen unverändert. Schon damals | |
| versuchten Befürworter die Ausgaben zu verargumentieren, etwa damit, dass | |
| die damaligen Fortschritte die Lebensqualität aller verbessern würden. Ist | |
| das so, wo Herons Zitate doch weiterhin aus den Mündern von | |
| Geringverdienern, Marginalisierten oder armen Student_innen kommen könnten? | |
| Zugegeben, der Vergleich zu 1969 ist nicht ganz stimmig, denn um einen | |
| zweiten Wettlauf ins All gegen die damalige Sowjetunion handelt es sich | |
| heute nicht mehr. Der damalige Schwanzvergleich wird vielmehr zur | |
| Ausbeutungsmission: [5][Der Mond verfügt nämlich über Wasser und jede Menge | |
| Sonneneinstrahlung, die man sich erhofft dort abzapfen zu können.] | |
| Mondmissionar Jeff Bezos geht noch einen Schritt weiter. [6][Er hofft, den | |
| gesamten Weltraum in ein Industriegebiet verwandeln zu können] „Wir müssen | |
| (…) die gesamte umweltverschmutzende Industrie in den Weltraum verlagern | |
| und die Erde als wunderschönes Juwel erhalten“, sagt er 2021 in einem | |
| Interview mit NBC. | |
| Eine wissenschaftliche Errungenschaft kann die anstehende Mondmission also | |
| kaum sein. Vielmehr müsste man sie damit vergleichen, dass der Mensch auf | |
| ein neues Ölfeld gestoßen ist, in das er bald gierig seine Bohrinsel | |
| verankern wird. | |
| Es zeigt, dass es leichter mit den menschlichen Werten vereinbar ist, | |
| unseren ausbeuterischen Trieb ins Universum auszudehnen, statt zu | |
| hinterfragen, wie man den Trieb beschneiden könnte, um Ressourcen sinnvoll | |
| zu nutzen | |
| Bleibt nur eine Lösung, so Scott-Heron: unsere Rechnungen per Luftpost zum | |
| Mann auf dem Mond schicken. | |
| Anm. der Red: in der ursprünglichen Fassung war im Titel von 38 Millionen | |
| qm“ die Rede. Die Mondoberfläche ist tatsächlich viel größer, in etwa 38 | |
| Millionen Quadratkilometer (km2). Wir haben den Fehler korrigiert. | |
| 24 Apr 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Monderoberung-durch-Jeff-Koons/!5991765 | |
| [2] /Kinder-fragen-die-taz-antwortet/!5990102 | |
| [3] https://www.nasa.gov/directorates/esdmd/artemis-campaign-development-divisi… | |
| [4] https://www.nasa.gov/humans-in-space/artemis/ | |
| [5] https://www.popsci.com/science/modern-space-race-moon-ice/ | |
| [6] https://www.theverge.com/2021/7/21/22587249/jeff-bezos-space-pollution-indu… | |
| ## AUTOREN | |
| Valérie Catil | |
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