Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tarifverhandlungen bei der BVG: 1,5 Grad und 10 Minuten Wendezeit
> Die #wirfahrenzusammen-Kampagne will bessere Arbeitsbedingungen für Bus-
> und Bahnfahrer. Eine Aktivistin und ein Busfahrer erklären, wie.
Bild: Debby Roschka und Mathias Kurreck setzen sich nicht nur für bessere Arbe…
Berlin taz | Vor einem Jahr saß Mathias Kurreck noch vorne [1][im gelben
BVG-Bus und fuhr Pendler:innen] durch die Hauptstadt. An den
Endhaltestellen ärgerte er sich, dass er wieder einmal zwischen Pausenbrot
und Pinkelpause wählen musste. Debby Roschka saß hinten im Bus und hörte
Musik oder las ein Buch. Sie ärgerte sich, wenn der Bus oder die
Straßenbahn Verspätung hatte und sie mal wieder zu spät an ihrem Ziel
ankam. Zwei getrennte Realitäten, die sich nur selten überschnitten.
Neulich ist Roschka wieder mit dem Bus gefahren. Diesmal saß sie ganz
vorne, so dass sie den Fahrer sehen konnte. Auf der Konsole stand die Zahl
40. „Der Busfahrer hatte 40 Minuten Verspätung angehäuft“, sagt sie. „An
der Endhaltestelle wird er also noch weniger Zeit haben, um seine
Grundbedürfnisse zu befriedigen.“
Debby Roschka und Mathias Kurreck kennen sich seit einem Jahr. Sie studiert
soziale Arbeit und ist Aktivistin bei Fridays for Future. Er ist
Verdi-Vertrauensmann und freigestellter Busfahrer. Seit einem Jahr lernen
sie die Organisation, Struktur und Arbeit der anderen Seite kennen. Sie
über Gewerkschaften. Er über Klima-Aktivismus. Die Hoffnung: Sie können
ihre jeweiligen Peergroups davon überzeugen, mehr zusammenzuarbeiten.
[2][In dieser Woche verhandelt Verdi erneut] mit dem Kommunalen
Arbeitgeberverband (KAV) über einen neuen Manteltarifvertrag für die
Beschäftigten der BVG. Es geht um mehr Urlaubstage, eine höhere
Mindestruhezeit zwischen den Diensten und eine längere Wendezeit an den
Endhaltestellen.
## Gewerkschaft und Aktivisten haben viel erreicht
Es bleibt abzuwarten, ob die Kooperation zwischen Fridays for Future und
Verdi, auch als #wirfahrenzusammen bekannt, zu besseren Ergebnissen für die
Beschäftigten führt. Aber eines ist schon jetzt klar: Die gemeinsame
Bewegung von Gewerkschafter:innen und Klimaaktivist:innen hat
viel mehr erreicht, als nur Druck auf die Regierung und den Arbeitgeber
auszuüben. Sie haben die Tür zu einem größeren sozialen Zusammenhalt
geöffnet – wenn auch nur um einen kleinen Spalt.
Die Kluft zwischen den gesellschaftlichen Gruppen wird immer größer.
Autofahrer:innen gegen Radfahrer:innen. Generation Z gegen Boomer.
Kernenergie gegen Wärmepumpen. Themen, die zu hitzigen Diskussionen und
verhärteten Fronten führen, tauchen immer häufiger auf. Mitten in dieser
Gemengelage stehen Roschka und Kurreck und versuchen, eine Verbindung
zwischen zwei Seiten herzustellen.
Zwei Seiten, die nicht unbedingt miteinander kooperieren wollen. Nicht alle
Verdi-Mitglieder und schon gar nicht alle Bus- und Bahnfahrer:innen der
Hauptstadt finden die Zusammenarbeit mit den Klimaaktivist:innen gut.
Einige befürchten eine Politisierung des Arbeitskampfes, die nicht durch
das deutsche Streikrecht abgedeckt ist.
