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# taz.de -- Konsum in der Lebensmitte: Die Marktmacht der Best Ager
> Die ab 45-Jährigen sind kaufkräftig und kauffreudig. Aber als Zielgruppe
> von „Menschen in der Lebensmitte“ angesprochen werden, das wollen sie
> nicht.
Bild: Das Klischee lebt: Best-Ager in Fahrt
Berlin taz | Es klingt viel besser als Lebensmitte, [1][Midlife-Crisis]
oder gar Wechseljahre: „Best Ager“ nennen Werbetreibende gerne die begehrte
Zielgruppe, die bei manchen im Alter von 45 Jahren, bei vielen mit 50 und
einigen erst mit 55 beginnt. Ist die Jugend endgültig vorbei, werden Haut
und Haare dünner. Viele finden sich körperlich immer weniger anziehend –
aber immerhin, die Attraktivität als Konsument:innen steigt enorm.
Werberelevante Gruppe bis 49 war gestern – heute wissen Industrie und
Dienstleister um die Kaufkraft und Konsumfreudigkeit der [2][Menschen in
der Phase zwischen Jungsein und Altsein]. Aber: Als ältere Zielgruppe
angesprochen werden wollen diese Leute nicht, wissen Marketingexpert:innen.
Der Kapitalismus hat jede Menge kaufbare Lösungen für das tatsächliche oder
vermeintliche Tief in der Phase auf dem Weg ins Dasein als Senior:in. Die
Hormonumstellung, die Frauen und ja, auch Männer, ab Mitte ihrer 40er
erleben, erscheint als Störung, die behoben werden muss. Unzählige Ratgeber
rund um die Lebensmitte geben Tipps, wie Sinnkrisen, Partnerschaftsprobleme
oder körperliche Veränderungen bewältigt werden können – nicht nur für d…
Betroffenen, sondern auch für Angehörige.
Bei Amazon gibt es mehr als 4.000 Produktvorschläge für den Begriff
„Midlife-Crisis“, vom Ratgeber für Ehepaare mit pubertierenden Ehemännern
über eine philosophische Gebrauchsanweisung, Sporttipps und
Coachingmethoden für Frauen in der Lebensmitte bis zur „Midlife-Lüge“.
Zeitschriften und Internetportale widmen sich dieser Gruppe, empfehlen eine
bestimmte Ernährung, Sport oder Pülverchen. Die Kosmetikindustrie hat ganze
Produktserien, mit denen die Zielgruppe angeblich die äußerliche Alterung
hinauszögern kann.
Coaches, Kliniken und Psychotherapeut:innen sind spezialisiert auf
die Therapie der Midlife-Depression. Wer selbst mit Tropfen, Dragees oder
Tabletten echten oder eingeredeten Leiden zu Leibe rücken will, wird heiß
umworben. Aber: Die Produktanpreisungen unterschlagen in der Regel, für
welche Altersgruppe genau sie gedacht sind.
In Anzeigen und Werbespots machen stets Jüngere Reklame für Produkte, die
sich an Best Ager richten. „Die Models in der Werbung sind 15 Jahre jünger
als die angesprochene Zielgruppe“, sagt Christian Wulff, Leiter des
Geschäftsbereichs Consumer Markets bei der Wirtschaftsprüfungs- und
Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Das geht nicht an der Zielgruppe
vorbei, im Gegenteil. Im Vergleich zu vorhergehenden Generationen fühlen
sich viele Menschen jenseits der 45 heute sehr viel jünger als sie sind.
Entsprechend wollen sie gesehen und gezeigt werden. „Das ist auch ein
Resultat der Werbung“, sagt der Experte. Eines wollen die Best Ager, egal
ob weiblich, männlich oder divers, auf keinen Fall, weiß Wulff aus Studien:
ihrem Alter entsprechend angesprochen werden. Denn das würde ihrem
Selbstbild widersprechen – sie finden ja, dass sie viel jünger aussehen.
## Vital in der Lebensmitte
Älter werden im 21. Jahrhundert ist anders als in früheren Zeiten. Das hat
Folgen für den Konsum. Die Menschen sind heute in der zweiten Lebenshälfte
viel aktiver, vitaler und auch kaufkräftiger als ihre
Altersgenoss:innen es vor 40 oder 50 Jahren waren, sagt Wulff. Sie
konsumieren mehr und anders, reisen viel und sind insgesamt mobiler. „Die
Emanzipation von Frauen ist ein wesentlicher Treiber des veränderten
Konsumverhaltens“, sagt er.
