# taz.de -- Schulleiter über Sinti und Roma im Sport: „Viele haben immer noc… | |
> Andrzej Bojarski wollte jungen Sinti und Roma beweisen, dass es | |
> erfolgreiche Sportler*innen in ihrer Minderheit gibt. Entstanden ist | |
> eine Ausstellung. | |
Bild: Kein leichter Stand beim Trainer: Walter Laubinger (l.) mit Ernst Happel | |
taz: Wie sind Sie darauf gekommen, sich mit Sinti und Roma im Sport zu | |
beschäftigen, Herr Bojarski? | |
Andrzej Bojarski: Als junger Lehrer in Nienburg an der Weser gehörten | |
einige meiner Schüler zur Minderheit der deutschen Sinti. Von Sinti und | |
Roma hatte ich zwar schon gehört, aber richtig vorbereitet war ich durch | |
meine Ausbildung auf das Thema nicht. Ich habe die Schüler dann gefragt, ob | |
sie mir etwas über Sinti und Roma erzählen können. So kamen wir ins | |
Gespräch. | |
Wie groß war die Bereitschaft, mit Ihnen über ihre Herkunft zu sprechen? | |
Ganz offen dafür waren sie am Anfang nicht. Aber aufgrund meines Namens | |
haben sich dann einige auch für meine Herkunft interessiert. Als ich dann | |
den ehemaligen Boxer [1][Oswald Marschall] kennengelernt habe, hat er mir | |
manche Türen geöffnet. So habe ich immer besser verstanden, wie sich die | |
Schüler aus der Minderheit fühlen. Man kann es so zusammenfassen: Wir | |
fallen überall durch, und es ist nicht einfach, im Leben weiterzukommen. | |
Wie kam die Verbindung zum Sport zustande? | |
Mich hat der Ehrgeiz gepackt, den Schülern zu beweisen, dass es | |
erfolgreiche Sportler in ihrer Minderheit gibt. Kinder lernen am besten | |
durch Vorbilder. Im örtlichen Box-und Kampfstudio hatte ich eine AG | |
geleitet und Oswald Marschall kennengelernt. Er tauchte als Trainer mit | |
zwei Boxern auf, die er auf die deutsche Meisterschaft vorbereitete. Bei | |
unserem nächsten Treffen hat er mir in einem achtstündigen Interview aus | |
seinem Leben erzählt. Wir sind dann zusammen in die Sportarchive in Köln | |
und Leipzig gegangen und haben über seine Karriere recherchiert. Außerdem | |
haben wir versucht, noch andere Sportler aus der Minderheit ausfindig zu | |
machen. | |
In der daraus entstandenen Wanderausstellung [2][„Abseits im eigenen Land“] | |
portraitieren Sie bislang drei Sportler. Neben Oswald Marschall die | |
Fußballer Walter Laubinger und Sergio Peter. Hatten Sie damit gerechnet, | |
mehr Sportler zu finden? | |
Die Suche war in der Tat nicht einfach. Es gibt viel mehr | |
Leistungssportler, die aus der Minderheit kommen, auch im Profi-Fußball. | |
Aber viele haben immer noch Angst, dass das bekannt wird. Ohne Oswald | |
Marschall hätte ich auch nicht den Kontakt zu [3][Walter Laubinger] und | |
Sergio Peter bekommen. Aber durch ihn haben die Sportler und ihre Familien | |
ihre Archive geöffnet. Die sind viel ergiebiger als die öffentlich | |
zugänglichen Archive. | |
Was waren Ihre prägendsten Erfahrungen bei den Interviews? | |
Mich hat erschrocken, wie viele Vorurteile und Stereotype es in der | |
Mehrheitsgesellschaft immer noch gegenüber den Angehörigen dieser | |
Minderheit gibt. Ich konnte nicht verstehen, mit welchen Ängsten – zum | |
Beispiel vor der Polizei – die zweite und dritte Generation nach dem | |
Völkermord aufgewachsen ist. Mich hat der Ehrgeiz gepackt, die | |
Mehrheitsgesellschaft für die Situation der Minderheit zu sensibilisieren – | |