Andere wiederum stehen nicht einmal hinter den Forderungen der
Klimaaktivist:innen. „Warum müssen wir in Deutschland so viel
zurückstecken, wenn in den USA und China so viel mehr Emissionen
ausgestoßen werden“, sagt ein Bahnfahrer beim Warnstreik Anfang Februar. Er
steht vor einem Bus am Betriebsbahnhof Lichtenberg, in dem sich Streikende
aufwärmen können.
## Auch Busfahrer haben Bedürfnisse
[3][Rund 20 Klimaaktivist:innen sind beim Streik in Lichtenberg mit
dabei.] Mit gelben Warnwesten und Klemmbrettern stehen sie zwischen den
BVG-Beschäftigten. Sie wollen Unterschriften für die Petition
#wirfahrenzusammen sammeln: bessere Arbeitsbedingungen, aber auch mehr
Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr. Jede Unterschrift sollte auch
von einem Gespräch über den Klimawandel begleitet werden, so zumindest das
Ziel der Kooperation.
Unterschriften sind leicht zu sammeln. Das Gespräch über Klima eher nicht.
„Ich werde für bessere Arbeitsbedingungen unterschreiben“, sagt ein
Busfahrer zu einem jungen Klimaaktivisten. „Aber von den Klimaklebern halte
ich nichts.“ Als dann die Co-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, auftritt
und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen lobt, wird sie von der
Menge lautstark ausgebuht.
„Der Busfahrer hat andere Bedürfnisse als ein Hochschullehrer“, sagt
Mathias Kurreck. „Er will einfach nur sicher nach Hause kommen, mit den
Kindern spielen, etwas warmes Essen und abends ins Bett gehen, damit er am
nächsten Morgen um 2 Uhr mit seinem Fahrrad oder Auto zur Arbeit fahren
kann.“ Manche würden denken, dass Klimaschutz und die eigenen Bedürfnisse
nicht zusammenpassen, sagt er.
Dass immer weniger Menschen sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel
interessieren, hat auch Debby Roschka in den vergangenen Jahren gespürt.
Schon seit ihrer Jugend ist die 22-Jährige bei Fridays for Future aktiv.
Wie viele junge Klimaaktivist:innen hatte sie aber zuletzt etwas
Hoffnung verloren. „Wir stehen auf der Straße und fordern politische
Veränderung, letztendlich ist da aber oft nicht genug Druck dahinter“, sagt
sie.
## Es ist eine mühsame und langsame Veränderung
Auch Kurreck hat in letzter Zeit immer tiefer in eine scheinbar trostlose
Zukunft geblickt. Allerdings nicht, wie Roschka, wegen der Klimabewegung –
damit hatte er sich in seinem Leben noch nie beschäftigt. Er ist seit 2007
bei der BVG. „Irgendwann dachte ich mir nur noch: Oh Gott, das muss ich
noch 30 Jahre lang machen“, so der Busfahrer.
Aber im vergangenen Jahr hat die Zusammenarbeit zwischen Fridays for Future
und Verdi wieder frischen Wind in die Gewerkschaftsstrukturen,
Streikoffensiven und sein Leben gebracht. „Ich bin gerne mit diesen Leuten
zusammen, weil sie eine andere Denkweise mitbringen“, sagt er über die
Aktivist:innen.
„Das sind keine Schüler, die keine Ahnung haben“, sagt Kurreck. „Sie sind
gut organisiert und strukturiert, auch wenn es nicht immer so aussieht.“ Er
möchte diese Strukturen für die Gewerkschaft übernehmen. „Als Gewerkschaft
haben wir es verpasst, offener, digitaler und schneller zu werden.“
Er wurde von seinen Kollegen in der Gewerkschaft mehr oder weniger zur
Zusammenarbeit mit Fridays for Future gezwungen. Mit seinen 38 Jahren ist
er das jüngste Mitglied des Teams und hätte somit die engste Verbindung zu
den jungen Aktivist:innen hieß es. Und obwohl er jetzt mit Leidenschaft
dabei ist, fällt es ihm immer noch schwer, sich als Aktivist zu bezeichnen.
