# taz.de -- Gehirn-Implantate von Neuralink: Musks Spiel mit der Hoffnung | |
> Mit Gehirn-Implantaten sollen gelähmte Menschen mehr Unabhängigkeit | |
> erlangen. Elon Musks Firma Neuralink sorgt für einen Hype. Die Realität | |
> ist steiniger. | |
Bild: Übertreibt gerne: Milliardär Elon Musk | |
Hunde wuseln durch die Wohnung, Jamiroquais „Virtual Insanity“ plätschert | |
im Hintergrund und mitten im Bild sitzt der 29-jährige Noland Arbaugh. Seit | |
einem Tauchunfall ist er ab unterhalb der Schultern gelähmt. Die Musik | |
ausschalten, Schach spielen, in Videospiele vertiefen? Schwierig. Bis er | |
bei einer Operation ein Implantat in sein Gehirn eingesetzt bekam. Nun kann | |
er mithilfe von bewussten Gedanken Dinge steuern, zum Beispiel einen Cursor | |
auf dem Bildschirm. | |
Die Szene ist aus einem [1][Video des US-Unternehmens Neuralink], das | |
jüngst breit auf Social Media geteilt wurde. Neuralink ist eine der Firmen | |
aus dem Musk-Universum und Arbaugh der erste Patient, dem die Firma nach | |
eigenem Bekunden ein Implantat eingesetzt hat. Das Video, im Selfie-Modus | |
gemeinsam mit einem Neuralink-Mitarbeiter aufgenommen, wirkt gerade wegen | |
seiner vermeintlichen Spontanität beeindruckend und authentisch, auch wenn | |
man davon ausgehen muss, dass es sorgfältig choreografiert wurde. | |
Das gilt es, im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich bewusst macht, was | |
die Firma nicht zeigt oder anderweitig publiziert. Denn im Musk-Universum | |
gilt: Egal ob Hyperloop, Elektroautos oder eben | |
Gehirn-Computer-Schnittstellen – die Verpackung sieht immer erst mal gut | |
aus. Aber wenn man sie öffnet, wirkt der Inhalt weniger überzeugend. | |
## Wissenschaftlich erkenntnisfrei | |
Neun Minuten lang ist das Neuralink-Video. Das ist deutlich kürzer, als es | |
dauert, eine durchschnittliche Studie zu dem Thema zu lesen. Aber auch so | |
wäre genug Zeit gewesen, ein paar der drängenden Fragen zu klären. Zum | |
Beispiel: Was für ein Implantat wurde verwendet, wie und in welcher | |
Gehirnregion wurde es eingesetzt und wie funktioniert es? Wie lange wird es | |
voraussichtlich haltbar sein? Wo liegen die Grenzen und Probleme der | |
genutzten Technologie? Und was passiert, wenn Neuralink eines Tages | |
pleitegeht – bei einer Musk-Firma ja nicht völlig aus der Luft gegriffen? | |
In Australien musste eine Patientin mit Epilepsie ein Implantat, das sie | |
vor sich ankündigenden Anfällen warnte, nach der Insolvenz des Herstellers | |
wieder abgeben. Forscher:innen, die den Fall im Rahmen einer | |
wissenschaftlichen Publikation untersuchten, sehen das als möglichen | |
Verstoß gegen die Menschenrechte. | |
Das alles sind Fragen, die möglicherweise unbequeme Antworten nach sich | |
ziehen würden. Dazu kommt: Es ist zu erwarten, dass sie bei Neuralink | |
selbst nicht einmal alle Antworten kennen. Stattdessen geht es in dem Video | |
darum, wie Arbaugh nun in der Lage ist, das Videospiel Civilization 6 zu | |
zocken. Man darf das nicht unterbewerten, denn auch Computerspiele können | |
ein Stück Normalität, Lebensqualität und soziale Teilhabe bedeuten. Aber an | |
einem kritischen Moment kommt das Video zum Ende, gerade, als Arbaugh | |
erklärt, es gebe schon ein paar „issues“ – ein milderes Wort für Proble… | |
Welche das sind, bleibt im Dunkeln. | |
## Steiniger Weg | |
Die wissenschaftliche Forschung zum Thema Gehirn-Computer-Schnittstelle | |
