# taz.de -- Verschwörungsmythen bei Aids und Corona: Schluss mit der Schwurbel… | |
> Wird die Wissenschaft geleugnet, hat das fatale Folgen, das zeigte schon | |
> die Aids-Pandemie. Daraus haben wir für die Coronazeit leider nichts | |
> gelernt. | |
Bild: Protest vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen d… | |
„Wir wollen doch nur eine Debatte.“ Das ist das Lieblingsargument von | |
Aids-Leugner:innen wie der [1][US-Amerikanerin Christine Maggiore Anfang | |
der 1990er] Jahre. Sie wollten damals darüber diskutieren, ob das HI-Virus | |
wirklich die Immunschwächekrankheit Aids auslöst. Maggiore und ihre | |
Anhänger:innen hatten von Biologie, von Zellen und Viren kaum einen | |
Schimmer. Aber sie wollten mit hochdekorierten Wissenschaftler:innen | |
diskutieren. Auf Augenhöhe. Und zwar eine Frage, die zu diesem Zeitpunkt | |
bereits seit zehn Jahren beantwortet war. | |
Nein, nicht jeder hat einen Anspruch auf eine Debatte. Egal wie laut er | |
oder sie das auch fordert. Und Maggiore und ihre Anhänger:innen waren | |
laut. Sie stürmten Kongresse, beschimpften Wissenschaftler:innen, drohten | |
Journalist:innen. Und sie fluteten das Internet mit ihren kruden Thesen | |
über die sogenannte Aids-Lüge. Nach der war Aids eine [2][Erfindung von | |
Gesundheitsbehörden und der Pharmaindustrie.] Maggiore war selbst | |
HIV-positiv. Damals noch ein Todesurteil. Die Leugnung war für sie die | |
einzige Möglichkeit, der Realität zu entkommen. | |
Lange vor Corona gab es also auch schon Leugner:innen und | |
Querdenker:innen. In der Aids-Pandemie hatte ihr Handeln schwerwiegende | |
Folgen. In Südafrika sind zahlreiche Menschen gestorben, weil ihr Land eine | |
Zeit lang vom [3][Aids-Leugner Thabo Mbeki] regiert wurde. Man hätte daraus | |
einiges lernen können. Dass das nicht passiert ist, ist ein großes | |
Versäumnis. Bei Corona darf sich das nicht wiederholen. | |
Am 23. April 1984, also genau vor 40 Jahren, beruft die US-amerikanische | |
Gesundheitsministerin Margaret Heckler eilig eine Pressekonferenz ein und | |
gibt feierlich bekannt: Die Ursache von Aids sei gefunden. Ein Virus. Der | |
Entdecker: der US-amerikanische Forscher Robert Gallo. | |
## Kein Durchbruch, sondern kommunikatives Desaster | |
Was eigentlich wie ein Durchbruch klingt, entpuppt sich als kommunikatives | |
Fiasko. Vor Gallo hatten schon französische Forscher dasselbe Virus | |
entdeckt. Erwähnt werden sie auf der Pressekonferenz nicht. Heckler war | |
vorgeprescht, sie wollte den Durchbruch und die mit dem Verkauf der | |
HIV-Tests verbundenen Einnahmen für die USA reklamieren. Das französische | |
Forscherteam klagt. Ein jahrelanger Rechtsstreit und eine diplomatische | |
Krise entbrennen. | |
Dieser Moment gilt als Stunde null der so genannten Aids-Leugner:innen. Sie | |
sagen, das HI-Virus sei harmlos und Aids eine Erfindung. Der Skandal um die | |
Pressekonferenz ist Wasser auf ihre Mühlen. Denn in ihrer Eile ist Heckler | |
noch ein weiterer Fehler unterlaufen. Zum Zeitpunkt der Verkündigung ist | |
der wissenschaftliche Nachweis noch gar nicht abgeschlossen. Für die | |
Leugner:innen ist damit klar: Hier sollen Fakten geschaffen werden. | |
Jeder, der jetzt noch etwas anderes behaupte, werde als Häretiker | |