## Die kleinteilige Arbeit lohnt sich trotzdem
„Du machst alles, was eine aktivistische Person macht“, sagt dazu Debby
Roschka. „Du führst Gespräche, du lernst dazu, du veränderst die Welt mit
allem, was du tust.“
Es ist eine mühsame und langsame Veränderung. Doch Roschka und Kurreck
glauben, dass sich die kleinteilige Arbeit trotzdem lohnt. „Es ist wichtig,
nicht nur mit der eigenen Bubble zu sprechen“, sagt Debby Roschka.
„Menschen zu überzeugen, die noch Vorbehalte haben, und zu merken, dass
sich was bewegt, ist total machtvoll.“
Als Roschka neulich mal wieder im Pausenraum auftauchte, saß dort eine
Frau, die die Klimaaktivistin schon einmal abgewiesen hatte. „Mit mir musst
du gar nicht erst anfangen“, hatte sie damals noch gesagt, erzählt die
22-Jährige. Diesmal war die Sozialarbeitsstudentin aber ein vertrautes
Gesicht. „Du bist ja schon wieder da“, sagte die Straßenbahnfahrerin dann.
Das hat schon gereicht, die Petition hat sie unterschrieben.
[4][Neben besseren Arbeitsbedingungen für Bus- und Bahnfahrer:innen in
der Hauptstadt haben Roschka und Kurreck] ein weiteres, viel
weitreichenderes Ziel: Sie erhoffen sich durch diese vielen Einzelgespräche
eine ähnliche Wirkung, wie sie sie bei sich gemerkt haben. Dass zwei
Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, sich in einer Sache
gemeinsam wiederfinden können: im Kampf für eine klimagerechte Welt.
28 Mar 2024
## LINKS
[1] /Tarifverhandlungen-bei-der-BVG/!5974111
[2] /Krise-bei-der-BVG/!5974296
[3] /Tarifverhandlungen-bei-der-BVG/!5998700
[4] /Verbaende-fordern-Klimageld/!5996624
## AUTOREN
Clara Suchy
## TAGS
Verdi
Gewerkschaft
ÖPNV
BVG
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
BVG
Verdi
BVG
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tarifstreit im Berliner Nahverkehr: Fahrgastlobby kritisiert BVG-Streik
Der Berliner Fahrgastverband Igeb kritisiert die Länge des geplanten
Ausstands am Montag. Unterstützung für den Warnstreik kommt aus der SPD.
ÖPNV zur Fußball-EM in Berlin: BVG schränkt Angebot teilweise ein
Die einen feiern, die anderen warten: Damit 3 U-Bahnlinien zur Fußball-EM
häufiger fahren können, wird der Takt andernorts ordentlich ausgedünnt.
BVG eröffnet Job-Store: Shoppingmall sucht Busfahrer*in
Im BVG-Job-Store kann man neben BVG-Souvenirs auch Jobs „shoppen“. Der
Store soll eine Anlaufstelle für zukünftige Arbeitnehmer*innen.
Tarifverhandlungen bei der BVG: Tempo, Tempo, Herr Kaya!
Bei den BVG-Tarifverhandlungen geht es auch um die Wendezeiten für
Busfahrer*innen. Die reicht allzu häufig kaum aus, um auf Toilette zu
gehen.
Krise bei der BVG: Zurückbleiben, bitte!
In den U-Bahnen und Bussen drängen sich die Fahrgäste. Die BVG aber sieht
„keine nennenswerten Unregelmäßigkeiten“ und die Politik schaut zu.
Tarifverhandlungen bei der BVG: Weil wir dich schinden
In den BVG-Tarifverhandlungen geht es vor allem um bessere
Arbeitsbedingungen. Längst gefährdet der Personalmangel die Verkehrswende
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.