durch die Ausstellung, aber auch durch meine Arbeit in der Schule. | |
Haben die von Ihnen interviewten Sportler diese Diskriminierungen auch in | |
ihrer sportlichen Laufbahn erlebt? | |
Sie sind oft mit den vorherrschenden Vorurteilen und Stereotypen in | |
Berührung gekommen. Als zum Beispiel Familienmitglieder von Walter | |
Laubinger beim Training zuguckten, hieß es gleich: typisch Großfamilie. | |
Walter Laubinger galt als Riesentalent, war 1987 mit dem HSV Deutscher | |
Pokalsieger, wurde ein halbes Jahr später nach Bayreuth ausgeliehen und hat | |
1989 seine Profikarriere als 22-Jähriger beendet. | |
Walter Laubinger hat nicht direkt gesagt, dass er diskriminiert wurde. Er | |
hat aber berichtet, dass er damals unter Trainer Ernst Happel keinen | |
leichten Stand hatte, obwohl er 1986 bei der U18-Europameisterschaft als | |
bester Spieler ausgezeichnet worden war. | |
Zeigt Ihre Ausstellung auch, wie durch den Sport das Selbstbewusstsein | |
wächst? Ein Ziel war es ja, Vorbilder zu präsentieren. | |
Alle Beispiele zeigen, wie sie durch den Sport die Möglichkeit erhalten | |
haben, sich unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft zu profilieren und zu | |
verständigen. Oswald Marschall und Sergio Peter haben bei der Ausstellung | |
auch persönlich von ihren Karrieren erzählt – das ist für die Jugendlichen | |
etwas anderes, als in Büchern oder im Internet irgendwelche Fotos zu sehen | |
und Interviews zu hören. Peter hat für Blackburn Rovers in der Premier | |
League gekickt. Und Marschall hat für Deutschland bei den | |
Europameisterschaften geboxt. | |
Was ist aus Ihrem zweiten Ziel geworden, die Mehrheitsgesellschaft zu | |
sensibilisieren? | |
Das passiert zum Beispiel, wenn Oswald Marschall erzählt, dass er von | |
seiner Leistung her eigentlich für die Olympischen Spielen 1976 hätte | |
nominiert werden müssen. Er wäre der erste deutsche Sinto bei Olympia | |
gewesen, aber der Boxverband machte vor der Qualifikation klar, ihn auf | |
keinen Fall zu nominieren. Daraufhin hat auch er mit 22 frustriert seine | |
Karriere beendet. Nie hat jemand versucht, ihn zurückzuholen. | |
Wie ist die Rückmeldung auf die Ausstellung? | |
Um noch stärker für das Thema zu sensibilisieren, hätte ich mir gewünscht, | |
dass sie stärker angefragt worden wäre. Wir hatten leider nicht die | |
Kapazitäten, in diese Richtung noch aktiver zu werden. Wir haben die | |
Ausstellung jetzt erweitert und hoffen, sie im Deutschen Fußballmuseum in | |
Dortmund zeigen zu können. Das wäre ein richtiger Schub. | |
Worin besteht die Erweiterung? | |
Es sind vier Akteure dazugekommen: die polnischen Roma Gerard und Damian | |
Linder, die Kampfsport betreiben, der ehemaligen Zweitliga-Spieler des VFL | |
Osnabrück, Mario Laubinger, sowie die Fußballerin Angel Theiß, die für den | |
FSV Gütersloh in der 2. Liga gespielt hat. Im Sport ist es bislang noch | |
ungewöhnlicher, dass eine [4][Sintezza sich bereit erklärt, ihre Identität | |
offenzulegen]. | |
8 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Boxschule-fuer-Sinti-und-Roma/!5075567 | |
[2] https://www.deutschlandfunk.de/antiziganismus-das-ist-ein-gesamtproblem-des… | |
[3] /Archiv-Suche/!1915221&s=Walter+Laubinger&SuchRahmen=Print/ | |
[4] /Fussball-WM-der-Frauen/!5950989 | |
## AUTOREN | |
Ralf Lorenzen | |
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