Das gilt zum Beispiel für das Freizeitverhalten. Dass Frauen alleine
ausgehen oder reisen, ist heute selbstverständlich. Auch, dass sie selbst
Auto fahren. Hilfreiche Haushaltsgeräte, von der Wasch- über die
Spülmaschine bis zum Hochleistungsstaubsauger erleichtern den Alltag, und
zwar geschlechtsunabhängig. Das Nutzen von Social Media und Smartphone
gehört für nahezu alle in der Lebensmitte zum Alltag, beim Konsum
nachhaltiger Lebensmittel sind die jüngeren den Älteren allerdings voraus.
Wulff ist davon überzeugt, dass Unternehmen die Best Ager bereits gut
erreichen. Das sieht der Marketingexperte Hans-Georg Pompe, Autor des
Buches „Marktmacht 50+“, anders. Er ist der Meinung, dass Industrie und
Dienstleister das große Potenzial noch nicht im möglichen Maße erschließen.
„Das ist ein Goldschatz, der gehoben werden muss“, sagt er. „Ab 50 spielt
die Musik.“ Viele Menschen in der Lebensmitte sind sehr gut situiert, auch
wenn es gerade unter den Älteren durchaus auch viele Arme gibt – doch die
sind für ein gezieltes Marketing weniger interessant. Wer jeden Cent
dreimal umdrehen muss, für den oder die ist der Preis entscheidend.
Pompe geht davon aus, dass sich bislang nur jedes fünfte Unternehmen
gezielt der solventen Käufer:innengruppe in der zweiten Lebenshälfte
widmet. „Dabei ist das eine marktbeherrschende Zielgruppe“, ist er
überzeugt. Mehr als 720 Milliarden Euro geben die Best Ager über
50-Jährigen pro Jahr hierzulande für Konsum, Möbel oder Reisen aus, sagt
Pumpe. „Diese Gruppe hat eine große Kauflust“, sagt er. Und dabei geht es
um weit mehr als um eine Gleitsichtbrille oder rückenschonende Schuhe.
Etliche wollen etwas Verrücktes machen, endlich Sehnsuchtsorte besuchen
oder sich einen lang gehegten Wunsch erfüllen, ein Motorrad oder besonders
edles Möbelstück kaufen.
Viele haben Zeit für Konsum, nachdem die Kinder groß sind. Sie sind
beständig und ziehen seltener um, sagt der Marketingexperte. Sie suchen
nach passenden Dienstleistungen und Produkten – die aber eben keine
„altersgerecht“-Zeichen haben sollten. „Keiner will sich als alt outen“,
sagt Pompe. „Kein Mensch kauft ein Seniorenprodukt.“
## Kritische Käufergruppe
Gleichzeitig wollen die Best Ager durchaus besonders umworben werden. Sie
sind eine sehr kritische Käufergruppe, sehen sich als lebenserfahren an und
lassen sich nicht gerne abspeisen. Sie möchten, dass ihre individuellen
Bedürfnisse gesehen werden. „Die Best Ager sehen sich in der Mitte ihres
Lebens und wollen begeistert werden“, sagt er. Das gilt für alle Branchen,
ist er überzeugt. Wirklich gut macht das seiner Auffassung nach aber nur
die Reisebranche.
Sind die 50+ zufrieden, lassen sie das gerne Familienmitglieder,
Nachbar:innen oder Freund:innen wissen. Nicht nur als Konsument:innen,
auch als Multiplikatoren sind die Best Ager wichtig, sagt Pompe. „Sie
empfehlen ein Produkt oder eine Dienstleistung an drei Seiten weiter“, sagt
der Marketingexperte. Kein Wunder, dass sich ursprünglich für Ältere
gedachte Produkte schnell allgemein durchsetzen – wie beispielsweise das
Hörbuch oder der Rollkoffer. Solche Produkte mögen auch Junge. Manches
führt aber auch zur Belastung für alle. Die extrem [3][umweltschädlichen
SUVs], die für Ältere zum Einsteigen besonders komfortable sind, sind zum
Verkaufsschlager für alle geworden und verstopfen Städte und Straßen.
17 Apr 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Anja Krüger
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