skizziert die Situation deutlich steiniger, als es in dem so locker | |
daherkommenden Video von Neuralink der Fall ist. So zum Beispiel im Fall | |
einer ALS-Patientin in den Niederlanden. ALS steht für Amyotrophe | |
Lateralsklerose und ist eine Nervenkrankheit, die nach und nach den | |
gesamten Körper befällt und lähmt. Die Patientin konnte mit einem Implantat | |
nach und nach lernen, einen Cursor auf einem Bildschirm anzusteuern, ihn | |
dann gezielt zu bestimmten Buchstaben zu bewegen und so zu kommunizieren. | |
Dauer des Trainings: fast ein halbes Jahr. | |
Neuralinks Beitrag, der daherkommt, als wolle er zeigen, was aktuell | |
[2][Stand der Wissenschaft] ist, ist also in Wahrheit vor allem eine | |
Werbemaßnahme für Musks Unternehmen. Eine, die sicher gut ankommt bei | |
potenziellen Investor:innen. Besser jedenfalls als die Berichte über eine | |
unnötig hohe Zahl an Versuchstieren, Fehler bei den Operationen an diesen | |
und die Kritik an einem von der Unternehmensführung aufgebauten immensen | |
Zeit- und Erfolgsdruck, die Neuralink in der Vergangenheit begleitet haben. | |
## Hoffnung ist eine wertvolle Ressource | |
Doch Musk spielt hier mit der Hoffnung von Menschen, die gelähmt sind, die | |
unter den Folgen von ALS oder Schlaganfällen leiden und mit der Hoffnung | |
ihrer Angehörigen. Für diese Patient:innen könnten | |
Gehirn-Computer-Schnittstellen eines Tages Linderung schaffen, die | |
Kommunikation mit anderen Menschen ermöglichen oder sogar das Bewegen zuvor | |
gelähmter Gliedmaßen. Aber dieser Tag ist eben noch nicht in Sicht. | |
Drei in der Fachwelt breit rezipierte Beispiele aus dem vergangenen Jahr: | |
Ein nach einem Unfall querschnittsgelähmter Patient, der nach der | |
Implantation einer Gehirn-Rückenmarks-Schnittstelle und konsequentem | |
Training wieder laufen kann. Eine Patientin mit schweren | |
Schlaganfall-Folgen und ein Patient mit ALS, denen Implantate und Software | |
dabei helfen, bewusst gedachte Wörter auf einem Bildschirm erscheinen zu | |
lassen. Der maßgebliche Fortschritt bei Letzteren: Die Kommunikation geht | |
hier deutlich schneller als bei früheren Ansätzen, liegt aber immer noch | |
etwa beim halben Tempo einer üblichen Unterhaltung. | |
Teil dieser Studien war immer die Diskussion über Probleme und Hürden. Zum | |
Beispiel, dass die Patient:innen die Bereitschaft für ein monatelanges | |
Training mitbringen müssen. Dass Alter und Begleiterkrankungen das Training | |
erschweren oder unmöglich machen könnten. Dass eine Operation immer ein | |
Risko birgt. Dass die [3][Alltagstauglichkeit der Schnittstellen] erst noch | |
erprobt werden muss. Dass sich manchmal um die Gehirnelektroden Narben | |
bilden, die die Funktionsfähigkeit beeinträchtigen können. | |
[4][Elon Musk] dagegen hat schon bei der Beschleunigungsfähigkeit des | |
Tesla-Cybertrucks übertrieben und bei dem Video eines wäschefaltenden | |
Roboters der gleichen Firma verschwiegen, dass dieser die Bewegungen nicht | |
autonom durchführen kann, sondern nur mit Steuerung. Für alle | |
Patient:innen bleibt zu hoffen, dass Neuralink auf redlicheren Wegen | |
unterwegs ist. | |
20 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/i/broadcasts/1ypJdkXjaLNGW | |
[2] /Kuenstliche-Intelligenz/!5939918 | |
[3] /Neuropsychologin-ueber-Gehirne-und-Computer/!5941275 | |
[4] /Elon-Musk-und-das-X/!5955322 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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