gebrandmarkt. Es gibt jetzt eine staatlich vorgegebene Meinung. Man solle | |
mundtot gemacht werden. Aus einer Unstimmigkeit leiten sie gleich die ganz | |
große Verschwörung ab. | |
Kommunikation entscheidet über Glaubwürdigkeit. Jede Ungenauigkeit und | |
kleinste Fehler torpedieren dieses wertvolle Gut. Wenn Wissenschaft | |
politisch instrumentalisiert wird, wenn Wissenschaft dazu dient, im | |
Nachhinein politische Entscheidungen zu rechtfertigen, kommt zu Recht | |
Misstrauen auf. Gerade in Krisenzeiten sollten beide Bereiche auf eine | |
strikte Trennung achten. Das galt für Aids und das gilt auch für Corona. | |
Eine entscheidende Rolle spielen in Krisenzeiten auch Medien. Es ist | |
richtig und wichtig, über Leugner:innen und ihre Behauptungen zu | |
berichten. Solche Narrative lassen sich nicht einfach ignorieren. Nur ist | |
es ein Fehler, ihre Aussagen als Beitrag zu einer Debatte einzustufen. Ihre | |
Verschwörungserzählungen dürfen nicht gleichberechtigt neben erwiesenen | |
Fakten stehen. Coronaleugner:innen [4][haben nichts in Talkshows | |
verloren.] Sie haben nichts zum Diskurs beizutragen. Wer sie einlädt, | |
stellt sie auf eine Bühne, auf die sie nicht gehören. | |
## Leugner:innen wollen predigen | |
Das hätte man aus der Aids-Pandemie für die Zeit mit Corona längst lernen | |
können. Leugner:innen wollen in Wahrheit nicht debattieren, sie wollen | |
predigen. Sie diskutieren nicht ergebnisoffen, sondern wollen überzeugen. | |
Sie ignorieren Fakten und sie stellen Fragen, die längst beantwortet sind. | |
Das ganze Phänomen der Krankheitsleugnung ist nichts Neues und nichts | |
Ungewöhnliches. Cholera, Malaria, Spanische Grippe, Tuberkulose – auch da | |
traten schon Zweifler:innen und Skeptiker:innen auf. Sie | |
verschwanden nur schnell wieder, sobald die Ursachen gefunden wurden. Bei | |
Aids und später auch bei Corona war es anders. Das sind die beiden ersten | |
Pandemien in Zeiten des Internets. Durch das Internet erhalten Irrglauben | |
und falsche Behauptungen eine neue Haltbarkeit und Reichweite. Sie wirken | |
größer, als sie sind. Und wirken schnell gleichberechtigt zu Fakten und | |
Realität. | |
Es hätte sicherlich geholfen, wenn jemand während der Coronapandemie darauf | |
hingewiesen hätte, dass Leugnungsbewegungen zu Beginn neuer Krankheiten | |
immer wieder entstehen. Dass sie meist aus Angst, Unsicherheit und | |
Verzweiflung entstehen. Dass eine inhaltliche Debatte mit ihnen zu nichts | |
führt und dass sie gefährlich werden können. Es hätte auch geholfen, | |
Politik, Wissenschaft und Medien beizeiten daran zu erinnern, dass ihre | |
Glaubwürdigkeit in Krisenzeiten besonders zur Disposition steht. Dass sie | |
klar und [5][transparent kommunizieren] müssen, um Brandstifter:innen | |
keinen Raum zu geben. Dass Schlingerkurse und zwielichtige Maskendeals | |
fatale Folgen haben. Dass [6][geschwärzte Sitzungsprotokolle] Stoff für | |
neue Verschwörungsmythen sind. | |
Für alle Beteiligten ist eine neue Pandemie eine extreme Ausnahmesituation. | |
Da werden Fehler gemacht. Die klar zu benennen ist die einzige Möglichkeit, | |
sie nicht zu wiederholen. Irren ist menschlich – das Bekenntnis dazu auch. | |
23 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Reese | |
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