# taz.de -- Bayer Leverkusen nach dem Titelgewinn: „Endlich mal ein guter Mei… | |
> Ein König als Trainer, jede Menge neue Helden und einfach gute Arbeit: | |
> Bayer Leverkusen ist nach dem Titelgewinn ziemlich stolz auf sich. | |
Bild: Gute Chemie: Die Fans suchen die Nähe ihrer Helden bei der spontanen Mei… | |
Leverkusen taz | Der Fußball hat eine Epoche erreicht, in der zwar immer | |
neue Rekorde aufgestellt werden, aber eine besonders faszinierende Kraft | |
des Spiels ist während des vergangenen Jahrzehnts etwas verloren gegangen. | |
[1][Der Zauber des Neuen] und Unbekannten, der am Sonntag zunächst die | |
Stadt Leverkusen und anschließend weite Teile der Fußballnation erfasste. | |
Statt zum zwölften Mal sehr routinierte – ja vielleicht sogar etwas | |
gelangweilte – Männer wie Thomas Müller, Manuel Neuer oder Leon Goretzka | |
bei ihrem bayerisch eingefärbten Meisterritual zu betrachten, konnten | |
selbst eingefleischte Werksklub-Skeptiker am Sonntag [2][nach dem 5:0 von | |
Bayer Leverkusen gegen Werder Bremen] kaum unberührt bleiben angesichts der | |
Freude, die da hervorgebrochen ist. „Emotionen pur“, sagte Neu-Meister | |
Jonas Hofmann, „da fließt alles durch den Körper. Soll man lachen? Soll man | |
weinen?“ Oder einfach beides? | |
Es wurde sehr viel geweint und wahrscheinlich noch mehr gelacht an diesem | |
Abend, der nicht nur einen neuen deutschen Meister, sondern auch sehr viele | |
Helden hervorbrachte, die zum ersten Mal so einen Triumph erlebten. Selbst | |
ein Routinier wie Granit Xhaka gewann erstmals einen Titel außerhalb seines | |
Heimatlandes Schweiz. | |
Neu war das Erlebnis aber auch für den dreifachen Torschützen und | |
designierten Weltstar Florian Wirtz, für den in langen Phasen seiner | |
Karriere unterschätzten Robert Andrich, für ewige Vizekusen-Gesichter wie | |
Jonathan Tah oder den Torhüter Lukas Hradecky und für zigtausend Menschen | |
in den Straßen und im Stadion. Alle waren erfüllt von einer emotionalen | |
Energie, die der FC Bayern schon lange nicht mehr erzeugen kann. | |
## Zeitenwende im Fußball | |
Vielleicht hatte Robert Andrich ja ähnliche Gedanken, als er bald nach dem | |
vollendeten Titelgewinn sagte: „Es gibt nicht nur Bayern München, es gibt | |
auch Bayer Leverkusen. Jetzt ist Bayer-Leverkusen-Zeit, jetzt gibt es | |
endlich mal einen guten deutschen Meister.“ | |
Selbst der Trainer Xabi Alonso, der als Spieler jede Menge große Titel | |
gewonnen hat, darunter drei deutsche Meistertitel mit dem FC Bayern, | |
berichtete von einer Reise durch unbekanntes Terrain, die er während dieser | |
Saison erlebt hat. Es sei „etwas total anderes, einen Titel als Coach zu | |
gewinnen“, sagte er. „Die Energie, die man braucht, ist vollkommen anders. | |
Man kann das nicht vergleichen. Dieses Jahr war viel intensiver.“ | |
Die spanische Zeitung Marca erklärte Alonso kurzerhand zum „König von | |
Deutschland“, weil es ihm gelungen sei, „die Tyrannei der Bayern zu | |
beenden“, und als der Baske am Sonntagabend selber über den Titel sprach, | |
wirkte er wie ein sehr weiser König. Fröhlich ertrug er eine Bierdusche | |
seiner Spieler während der Pressekonferenz, um dann zwar völlig durchnässt, | |
aber weiterhin sehr aufmerksam und geduldig Journalistenfragen zu | |
beantworten. | |
Alonso ist ein König, der selbst in diesem großen Augenblick Demut und | |
Dankbarkeit ausstrahlte. Vielleicht liegt das ganz große Geheimnis hinter | |
diesem besonderen Erfolg tatsächlich im Wesen des Trainers, der sich nicht | |
nur deshalb als Teil des Teams begreift, weil er beinahe noch genauso gut | |
kicken kann wie die Spieler. | |
## Trainer mit Verbindung | |
Obwohl bereits in der Wochenmitte ein bedeutsames Spiel bei West Ham United | |
samt Reise nach London ansteht, durfte die Mannschaft bis tief in die Nacht | |
feiern und bekam am Montag frei. Alonso vertraut seinen Spielern und | |
berichtete von seiner speziellen Verbindung zu den Profis. „Ich will immer | |
in der Nähe der Mannschaft sein“, erzählte, „Ich will viel mit der | |
Mannschaft sprechen, ich weiß, was die Spieler fühlen. Und diese Verbindung | |
und die Empathie zu spüren, das ist wichtig.“ | |
Im Verlauf des Abends zeigte sich sogar [3][Werner Wenning], die graue | |
Eminenz des Klubs, die sich sonst immer fernhält von der Öffentlichkeit. | |
Der langjährige Vorstandsvorsitzende der Bayer AG, der jetzt dem | |
einflussreichen [4][Gesellschafterausschuss des konzerneigenen | |
Fußballunternehmens] vorsitzt, sagte im Bauch des Stadions: „Wir sind vor | |
allem mit einer inneren Haltung vorangegangen.“ | |
Selbst Traditionalisten, die womöglich kritisch anmerken, dass mit Bayer | |
Leverkusen ein Klub diesen Titel gewonnen hat, der aufgrund seiner engen | |
Verbindung zum Bayer-Konzern ein paar Vorteile hat, müssen anerkennen, dass | |
bei Bayer Leverkusen zuletzt schlicht und einfach fabelhaft gearbeitet | |
wurde. | |
## Meisterleistung der Facharbeit | |
„Der Schlüssel waren die Spieler“, sagte Alonso, Spieler, die sich im | |
Übrigen auch Borussia Dortmund, RB Leipzig und vielleicht sogar Eintracht | |
Frankfurt hätten leisten können. Es handelt sich bei diesem Meistertitel | |
also nicht um einen Sieg des Kommerzes über den moralisch überlegenen Rest, | |
sondern um eine Meisterleistung der Facharbeit auf allen relevanten Ebenen. | |
Alonso hatte sogar die Größe, ein Stück dieses Erfolges an seine | |
unglücklichen Vorgänger abzugeben, in deren Zeit der nun überwundene | |
Vizekusen-Mythos entstand und gefestigt wurde. Der Titel sei „die | |
Konsequenz einer Toparbeit über viele Jahre“, sagte er. | |
„Ich erinnere mich an Kollegen aus der Vergangenheit: Christoph Daum, Klaus | |
Toppmöller, Roger Schmidt und viele mehr. Ich will das teilen mit vielen | |
Leuten.“ Und zumindest solange Leute wie Xhaka und der immer entfesselter | |
spielende Wirtz im Klub bleiben, muss der FC Bayern fürchten, einem | |
Konkurrenten gegenüberzustehen, der tatsächlich besser ist. | |
15 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Theweleit | |
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